| # taz.de -- Verkehrspolitiker zum Koalitionsvertrag: „Scheuer hat Papier gesc… | |
| > Stefan Gelbhaar, Verkehrsexperte der grünen Bundestagsfraktion, ist | |
| > unzufrieden mit dem Koalitionsvertrag. Und nicht nur mit dem. | |
| Bild: Was bekommt wie viel Platz? Eine wichtige Frage – im Koalitionsvertrag … | |
| taz: Herr Gelbhaar, Noch-CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer hat über den | |
| [1][Koalitionsvertrag] von SPD, Grünen und FDP gesagt: „Schön, dass die | |
| Ampel meine Arbeit der letzten Jahre fortsetzt.“ Kann es eine | |
| vernichtendere Kritik geben? | |
| Stefan Gelbhaar: Andreas Scheuer wollte eine kleine Stinkbombe werfen, das | |
| hat er geschickt gemacht. Aber der [2][Koalitionsvertrag] stellt sein Werk | |
| der letzten vier Jahre hart infrage. Nur ein kleines Beispiel von vielen: | |
| die Forschungseinrichtung Zentrum für Mobilität, deren Einrichtung mit | |
| hohen Investitionen Scheuer intransparent nach Bayern vergeben hat. Der | |
| Koalitionsvertrag legt nun fest, dass wir das Zentrum für Mobilität neu | |
| aufstellen werden. | |
| Scheuer mag das Wort „Verkehrswende“ nicht, es kommt auch im | |
| Koalitionsvertrag nicht ein einziges Mal vor. Haben die Grünen ihre | |
| verkehrspolitischen Ziele für anderes verkauft, etwa für eine moderne | |
| Gesellschaftspolitik? | |
| Auch wenn der gesellschaftspolitische Teil des Koalitionsvertrages sehr | |
| gelungen ist: Nein, das ist nicht aus dem Vertrag zu lesen. Ich hätte mir | |
| gewünscht, dass ein paar Sachen konkreter wären. Festzustellen ist, dass | |
| einige Konflikte in der Legislaturperiode gelöst werden müssen, die eben im | |
| Vertrag nicht geklärt sind. Doch das ist in jedem Koalitionsvertrag der | |
| Fall. Aber wir haben zum Beispiel die Antriebswende vereinbart. Das ist | |
| nicht die Verkehrswende, aber ein Teil davon. | |
| Die Antriebswende, das heißt bis 2030 sollen 15 Millionen E-Autos auf | |
| deutschen Straßen fahren. Das ist ungefähr das Ziel, das die Autoindustrie | |
| selbst hat. | |
| Die Zahl stammt vom Umweltbundesamt mit Blick auf die Pariser | |
| Klimaschutzziele. | |
| Nach Befragungen der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur gehen auch die | |
| Hersteller von dieser Menge E-Autos aus. | |
| Die Autoindustrie nennt eine hohe Zahl, damit der Druck zur Errichtung | |
| vieler Ladesäulen da ist, unabhängig davon, wie viele E-Autos wirklich auf | |
| die Straße kämen. Wichtig aber ist doch, dass ab 2030 keine Verbrenner mehr | |
| auf den Markt kommen. Das ist das Ziel. Mit 15 Millionen batterieelektrisch | |
| betriebenen Pkws erfolgt diese Verdrängung. Im Vertrag finden sich dann | |
| auch mehr Punkte als nur die Pkw-Antriebswende: Die neue Koalition steckt | |
| in die Deutsche Bahn nicht nur noch mehr Geld, sondern wir werden die | |
| Infrastruktursparte der Bahn vom Zwang befreien, Gewinne abzuführen. Das | |
| ermöglicht ein gemeinnütziges Arbeiten. Außerdem haben wir vereinbart, dass | |
| die Lkw-Maut ausgeweitet wird und eine CO2-Komponente bekommt. Die | |
| Einnahmen werden künftig nicht nur für die Straße, sondern auch für Bus und | |
| Bahn verwendet werden können. Das ist ein Paradigmenwechsel. | |
| Die Passage zur Radpolitik umfasst einen einzigen Absatz mit 420 Zeichen | |
| ohne konkrete Maßnahmen. Das ist die Länge einer Kurzmeldung. Sind Sie da | |
| als Radpolitiker nicht maßlos enttäuscht? | |
| Ja. Und ein bisschen nein. Ja, weil man natürlich dort viel konkreter hätte | |
| beschreiben müssen, wo die Reise hingeht, was die Idee der künftigen | |
| Radverkehrspolitik sein soll. Nein, weil dort steht, dass der nationale | |
| Radverkehrsplan umgesetzt wird, der eine Vielzahl von | |
| Infrastrukturmaßnahmen und Verbesserungen auch bei Verkehrsrechtfragen | |
| vorsieht. | |
| Der nationale Radverkehrsplan, den Scheuer vor einigen Monaten präsentiert | |
| hat? | |
| Der nationale Radverkehrsplan wurde von der Breite der Zivilgesellschaft | |
| erarbeitet. Herr Scheuer hat keinen Anteil daran, er hat vielleicht drei | |
| Monate vor der Wahl verkündet, dass er jetzt einen Plan hat. Er hat Papier | |
| geschwärzt. Genau darin muss jetzt der Unterschied liegen: dass die Zeit | |
| des Papierschwärzens vorüber ist und wir ins Tun kommen. Entscheidend ist, | |
| ob der neue Verkehrsminister, auch wenn er von der FDP ist, sagt: Da gehe | |
| ich ran. | |
| Und geht [3][der neue Verkehrsminister Volker Wissing] da ran? | |
| Also, wenn der Koalitionsvertrag von der FDP unterschrieben wird, dann gehe | |
| ich von Vertragstreue aus und achte auch darauf. | |
| Mehr als 70 Kommunen in Deutschland würden gerne Tempo 30 einführen. Wieso | |
| räumt die neue Bundesregierung nicht die Hindernisse weg, die dem etwa in | |
| der Straßenverkehrsordnung entgegenstehen? | |
| Da muss man klar sagen, dass die Bündnisgrünen FDP und SPD leider nicht | |
| überzeugen konnten. | |
| Die Grünen haben vor der Wahl gesagt, der Bundesverkehrswegeplan soll | |
| überprüft werden, der den Bau von 850 weiteren Autobahnkilometern vorsieht. | |
| Was wird daraus in den Händen eines FDP-Ministers? | |
| Auch der FDP-Verkehrsminister ist an das Pariser Klimaabkommen gebunden. | |
| Die Paris-Ziele werden mit einer Antriebswende allein nicht erreicht, weil | |
| zum Beispiel auch der Bau von Infrastruktur eine hohe CO2-Relevanz hat. Die | |
| Küstenautobahn A20 soll beispielsweise durch Moore führen, Moore sind | |
| enorme CO2-Speicher. Im Ergebnis: Die Straßenbauprojekte müssen auf den | |
| Prüfstand, zumal wir in Deutschland eh schon das dichteste Straßennetz | |
| weltweit haben. Natürlich würde ich eine Überprüfung durch eine grüne | |
| Verkehrsministerin oder einen grünen Verkehrsminister bevorzugen. Da steht | |
| ja ein gesellschaftlicher Konflikt dahinter. Dieser Konflikt wird jetzt in | |
| einer Koalition bearbeitet, die diesen Konflikt eben auch in ihren Parteien | |
| ausdrückt. In der letzten Legislatur wurde er in der Regierung nicht | |
| ausgetragen. Es wurde einfach gebaut, Stadt wie Natur vernichtet, als ob es | |
| kein Morgen gäbe. | |
| Was ist mit dem Steuerprivileg für Diesel-Käufer:innen? Die entsprechende | |
| EU-Richtlinie, mit der es abgeschafft werden soll und auf die der | |
| Koalitionsvertrag Bezug nimmt, gibt es noch nicht. Wird die neue Regierung | |
| dafür sorgen, dass die Richtlinie kommt? | |
| Wir haben im Koalitionsvertrag und schon in der Sondierungsvereinbarung den | |
| Abbau umweltschädlicher Subventionen vorgesehen, das Dieselprivileg gehört | |
| in diesen Katalog. Wir könnten es meiner Auffassung nach auch ohne die | |
| EU-Richtlinie abschaffen, aber das ist jetzt erst mal die Vereinbarung. | |
| An diesem Punkt könnte nicht nur die FDP, sondern auch die SPD bremsen. | |
| Das ist im Verkehrsbereich an vielen Stellen so. Jedoch liegt jeder, der | |
| gedacht hat, die Arbeit wäre mit einem Koalitionsvertrag getan, so oder so | |
| falsch. | |
| Der Luftfahrtbranche geht es wegen der Coronakrise schlecht. Jetzt wäre der | |
| Zeitpunkt für Veränderungen. Aber es bleibt bei klimaschädlichen | |
| Kurzstreckenflügen, eine Erhöhung der Luftverkehrsabgabe soll mit Hinweis | |
| auf die Krise erst ab 2023 geprüft werden. Verliert die Ampel da nicht | |
| wichtige Zeit? | |
| Wir haben im Bereich Luftverkehr bei den Emissionen ein paar positive | |
| Zielbestimmungen vorgenommen. Bei den angesprochenen Punkten werden wir uns | |
| in der Legislaturperiode zusammensetzen müssen, um zu | |
| klimaschutzfreundlichen Lösungen zu kommen. Da liegt noch ein Stück Arbeit | |
| vor uns. | |
| Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie bewerten Sie die Verkehrspolitik im | |
| Koalitionsvertrag der Ampel? | |
| In der Mitte. Weil es darauf ankommt, was wir daraus machen. | |
| 2 Dec 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.spd.de/koalitionsvertrag2021/ | |
| [2] /Einigungen-der-Ampel-Parteien/!5817741 | |
| [3] /Kuenftiger-FDP-Minister-provoziert-Gruene/!5814750 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Krüger | |
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