# taz.de -- Einigungen der Ampel-Parteien: Das steht im Koalitionsvertrag | |
> Was sieht der Koalitionsvertrag der Ampel fürs Klima vor? Was für | |
> Familien? Die Einschätzung unser Fachredakteurinnen im Überblick. | |
Knapp zwei Monate nach der [1][Bundestagswahl] steht der Vertrag zur | |
Bildung der ersten Ampel-Koalition auf Bundesebene. Die Spitzen von SPD, | |
Grünen und FDP haben ihre Beschlüsse am Nachmittag in Berlin vorgestellt. | |
Aber was steht zu den einzelnen Themen drin? Unsere | |
Fachredakteur*innen geben den Überblick. | |
## Gesundheit und Pflege | |
Am Grundsystem der Krankenhausfinanzierung wird sich nur wenig ändern – | |
allerdings soll es künftig Vorhaltepauschalen geben. Verschiedene | |
Krankenhausbereiche würden dann nicht mehr primär über die Versorgung pro | |
Patient finanziert, sondern auch dafür bezahlt, bestimmte Kapazitäten | |
bereitzustellen. So könnten etwa in Pandemien Kapazitäten für | |
Covid-Patienten freigehalten werden, ohne dass Krankenhäusern Verluste | |
entstehen. Etwaige Vorschläge sollen aber von einer Kommission unterbreitet | |
werden. Ganz unmittelbar soll sich nur die Finanzierung von Pädiatrie, | |
Notfallversorgung und Geburtshilfe verbessern. | |
[2][Das in der Pandemie überbeanspruchte Pflegepersonal] soll offenbar | |
weitere Zahlungen erhalten, eine Milliarde Euro stehen dafür bereit. Der | |
Pflegebonus soll bis zu 3.000 (bisher 1.500) Euro steuerfrei sein. | |
Um das alte Problem mit der Überlastung von Notaufnahmen zu lösen, sollen | |
Kassenärzte und Krankenhäuser künftig in Integrierten Notfallzentren | |
zusammenarbeiten. Die Idee: Patienten, die weniger akut gefährdet sind, | |
können außerhalb der teuren Notaufnahme bedarfsgerecht behandelt werden. | |
Zudem wollen SPD, FDP und Grüne die [3][Digitalisierung des | |
Gesundheitssystems] weiter vorantreiben. Dazu gehört die beschleunigte | |
Einführung der [4][elektronischen Patientenakte] und des E-Rezepts. | |
Vor allem der grüne Ex-Parlamentarier Hans-Christian Ströbele ([5][„Gebt | |
das Hanf frei“]) darf sich freuen: Die Ampel führt die kontrollierte Abgabe | |
von Cannabis an Erwachsene „zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“ | |
ein. Grüne und FDP hatten sich dafür stark gemacht. Insgesamt zeigt die | |
Koalition sich zögerlich. Zwar will man die bedarfsgerechte Finanzierung | |
des Krankenhaussystems voranbringen, allerdings eher durch Feinjustierung | |
als eine grundlegende Neuordnung. Jörg Wimalasena | |
Fortschrittsfaktor: 4 von 10 👎 | |
## Klima | |
Für die Grünen war der Auftrag klar: Regieren nur mit dem | |
[6][1,5-Grad-Ziel] im Blick. Folgerichtig heißt es im Koalitionsvertrag: | |
„Wir werden national, in Europa und international unsere Klima-, Energie- | |
und Wirtschaftspolitik auf den 1,5-Grad-Pfad ausrichten.“ Ob die Maßnahmen | |
dazu ausreichen, ist aber noch unklar; viele ExpertInnen brauchen für eine | |
seriöse Einschätzung dieser Frage ein paar Tage. Aber wenn man die | |
Vereinbarung an dem misst, was Thinktanks und grüne Lobbys fordern, zeigt | |
sich: Sie schreibt ehrgeizige Ziele fest, bleibt allerdings in manchen | |
Feldern unscharf. | |
Vor allem beim Ausbau der Erneuerbaren herrscht großer Ehrgeiz: 80 Prozent | |
des Strombedarfs soll bis 2030 aus Ökoquellen kommen, nicht nur 65 Prozent | |
wie bislang geplant. Dabei rechnet die Ampel mit 20 bis 30 Prozent mehr | |
Stromverbrauch als heute. Um das zu erreichen, soll der Bau von | |
Erneuerbaren schneller und unbürokratischer werden und nun als | |
„öffentliches Interesse definiert werden“. | |
[7][Der Kohleausstieg] und die Unterstützung der betroffenen Regionen | |
sollen schon bis 2030 gelingen. Dabei bleibt es bei der umstrittenen | |
Ankündigung, dass dies „idealerweise“ gelingen soll; und zwar – konkreter | |
als [8][im Sondierungspapier] – mit einem Mindestpreis oder anderen | |
Maßnahmen, die verhindern, dass der CO2-Preis im EU-Emissionshandel unter | |
60 Euro fällt. | |
Zum deutschen [9][CO2-Preis] auf Heizöl und -gas sowie Benzin und Diesel | |
findet sich – wohl aus Sorge vor einer neuen „Benzinwut“-Debatte – dage… | |
nichts. Hier bleibt es bis 2025 bei den Erhöhungen, die bereits [10][die | |
Groko] beschlossen hatte. Die EEG-Umlage soll verschwinden und Menschen so | |
von hohen Energiepreisen entlasten. Die Wasserstoffwirtschaft soll überall | |
vorangetrieben werden. | |
All diese Punkte wird wohl Robert Habeck als neuer Minister für Wirtschaft | |
und Energie selbst vorantreiben können. Auch bei der Landwirtschaft, die | |
fürs Klima ebenfalls wichtig ist, werden die Grünen vieles selbst | |
entscheiden können. Und das ebenfalls grün geführte Außenministerium soll | |
künftig eine „Klimaaußenpolitik“ machen und „Klimagerechtigkeit“ in d… | |
Vordergrund stellen. Der Einfluss der Grünen auf andere Ressorts ist | |
dagegen geringer als gehofft: Klimaschutz wird zwar als | |
„Querschnittsaufgabe“ definiert und alle Sektoren haben weiterhin genaue | |
Einsparziele. Aber statt des geforderten Vetorechts des Klimaministeriums | |
sieht der Koalitionsvertrag nur einen „Klimacheck für alle Gesetze“ vor, | |
den jedes Ressort selbst macht. | |
Doch auch für Ministerien, die an die anderen Parteien gehen, werden | |
ehrgeizige Vorgaben gemacht: Bis 2030 soll auch beim Heizen 50 Prozent | |
erneuerbare Energie genutzt werden, Solaranlagen sollen auf neuen | |
Gewerbebauten zur Pflicht und bei Privathäusern zur Regel werden. Im | |
Verkehrsbereich werden mit 15 Millionen [11][E-Autos] bis 2030 mehr als in | |
den ambitionierten Studien etwa der „Agora“ gefordert. „Deutlich vor 2035… | |
sollen keine neuen Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden. Beim | |
Subventionsabbau traut sich die Ampel dagegen bisher nur an die Lkw-Steuer | |
ran; das Dieselprivileg bleibt zunächst erhalten. | |
Durchgesetzt haben sich viele Ideen der Grünen – auch wenn man die roten | |
Linien der anderen deutlich sieht. Bernhard Pötter/Malte Kreutzfeldt | |
Fortschrittsfaktor: 6,5 von 10 👍 | |
## Frauen und Familie | |
Es ist durchaus ein Aufbruch: Das Selbstbestimmungsrecht von [12][Frauen | |
und deren Schutz vor Gewalt] wird gestärkt, das Familienrecht entstaubt, | |
[13][das Transsexuellengesetz] abgeschafft. Der Bereich trägt die | |
Handschrift der Grünen, die SPD hat wohl den Rücken gestärkt – und die FDP | |
sich zumindest in den meisten Bereichen nicht konsequent quergestellt. | |
Einig war man sich wohl vor allem gesellschaftspolitisch, konkrete Zahlen | |
werden nicht genannt. | |
„Familie ist vielfältig und überall dort, wo Menschen Verantwortung | |
füreinander übernehmen“, heißt es im Vertrag: Soziale Eltern sollen das | |
„kleine Sorgerecht“ bekommen können, lesbische Mütter bei Geburt ihres | |
Kindes automatisch die Mütter sein. | |
„Die Gleichstellung von Frauen und Männern muss in diesem Jahrzehnt | |
erreicht werden.“ Dazu soll unter anderem die ressortübergreifende | |
Gleichstellungsstrategie weiter entwickelt und künftige Gesetze einem | |
„Gleichstellungscheck“ unterzogen werden. [14][Die Istanbulkonvention gegen | |
Gewalt gegen Frauen] soll – endlich – „vorbehaltlos und wirksam“ umgese… | |
werden, die Finanzierung von Frauenhäusern einen bundeseinheitlichen Rahmen | |
bekommen. | |
Der [15][Paragraf 219a] wird wie erwartet abgeschafft. Auf straffreien | |
[16][Schwangerschaftsabbruch], wie bei Grünen und SPD vereinbart, konnte | |
man sich nicht einigen. Er scheint innerhalb der Verhandlungen das | |
Gegenstück zur Liberalisierung von Eizellspende und altruistischer | |
Leihmutterschaft gewesen zu sein, die wohl die FDP gepusht hat. Eine | |
Kommission soll prüfen, welche Möglichkeiten es bei Abbrüchen wie auch in | |
den reproduktionsmedizinischen Bereichen gibt. Immerhin: Die | |
Koalitionär:innen erkennen Abbrüche als Grundversorgung an, | |
Ärzt:innen sollen sie in der Ausbildung üben. | |
Durchgesetzt hat sich die FDP beim Wechselmodell für getrennt lebende | |
Eltern, was für Kritik bei Mutterinitiativen sorgen wird. Väter sollen in | |
bestimmten Fällen durch einseitige Erklärung das gemeinsame Sorgerecht | |
bekommen können. Im Fall eines Widerspruchs muss das Familiengericht ran. | |
Immerhin: Häusliche Gewalt muss im Umgangsverfahren berücksichtigt werden. | |
Patricia Hecht | |
Fortschrittsfaktor: 8 von 10 👍 | |
## Migration und Integration | |
Im Vergleich zur Groko kündigt die Ampel eine liberalere Migrations- und | |
Integrationspolitik an. So wollen SPD, Grüne und FDP mehr legale | |
[17][Fluchtwege] schaffen und die Integration von Migrant:innen in | |
Deutschland erleichtern. Gleichzeitig will die künftige Bundesregierung die | |
„irreguläre Migration“ reduzieren und Straftäter und Gefährder | |
„konsequenter“ abschieben. Minderjährige sollen aber grundsätzlich nicht | |
mehr in Abschiebehaft genommen werden. | |
Konkret möchte die Ampel mehr Schutzsuchende über Resettlement- und | |
humanitäre Programme aufnehmen. Sollte eine Reform hin zu einem faireren | |
EU-Asylsystem nicht klappen, will die Ampel mit einer Koalition der | |
Willigen mehr Verantwortung unternehmen. Auch sollen Schutzsuchende in | |
Deutschland leichter ihre [18][Verwandten nachholen] können. Zur | |
Erinnerung: [19][Die Groko hatte den Familiennachzug bei subsidiär | |
Schutzberechtigten erst ausgesetzt und dann auf 12.000 Menschen im Jahr | |
begrenzt]. | |
SPD, Grüne und FDP garantieren, die Liste der „sicheren Herkunftsländer“ | |
nicht auszuweiten und von den [20][„Anker-Zentren“] abzurücken. Um das | |
Sterben auf dem Mittelmeer zu beenden, will die Koalition die Seenotrettung | |
auf dem Mittelmeer unterstützen. Übernehmen soll dies [21][die EU-Agentur | |
Frontex]. Die Ampel will auch dafür eintreten, dass die [22][zivile | |
Seenotrettung] nicht mehr behindert wird. | |
Zudem möchte die Ampel bessere Bleibeperspektiven schaffen. So sollen | |
künftig „alle Menschen, die nach Deutschland kommen“, Anspruch auf einen | |
Integrationskurs erhalten. Arbeitsverbote und Kettenduldungen sollen | |
wegfallen, geduldete Azubis eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. | |
Schutzsuchende sollen künftig Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen. Dieser | |
„Spurwechsel“ scheiterte bislang an der Union. Das | |
Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll um ein Punktesystem nach kanadischem | |
Vorbild ergänzt werden, auch Nichtakademiker sollen künftig per „Blue Card�… | |
einreisen dürfen. Neu wäre auch die doppelte Staatsbürgerschaft: Deutsche | |
mit Migrationsgeschichte dürfen demnach künftig ihren zweiten Pass | |
behalten. Auch wollen SPD, Grüne und FDP die Einbürgerung nach fünf Jahren | |
ermöglichen. Ralf Pauli | |
Fortschrittsfaktor: 8 von 10 👍 | |
## Europa und Außenpolitik | |
Die meisten Aussagen in diesem Kapitel bleiben eine Auslegungssache. Eine | |
eindeutige Aussage gibt es allerdings zu [23][Kampfdrohnen]: Die Bundeswehr | |
darf ihre unbemannten Flugzeuge bewaffnen. Grüne und SPD, bisher kritisch | |
eingestellt, hatten sich dafür in den letzten Monaten geöffnet. Die | |
Ankündigung im Koalitionsvertrag kommt daher nicht überraschend. | |
Ob der [24][Verteidigungshaushalt] weiter steigen wird, bleibt dagegen | |
offen. Dass 2-Prozent-Ziel der Nato wird im Koalitionsvertrag zwar nicht | |
explizit erwähnt. Die Ampel will aber „langfristig“ 3 Prozent des | |
Bruttoinlandsprodukts in Entwicklung, Diplomatie und die „in der Nato | |
eingegangenen Verpflichtungen“ stecken. | |
Unklar bleibt auch die Zukunft der in Deutschland stationierten | |
US-Atomwaffen. So will die neue Regierung zwar einen Beobachterstatus beim | |
internationalen Atomwaffenverbotsvertrag einnehmen. Ob die Bundeswehr | |
weiterhin bereitstehen soll, um im Ernstfall in Zusammenarbeit mit den | |
US-Amerikanern Atombomben einzusetzen, ist aber offen. | |
Ähnlich beim [25][Thema Waffenexport]: Die Ampel will ein | |
Rüstungsexportgesetz einführen. Damit könnten Regeln verbindlicher werden. | |
Ausnahmen sollen aber möglich bleiben. Welche das sind? Man weiß es nicht. | |
In der Praxis muss sich zudem noch zeigen, wie die neue Koalition gegenüber | |
autoritären Regierungen auftritt. Laut Koalitionsvertrag will sie ihre | |
Außenpolitik auf „Freiheit, Demokratie und Menschenrechten“ aufbauen. | |
Innerhalb der Europäischen Union will sie sich dafür einsetzen, dass es | |
strenger geahndet wird, [26][wenn Mitgliedsländer gegen die Prinzipien der | |
Rechtsstaatlichkeit verstoßen]. In Bezug auf Problemstaaten außerhalb der | |
EU wie Russland, China und die Türkei dominiert das für Koalitionsverträge | |
typische Sowohl-als-auch: Uns sind gute Beziehungen wichtig, wir sprechen | |
aber auch Probleme an. Dabei wird der zweite Teil diesmal vielleicht ein | |
bisschen stärker betont wie zum Beispiel im Absatz zu China, in dem | |
Xinjiang, Taiwan und Hongkong explizit erwähnt werden. Tobias Schulze | |
Fortschrittsfaktor: 5 von 10 👎 | |
## Innere Sicherheit | |
Das Innenministerium geht an die SPD, sein Zuschnitt wird gestutzt: Bauen | |
wandert ab, Heimat bleibt bestehen. Die Ampel gibt sich staatstragend. | |
„Leben in Freiheit braucht Sicherheit“, heißt es. Die | |
[27][Sicherheitsbediensteten verdienten „unseren Respekt“], die Polizei | |
werde besser ausgestattet. Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität | |
und Kindesmissbrauch sollen zu Schwerpunkten werden. | |
Gleichzeitig aber wird ein progressiver Schwenk vollzogen, hin zu einer | |
„grundrechtsorientierten Sicherheitspolitik“, wie es die Ampel benennt. | |
Alle Sicherheitsgesetze sollen künftig wissenschaftlich evualiert werden, | |
mit einer unabhängigen „Freiheitskommission“ und mit Blick auf die | |
Auswirkungen für die Bürgerrechte. [28][Flächendeckende und biometrische | |
Videoüberwachung] wird abgelehnt, ebenso [29][Staatstrojaner] für die | |
Bundespolizei. Beim Verfassungsschutz soll die Überwachungssoftware nochmal | |
auf den Prüfstand. IT-Sicherheitslücken, die für Überwachung genutzt werden | |
könnten, sollen geschlossen werden. Eine Absage an die | |
[30][Vorratsdatenspeicherung] aber fehlt: Diese soll nun „rechtssicher | |
anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss“ stattfinden – was eine | |
Massenüberwachung praktisch weitgehend verunmöglicht. | |
Als größte Sicherheitsbedrohung wird der [31][Rechtsextremismus] benannt, | |
so wie es zuletzt auch die Groko tat. Als Gegenmittel sollen Gefährder | |
koordinierter überwacht, Extremisten entwaffnet und Deradikalisierung | |
gestärkt werden. [32][Das lange geforderte Demokratiefördergesetz] soll | |
kommen, das Projekte gegen Extremismus langfristig absichert. [33][Frauen- | |
und queerfeindliche Straftaten] sollen besser erfasst werden. Geschaffen | |
wird ein Anti-Rassismus-Beauftragter. [34][Der Begriff Rasse soll aus dem | |
Gesetz gestrichen werden] – in der vergangenen Legislatur war dies noch | |
gescheitert. | |
Gleichzeitig soll mehr Kontrolle für die Sicherheitsbehörden her. Ein | |
unabhängiger Polizeibeauftragter und eine Kennzeichnungspflicht für die | |
Bundespolizei wird geschaffen. | |
Der [35][Einsatz von V-Leuten] soll parlamentarisch „überprüfbar“ werden, | |
Akten höchstens noch für 30 Jahre geheim eingestuft. Bei der Polizei soll | |
eine Sicherheitsüberprüfung für Bewerber:innen extreme Ansichten | |
verhindern und unabhängige Forschung dem nachgehen. Ein Archiv zum | |
[36][Rechtsterrorismus] wird geschaffen. Und der 11. März soll nationaler | |
Gedenktag für Opfer terroristischer Gewalt werden – so wie auf europäischer | |
Ebene schon, in Erinnerung an den Anschlag 2004 in Madrid. | |
Ergo: Vieles, was unter Seehofer noch unmöglich war – die Umsetzung bleibt | |
abzuwarten. Konrad Litschko | |
Fortschrittsfaktor: 8 von 10 👍 | |
## Finanzen | |
Der Staat wird weiter Schulden machen – obwohl SPD und FDP in ihren | |
Wahlprogrammen [37][die Schuldenbremse] propagiert haben. Doch nun werden | |
gleich drei Tricks genutzt, um Kredite zu ermöglichen. Erstens: Die Ampel | |
profitiert davon, dass die Merkel-Regierung für 2022 bereits neue Schulden | |
in Höhe von 100 Milliarden Euro vorgesehen hatte. Offiziell sollen damit | |
die weiteren Coronakosten finanziert werden, doch war immer klar, dass so | |
viel Geld nicht nötig würde. Der Rest kann also in die Ampel-Projekte | |
fließen. | |
Zweitens: [38][Die Coronaschulden] sollen zwar getilgt werden, wie es die | |
Schuldenbremse vorsieht – aber die Tilgungszeit wird verlängert. Die | |
Merkel-Regierung wollte die Pandemie-Kredite bis 2043 abstottern. Die Ampel | |
will es jetzt erst bis 2058 schaffen. Drittens: Es wird Schattenhaushalte | |
geben, obwohl die FDP dies ausgeschlossen hat. Sie werden bei der | |
Förderbank KfW, bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und bei der | |
Bahn eingerichtet. | |
Teure und ökologisch schädliche Subventionen wie das Dienstwagenprivileg | |
oder die [39][Pendlerpauschale] werden nicht beschnitten, obwohl davon vor | |
allem Wohlhabende profitieren. Immerhin: Auch Immobilienkonzerne müssen | |
künftig [40][Grunderwerbssteuer] zahlen. Außerdem dürfen Immobilien nicht | |
mehr bar bezahlt werden, um die Geldwäsche zu bekämpfen. | |
Steuererhöhungen sind nicht geplant, was keine Überraschung ist. Grüne und | |
SPD hatten in ihren Wahlprogramm zwar eine [41][Vermögenssteuer] von einem | |
Prozent und höhere Spitzensätze bei den Einkommenssteuern gefordert, aber | |
diese Projekte hatten sowieso keine Chance, weil der Bundesrat zustimmen | |
müsste – und dort hat die Union eine Veto-Macht. Für Grüne und SPD war es | |
also schmerzfrei, der FDP entgegenzukommen, die immer erklärt hatte, dass | |
Steuererhöhungen eine „rote Linie“ seien. | |
Interessant ist, dass das Wort „Soli“ mit keinem Wort auftaucht. Noch | |
zahlen die reichsten fünf Prozent der Bundesbürger etwa 10 Milliarden Euro | |
pro Jahr. Die FDP wollte den Soli eigentlich abschaffen, aber | |
wahrscheinlich hoffen die Liberalen jetzt darauf, dass das | |
Bundesverfassungsgericht den Soli kippt. Ulrike Herrmann | |
Fortschrittsfaktor: 2 von 10 👎 | |
## Soziales | |
Neue Begriffe, aber kaum zusätzliches Geld gibt es für die | |
Empfänger:innen von Leistungen der Grundsicherung. „Anstelle der | |
bisherigen Grundsicherung (Hartz IV) werden wir ein Bürgergeld einführen“, | |
heißt es im Koalitionsvertrag. Genaueres über eine Erhöhung der | |
Hartz-IV-Regelsätze beziehungsweise des Bürgergelds wird nicht gesagt. | |
Es gibt eine Erleichterung: „Wir gewähren in den ersten beiden Jahren die | |
Leistung ohne Anrechnung der Vermögen und anerkennen die Angemessenheit der | |
Wohnung.“ Neuantragsteller:innen auf die Hartz-IV-Leistung bekommen | |
also zwei Jahre lang das Geld samt Regelsatz und Miete, auch wenn die | |
Wohnkosten relativ hoch sind und ein größeres Vermögen vorhanden ist. Diese | |
Erleichterung gilt schon seit Corona. | |
Das betrifft allerdings nur Neuanträge. Die 17 Prozent der | |
Hartz-IV-Empfänger:innen, die jetzt schon aus dem Regelsatz einen Teil der | |
Miete mitbestreiten müssen, weil ihre Wohnkosten die Grenze der | |
„Angemessenheit“ überschreiten, haben nichts von dieser Regelung. | |
Eine „Kindergrundsicherung“ soll kommen, die die Leistungen aus | |
steuerlichem Kinderfreibetrag, Kindergeld, Kinderzuschlag und Sozialgeld | |
(im Hartz-IV-Bezug) „bündelt“ und in Teilen einkommensabhängig ist. Über | |
die Höhe der Leistung und den Zeitpunkt der Einführung wird nichts gesagt. | |
Eine „ressortübergreifende Arbeitsgruppe“ soll eingesetzt und der | |
„Einkommensbegriff“ bis Mitte 2023 in allen Gesetzen „harmonisiert“ wer… | |
„Bis zur tatsächlichen Einführung der Kindergrundsicherung werden wir von | |
Armut betroffenen Kindern, die Anspruch auf Leistungen gemäß SGB II, SGB | |
XII oder Kinderzuschlag haben, mit einem Sofortzuschlag absichern“, heißt | |
es. Über die Höhe des „Sofortzuschlages“ wird nichts gesagt. | |
In der Rentenversicherung will die Koalition das Niveau von 48 Prozent | |
halten und – jedenfalls „in dieser Legislaturperiode“ – den Rentenbeitr… | |
auf 20 Prozent begrenzen. Ein Kapitalstock von 10 Milliarden Euro aus | |
Steuermitteln soll aufgebaut werden. Der „Nachholfaktor“ soll ab 2022 | |
wieder eingeführt werden, was eine Dämpfung des Rentenanstiegs bewirkt. | |
Barbara Dribbusch | |
Fortschrittsfaktor: 5 von 10 👎 | |
## Wohnen | |
Es soll gebaut werden, schnell, günstiger und unkompliziert: 400.000 neue | |
Wohnungen sollen pro Jahr entstehen, ein Viertel davon öffentlich | |
gefördert. Gegen Bauen hatte ja auch keine der Parteien etwas einzuwenden. | |
Die Frage war nur: Wird auch Wohnraum für kleinere und mittlere Einkommen | |
geschaffen? Und wird klimagerecht gebaut? Da hatte es in den | |
Koalitionsgesprächen etwas Knatsch gegeben. Die Vorstellungen zwischen SPD, | |
Grünen und der FDP gehen bei der Wohnungspolitik bekanntermaßen | |
auseinander. | |
Eine Errungenschaft ist deshalb die Einführung einer neuen | |
Wohngemeinnützigkeit – die alte wurde 1990 abgeschafft. Damit bekommen | |
Wohnungsbauunternehmen, die gemeinwohlorientiert arbeiten und Wohnraum für | |
kleinere und mittlere Einkommen schaffen, steuerliche Vorteile. Das solle | |
„die dauerhafte Sozialbindung bezahlbaren Wohnraums erzeugen“. Das trägt | |
die Handschrift von Grünen und SPD. | |
Im Gegenzug haben die beiden Parteien offenbar Abstriche bei der Begrenzung | |
von Mieten hingenommen. Für Mieter:innen hat die Ampelkoalition quasi | |
nichts im Angebot. Die geltenden Mieterschutzregelungen sollen lediglich | |
evaluiert und verlängert werden. Die Mietpreisbremse soll bis zum Jahr 2029 | |
verlängert werden. In angespannten Märkten soll immerhin die Kappungsgrenze | |
auf 11 Prozent in drei Jahren absenkt werden. Bisher dürfen Mieten maximal | |
20 Prozent in drei Jahren steigen, in angespannten Lagen 15 Prozent. Das | |
ist zwar eine kleine Verbesserung, aber völlig unzureichend gegen die | |
Mietenexplosion an vielen Orten. Gewerbemieter:innen, die ohnehin durch die | |
Pandemie gebeutelt sind, werden nicht einmal erwähnt. | |
Da hilft die Stärkung des Wohngelds und ein einmalig erhöhter | |
Heizkostenzuschuss nur bedingt. Zumindest soll der zusätzlich anfallende | |
CO2-Preis gerecht zwischen Mieter:innen und Vermieter:innen verteilt | |
werden. Und: Bis 2030 will die Ampel mit einem Nationalen Aktionsplan | |
Obdach- und Wohnungslosigkeit „überwinden“. Jasmin Kalarickal | |
Fortschrittsfaktor: 6 von 10 👍 | |
## Verkehr | |
Anders als [42][Grüne und FDP wollten], wird die Deutsche Bahn nicht in | |
zwei Unternehmen für Schienennetz und Fahrbetrieb zerschlagen. Aber der | |
Staatskonzern wird umgebaut. „Wir werden die Deutsche Bahn AG als | |
integrierten Konzern inklusive des konzerninternen Arbeitsmarktes im | |
öffentlichen Eigentum erhalten“, heißt es im Koalitionsvertrag. Die | |
Infrastruktureinheiten DB Netz, DB Station und Service sollen zu einer | |
neuen, gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte zusammengelegt werden und | |
Teil des Konzerns bleiben. | |
Die Ampel will mehr Geld in die Schiene als in den Ausbau von Straßen | |
stecken und ein Programm für eine „schnelle Kapazitätserweiterung“ der Ba… | |
auflegen. Der geltende Bundesverkehrswegeplan soll geprüft, dabei sollen | |
Verkehrs-, Umwelt- und Wirtschaftsverbände einbezogen werden. Damit haben | |
die Grünen einen wichtigen Punkt gesetzt. Der aktuelle | |
Bundesverkehrswegeplan sieht den Bau von 850 Autobahnkilometern bis 2030 | |
vor, darunter die A 49 durch den Dannenröder Forst oder die Küstenautobahn | |
A 20, die auf massiven Protest stoßen. „Wir werden auf Basis neuer | |
Kriterien einen neuen Bundesverkehrswege- und -mobilitätsplan 2040 auf den | |
Weg bringen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Einen Baustopp für begonnene | |
Projekte gibt es nicht. | |
Grüne und SPD haben sich mit dem Ziel durchgesetzt, dass bis 2030 | |
mindestens 15 Millionen E-Autos in Deutschland zugelassen sein sollen. Das | |
klingt viel, ist aber aufgrund der Marktentwicklung ohnehin zu erwarten. | |
Die Ladeinfrastruktur soll erheblich ausgebaut werden. Damit Kommunen mehr | |
Spielräume bei der Einrichtung etwa autofreier Zonen haben, will die neue | |
Regierung das Straßenverkehrsgesetz und die Straßenverkehrsordnung ändern. | |
Die Lkw-Maut soll mit Blick auf den C02-Ausstoß reformiert werden. | |
Die FDP hat bereits in den Sondierungsgesprächen erreicht, dass SPD und | |
Grüne auf ein Tempolimit auf Autobahnen verzichten. Sie wird auch den oder | |
die Verkehrsminister:in stellen. Anja Krüger | |
Fortschrittsfaktor: 3 von 10 👎 | |
## Ernährung und Landwirtschaft | |
Landwirte sollen dem Ampelvertrag zufolge aus einem „durch Marktteilnehmer“ | |
getragenen System Geld dafür bekommen, die Tierhaltung zu verbessern. Für | |
Fleisch will die Koalition ab 2022 eine „verbindliche | |
Tierhaltungskennzeichnung“ einführen. Diese zeigt den VerbraucherInnen, | |
[43][unter welchen Bedingungen die Tiere lebten] sowie transportiert und | |
geschlachtet wurden. Auch eine Herkunftskennzeichnung strebt die Ampel an. | |
Die Koalition hat die Forderung der Grünen übernommen, den Anteil des | |
Biolandbaus an der Agrarfläche bis 2030 von derzeit 10 auf 30 Prozent zu | |
steigern. Die amtierende Regierung strebte nur 20 Prozent an. | |
Die Parteien wollen auch, dass Bauern weniger Pestizide einsetzen. Das | |
meistgenutzte Ackergift, der unter Krebsverdacht stehende Unkrautvernichter | |
Glyphosat, soll bis Ende 2023 vom Markt verschwinden. Die neue Koalition | |
verspricht, umweltverträgliche Alternativen zu chemisch-synthetischen | |
Pestiziden fördern, etwa Roboter oder andere Anbaumethoden. Zu einer von | |
Umweltschützern geforderten Pestizidsteuer konnte sich die Koalition nicht | |
durchringen. | |
Um eine gesunde Ernährung zu unterstützen, dürfe es an unter 14-Jährige | |
gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt | |
nicht mehr geben, heißt es im Vertrag. Eine Steuer auf zuckerhaltige | |
Erfrischungsgetränke fehlt. | |
Anders als von Naturschützern verlangt, wird die Agrarpolitik nicht dem | |
Umweltministerium zugeschlagen. Es wird weiter ein eigenständiges | |
Landwirtschaftsressort geben, in dem bisher der Bauernverband großen | |
Einfluss hatte. Allerdings soll es nun von den Grünen geleitet werden, der | |
Partei, die am meisten Umweltschutz in der Branche gefordert hat. Jost | |
Maurin | |
Fortschrittsfaktor: 5 von 10 👎 | |
## Arbeit | |
Das Kapitel „Arbeit“ trägt eine sozialdemokratische Handschrift, auch wenn | |
es deutlich hinter dem SPD-Wahlprogramm zurückbleibt. Kernpunkt ist die | |
Erhöhung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro die Stunde. | |
Damit erfüllt die Ampel eine Forderung der Linkspartei aus dem | |
Bundestagswahlkampf 2017, die sich Olaf Scholz unmittelbar nach der | |
damaligen Wahl zu eigen gemacht hatte. Nachdem sie in der Groko gleichwohl | |
kein Thema war, erhob die SPD die Mindestlohnerhöhung im diesjährigen | |
Wahlkampf zu einer ihrer zentralen Forderungen, Scholz machte sie sogar zu | |
einer Bedingung für eine Regierungsbeteiligung. Schon während der | |
Sondierungsgespräche hatte die FDP denn auch ihren Widerstand dagegen | |
aufgegeben. Die Grünen waren ohnehin dafür. Von der SPD-Ankündigung, die | |
Spielräume der Mindestlohnkommission für künftige Erhöhungen auszuweiten, | |
findet sich allerdings nichts im Koalitionsvertrag. | |
Ebenfalls nicht in die Ampelvereinbarung geschafft hat es das | |
SPD-Versprechen, dass Leiharbeiter:innen künftig ab dem ersten Tag den | |
gleichen Lohn erhalten wie Festangestellte. Auch die Befristung von | |
Arbeitsverhältnissen ohne Sachgrund bleibt, obwohl die SPD sie eigentlich | |
abschaffen wollte. Nur beim Bund selbst als Arbeitgeber soll sie „Schritt | |
für Schritt“ reduziert werden. Immerhin: Um Kettenbefristungen zu | |
vermeiden, sollen mit Sachgrund befristete Arbeitsverträge beim selben | |
Arbeitgeber auf sechs Jahre begrenzt werden. | |
Dünn wird’s gleichfalls beim Thema Mitbestimmung: Dank der FDP auf der | |
Strecke geblieben sind sowohl die SPD-Forderung nach „einer echten Parität | |
in den Aufsichtsräten“ als auch die nach einer Erweiterung des | |
Geltungsbereichs der Mitbestimmung durch Absenkung der Schwellenwerte bei | |
der Unternehmensgröße. Erfreulich: Die Behinderung von Mitbestimmung soll | |
künftig als Offizialdelikt eingestuft werden. Pascal Beucker | |
Fortschrittsfaktor: 5 von 10 👎 | |
## Bildung | |
Ein „Jahrzehnt der Bildungschancen“ will die Ampel anstoßen. Oha. Die | |
öffentlichen Bildungsausgaben sollen steigen, konkrete Zahlen fehlen aber. | |
Auf einem Bildungsgipfel hatten sich Bund und Länder schon 2008 auf ein | |
7-Prozent-Ziel allein für den Bildungsbereich verständigt, es aber nie | |
erfüllt. Gleichwohl will die Ampel auf dieses Format zurückgreifen und | |
einen neuen Bildungsgipfel mit Bund, Ländern und Kommunen einberufen. | |
Der Digitalpakt für Soft- und Hardware, aber auch Wartungspersonal soll als | |
Digitalpakt 2.0 verlängert werden. Eigentlich sind Länder und Kommunen fürs | |
schulische Personal zuständig, aber bis zu 4.000 Schulen in sozialen | |
Brennpunkten will der Bund gezielt mit Sozialarbeiter:innen | |
unterstützen. | |
Das Bafög, das derzeit nur noch 11 Prozent der Studierenden bekommen, will | |
die Ampel „grundlegend“ reformieren und vor allem den Kreis der | |
Empfänger:innen ausweiten, nämlich über eine „deutliche“ Erhöhung der | |
Freibeträge. Der Einstieg ins elternunabhängige Bafög soll, wie von der FDP | |
gefordert, kommen. Ein Teil der Kindergrundsicherung soll direkt an | |
volljährige Bafög-Berechtigte ausgezahlt werden. Wer eine Weiterbildung | |
macht, soll künftig Anspruch auf Bafög haben. | |
Für den wissenschaftlichen Nachwuchs an Hochschulen, der fast gänzlich auf | |
befristeten Stellen arbeitet, verspricht die Ampel das | |
Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das solche prekären Verhältnisse erlaubt | |
zu reformieren. Für Daueraufgaben sollen Dauerstellen geschaffen werden, | |
Karrierewege verlässlicher werden – in welchem Maß, bleibt ungewiss. Anna | |
Lehmann | |
Fortschrittsfaktor: 6–7 von 10 👍 | |
## Digitalisierung | |
Digitalisierung – mit diesem Schlagwort zog so ziemlich jede | |
Wahlkämpfer:in durch die Lande. Kein Wunder also, dass Netzthemen am | |
Anfang des Koalitionsvertrages stehen. Schnell soll es gehen beim Ausbau | |
der Infrastruktur, beim Aufrüsten von Verwaltung und Behörden. Alles ganz | |
bürger:innennah und verbraucher:innenfreundlich. | |
Wer was anordnen darf, soll innerhalb der Bundesregierung neu geordnet und | |
gebündelt werden. Dafür wird Geld in die Hand genommen und ein | |
Digitalbudget geschaffen. Alle Gesetze sollen zudem einem | |
Digitalisierungscheck unterzogen werden. | |
Den Glasfaserausbau und den neuesten Mobilfunkstandard hatten sich auch | |
Union und SPD vorgenommen. Die Erfolge waren eher überschaubar. Das soll | |
sich jetzt ändern – wieder einmal. Aber Vorhaben wie digitale Teilhabe, | |
Barrierefreiheit, Netzneutralität und Nachhaltigkeit in der Digitalisierung | |
sind neu. So sollen etwa neue Rechenzentren ab 2027 klimaneutral betrieben | |
werden. | |
Auch der Datenschutz soll gestärkt werden. Zugänge zu Daten soll es | |
vereinfacht geben, aber eben unter gestärkten Bedingungen. Dazu soll etwa | |
die Datenschutzkonferenz im Bundesdatenschutzgesetz mehr Rechte bekommen. | |
Interessant sind die Ideen gegen Desinformation und Hass im Netz. Die Ampel | |
will etwa ein Gesetz gegen digitale Gewalt auf den Weg bringen, um Hürden | |
für Betroffene abzubauen. Dazu gehören auch Möglichkeiten Konten einfacher | |
zu sperren und auch die Einrichtung einer Bundeszentrale für digitale | |
Bildung. Zumindest soll das geprüft werden. Der Digi-Schub trägt klar die | |
[44][Handschrift von FDP] und Grünen. Tanja Tricarico | |
Fortschrittsfaktor 6 von 10 👍 | |
## Inklusion | |
Behindertenpolitische Themen kamen im Wahlkampf, etwa in den | |
öffentlichkeitswirksamen Triellen, kaum vor. Auch hat sich keine der drei | |
Ampelparteien besonders stark für Inklusion gemacht. Deshalb ist es | |
erfreulich, dass im Koalitionsvertrag der Ampel immerhin zwei Seiten zu | |
inklusionspolitischen Belangen stehen. Viele Punkte lesen sich auch erstmal | |
gut und engagiert. Bürokratische Hürden sollen verringert werden, Zugang zu | |
Veranstaltungen von Bundesministerien und nachgeordneten Behörden soll | |
nicht nur [45][durch räumliche Barrierefreiheit], sondern auch durch | |
Übersetzungen in Gebärdensprache und durch Untertitel ermöglicht werden. | |
Informationen zu Gesetzen und Verwaltungshandeln sollen ebenfalls | |
barrierefrei angeboten werden. Dafür soll ein Sprachendienst in einem | |
eigenen Bundeskompetenzzentrum „Leichte Sprache/ Gebärdensprache“ zuständ… | |
sein. | |
Die neue Regierung will außerdem einen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die | |
[46][Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Behinderung] legen. Dafür | |
sollen Inklusionsunternehmen gestärkt werden, „auch durch formale | |
Privilegierung im Umsatzsteuergesetz.“ Auch soll die Bezahlung von | |
[47][Menschen mit Behinderung, die in Werkstätten] arbeiten, geprüft | |
werden. Den Mindestlohn für WfbM, wie von vielen Aktivist*innen | |
gefordert, sieht der Vertrag allerdings nicht vor. | |
Man kann hoffen, dass man die zukünftige Regierung auf diesen Satz | |
festnageln kann: „Wir verpflichten in dieser Wahlperiode private Anbieter | |
von Gütern und Dienstleistungen, innerhalb einer angemessenen | |
Übergangsfrist zum Abbau von Barrieren oder, sofern dies nicht möglich oder | |
zumutbar ist, zum Ergreifen angemessener Vorkehrungen“. Darüber hinaus | |
sollen die Ausnahmemöglichkeiten des Personenbeförderungsgesetzes (ÖPNV) | |
bis 2026 abgeschafft werden. Aktuell können Verkehrsunternehmen noch | |
mehrere Begründungen anführen, weshalb sie von der generell geltenden | |
Beförderungspflicht, etwa von mobilitätseingeschränkten Personen, befreit | |
sind. [48][Busse und Bahnen müssen bislang noch nicht komplett barrierefrei | |
sein.] | |
Kritik gibt es von einigen Menschen mit Behinderung an dem Satz, dass der | |
Schwerbehindertenausweis durch einen „digitalen Teilhabeausweis“ ersetzt | |
werden soll. Aktivist*innen stören sich daran, dass wieder ein anderes | |
Wort für „Behinderung“ verwendet wird. Denn nicht der Begriff ist | |
diskriminierend und exkludierend, die Barrieren, die Menschen im | |
alltäglichen Leben behindern sind es. Von anderen Menschen war der Begriff | |
„Schwerbehindertenausweis“ aber auch kritisiert worden. | |
Positiv ist es, dass von den real existierenden Hürden für Menschen mit | |
Behinderung im Koalitionsvertrag einige angesprochen werden. Etwa soll auch | |
das [49][Wunsch- und Wahlrecht] sowie die „Etablierung und Nutzung eines | |
Persönlichen Budgets“, erleichtert werden, was mehr finanzielle | |
Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung bedeutet. | |
Auch wird im Vertrag [50][Gewalt gegen Menschen mit Behinderung, | |
insbesondere Frauen mit Behinderung], die davon besonders häufig betroffen | |
sind, explizit genannt und „verbindlichere Maßnahmen zur Verhinderung von | |
Gewalt“ versprochen. | |
Was die vielen angekündigten Gesetze, Maßnahmenpakete und Vorhaben im | |
Einzelnen bewirken werden, bleibt abzuwarten. Auch sind die Ankündigungen | |
zum Teil zu vage formuliert. Einige Punkte decken sich aber mit den | |
[51][Vorschlägen zur Behindertenpolitik] für den Koalitionsvertrag, den die | |
Organisation LIGA, ein Zusammenschluss von Selbstvertretungs-Organisationen | |
behinderter Menschen in Deutschland, formuliert hatte. Würden alle | |
angeschnittenen Punkte im Hinblick auf Inklusion konsequent umgesetzt | |
werden, verdienten sie wohl das Wort „Fortschritt.“ Linda Gerner | |
Fortschrittsfaktor: 6 von 10 👍 | |
24 Nov 2021 | |
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