# taz.de -- Münchner Kunstaktion gegen SUVs: Verrottende Geländelimousinen | |
> Die Künstlerin Folke Köbberling kommentiert die irrationale Liebe der | |
> Deutschen zum Auto mit drei kompostierbaren SUV-Installationen in | |
> München. | |
Bild: Hausfrauenpanzer wie noch nie: Open-Air-Installation von Folke Köbberlin… | |
Der BMW X4 ist schon etwas ramponiert, seit gut einem Monat steht er in der | |
Münchner Maxvorstadt. Das lehmige Braun ist mit schwarzen Flecken der | |
Verwitterung überzogen, ein Frontlicht herausgebrochen. Seine Konturen | |
gleichen noch dem Originalzustand – Kotflügel, Stoßstange, Reifen. Doch der | |
Verfall, die Zersetzung haben begonnen. Dieser Freiluftinstallation | |
prophezeit die Berliner Künstlerin Folke Köbberling: „Der wird weich, dann | |
richtig schlaff. Die Form zerfällt, er löst sich auf.“ | |
Für ihr Kunstprojekt „Mash & Heal“ hat Köbberling drei SUVs auf Münchner | |
Stadtplätze verteilt. Ihre Karosserie ist nicht aus Blech und Lack, die | |
Autos sind aus organischem Material. Wolle und Pappe, Samen und Lehm. „Der | |
Weizenkleber hält das gut zusammen“, weiß Köbberling. Ein Jahr lang werden | |
die Pkw-Imitate stehen bleiben. | |
Im Gegensatz zu [1][echten SUVs, den überdimensionierten Statussymbolen von | |
auto-affinen] Wohlhabenden, leben diese Objekte. Es sind Abdrücke von | |
tatsächlichen Autos, die Mietwagenverleiher der Künstlerin zur Verfügung | |
gestellt haben. Sie verrotten. „Es sind schon Ameisen rausgekrabbelt“, | |
berichtet die Künstlerin der taz, „und Bienen haben nachgeguckt, was da | |
ist.“ | |
## Junkitecture am Sendlinger-Tor-Platz | |
Für Folke Köbberling ist es nicht das erste Mal, dass sie die Stadt als Ort | |
von Zersetzungs- und Kreislaufprozessen nutzt. Mit ihrem langjährigen, vor | |
einigen Jahren [2][verstorbenen Partner Martin Kaltwasser] hatte sie etwa | |
2010 in London ein voll funktionsfähiges rezykliertes Theater aus alten | |
Paletten, weggeworfenen Türen und alten Bühnenbildern erbaut. Autor | |
Jonathan Glancey fand im britischen Guardian auch gleich den Begriff | |
„Junkitecture“ für diese Form von Architektur. In München stehen die | |
Kompost-SUVs auf hoch frequentierten Plätzen, etwa am Sendlinger Tor. | |
Dabei sind solch schwergewichtige Autos ohnehin Teil des Straßenbilds, | |
München ist die Stadt der SUVs. Laut Statistischem Amt waren im Februar | |
2024 allein 105.931 SUVs in Bayerns Landeshauptstadt registriert, 14 | |
Prozent der zugelassenen Pkws. In den letzten Jahren legten sich die | |
Münchener:innen ständig SUVs zu. Seit 2014 ein Anstieg um 400 Prozent, | |
aller Diskussionen über Klimawandel oder Verkehrswende zum Trotz. | |
Folke Köbberling, Jahrgang 1969, hat schon einigen Kontakt gehabt mit | |
Passanten, die zwangsläufig zu Besuchern ihrer Freiluftkunst werden. Manche | |
sprechen dann über die nachgeformten Automodelle – ein BMW X4, ein Audi Q5 | |
und ein Ford Ranger. Andere würden die dahinrottenden Pkws an | |
archäologische Ausgrabungen erinnern, wieder andere vernehmen einfach nur | |
den Kompostgeruch. | |
## Umweltschädliche Taktgeber | |
Klar hat das Ganze – „Mash & Heal“ ist Gewinner eines Kunstwettbewerbs der | |
Stadt München – auch einen pädagogischen Zeigefinger. Wie sehr Autos den | |
städtischen Raum einnehmen. Dass sie zur Versiegelung führen. Dass sie | |
schädlicher Taktgeber sind. Und so weiter. | |
Doch ziehen diese Autos aus zerstampftem Naturmaterial auch an, mit ihrer | |
Anmutung eines Misthaufens in der City, ihrer Ästhetik der Verrottung. | |
Im Oktober 2025 kommt es nach Köbberlings Konzept zur „Prozession der | |
kompostierten Autos“. Ein bisheriger Parkplatz in der Stadt – man sucht | |
noch nach einem – wird aufgebrochen, entsiegelt, die verfallenen SUVs | |
werden in die Grube geschüttet. Beerdigung plus Feier und Schmaus – in | |
Bayern sagt man dazu: „A scheene Leich“. | |
1 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] /SUVs-in-der-Stadt/!6029441 | |
[2] /Nachruf-auf-Martin-Kaltwasser/!5890292 | |
## AUTOREN | |
Patrick Guyton | |
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