# taz.de -- Theaterstück zur Klimakrise: Der vierte See ist Nihilist | |
> Eine deutsch-tschechische Koproduktion über Klimawandel: „Ufer des | |
> Verschwindens“ läuft im A Studio Rubin Prag und am Berliner Theater | |
> unterm Dach. | |
Bild: Der Langlaufski kann nichts dafür, Szene aus „Ufer des Verschwindens“ | |
„Sie sind ein See. Möchten Sie gerettet werden? Was erwarten Sie sich von | |
der Zukunft?“ Alexandra Finder peitscht diese Fragen vier Mal über die | |
Bühne. Ingo Tomi antwortet als Personifizierung der Seen auf die erste | |
Frage drei Mal mit „ja“. | |
Was die Zukunft betrifft, haben die Gewässer unterschiedliche | |
Erwartungshaltungen: Der erste See wünscht sich, dass es endlich regnet, | |
der zweite wirksame Investitionen gegen Klimafolgeschäden. Der dritte See | |
hofft auf das Ende von Menschheit und Kapitalismus. Der vierte See ist | |
Nihilist. Zukunft wird nicht mehr stattfinden, ist seine Ansicht. Darum | |
lehnt er jegliche Rettung ab, zeigt aber Empathie für die „armen Fische“, | |
die dann keinen Lebensraum mehr haben. | |
Matthias Naumann und Dagmar Fričová haben „Ufer des Verschwindens“ | |
gemeinsam erarbeitet. Die Prager Autorin und der Berliner Dramatiker kennen | |
sich seit 2019 und haben ihr Projekt, ein [1][Theaterstück über den | |
Klimawandel] zu verfassen, langsam reifen lassen. | |
## Schreibprozess im selben Raum | |
Beide saßen während des Schreibprozesses im selben Raum und reagierten in | |
einem auf zwei Rechnern geöffneten Textdokument aufeinander. Für Fričová, | |
die hier begonnen hat, auf Deutsch zu schreiben, war der besondere | |
Glücksmoment dieser sich ständig wiederholende Moment der Überraschung, | |
wenn Naumann etwas geschrieben hatte, dass sie so nicht erwartet hatte und | |
auf das sie nun reagieren musste. | |
Herausgekommen ist ein dystopisch-poetischer Text, der im Mikrokosmos See | |
und an seinen Ufern spielt. Der die Menschen vor Ort, den See und Bäume | |
reden lässt. Im Heute verortet, wagt sich der Text in alle drei Zeitebenen | |
vor. Das ist spannend und trägt in sich einen Hauch verträumter | |
Situationskomik, wenn Fričová/Naumann einen Jugendlichen der Jetztzeit auf | |
seinen Urururopa treffen lassen. Der 1866 Geborene taucht auf einmal auf. | |
Er war nur „kurz“ im „Garten der Fische“ bei den Seegeistern, bis ihn e… | |
Plastikflasche, die in den See gefallen ist, an das „oben“ erinnerte. | |
Herzstück der Szenenmontage, in der es immer wieder um den | |
Generationskonflikt geht, ist ein Mädchen, das aussteigt – aus Protest | |
gegen eine Gesellschaft, die die Realität des Klimawandels bewusst | |
ignoriert bzw. negiert, um den eigenen Lebensstil beibehalten zu können. | |
## Der Wald trocknet aus | |
Das Mädchen geht in den Wald, der immer mehr austrocknet, und will erst | |
wieder zurückkehren, wenn sich diese Gesellschaft fundamental ändert. Ihr | |
Manifest erzeugt eine Massenbewegung von Jugendlichen, die ihre Familien | |
und die von den Erwachsenen geschaffenen Realitäten verlassen. | |
Einen leisen, traurigen Witz trägt in sich der Zukunftstext, der den | |
Schlussakkord des Stücks bildet. Er versucht sich an einer Analyse der | |
Überreste unserer Epoche, deutet die zahlreichen Plastikflaschen als | |
transparente Opfergefäße und die Skelette vieler jung verstorbener Menschen | |
als Opfer für die Götter: „Wir vermuten, das die Situation gegen Ende des | |
Aeternitas-Zeitalters eskaliert ist. | |
Die Aeternitas-Kultur war patriarchal, sodass es nicht möglich war, die | |
älteren und vor allem männlicheren Mitglieder der Gesellschaft, die mächtig | |
waren, zu opfern. Es erscheint einleuchtend, dass sie zunächst einzelne | |
Kinder und Jugendliche in der Natur geopfert haben … Und als die | |
Veränderungen immer stärker wurden, wurden ganze Gruppen junger Menschen | |
geopfert.“ | |
## Soziale Frage diskursbeherrschend | |
Die „Fridays for Future“-Bewegung war auch in Prag sichtbar, erinnert sich | |
Fričová. In der tschechischen Provinz aber sei Klimawandel kein Thema, dort | |
beherrsche die soziale Frage den Diskurs, sagt sie. Und so wird die | |
tschechische Übersetzung des Textes in der Prager Freien Szene, im A Studio | |
Rubin, vor einem überwiegend studentischen Publikum aufgeführt. | |
Naumann bringt den Text mit seinem Theaterkollektiv „Futur II Konjunktiv“ | |
im [2][Berliner Theater unterm Dach] auf die Bühne. Vorige Woche trafen | |
beide Inszenierungen beim Festival für deutsche Dramatik Prag im A Studio | |
Rubin aufeinander. Im Januar kommt die Prager Inszenierung nach Berlin. | |
Möglich gemacht durch die Projektförderung des deutsch-tschechischen | |
Zukunftsfonds. | |
In der Prager Inszenierung stürzen sich Jana Kozubková, Tereza Hof, Halka | |
Třešňáková spielfreudig auf die Situationskomik, die dem Text | |
eingeschrieben ist. Im Vergleich dazu ist das Spiel von Alexandra Finder | |
und Ingo Tomi steriler. In Berlin hat der Text über weite Strecken die Aura | |
einer etwas trockenen Versuchsanordnung, während er in Prag Fleisch ansetzt | |
und lebt. | |
Die kluge Verbindung von Unterhaltung und Ernsthaftigkeit ist hier der | |
Türöffner zum Text. Den Schlussmonolog, der aus der Zukunft zu uns spricht, | |
lässt Lucie Ferencová auf die Bühnenrückwand projizieren, davor simulieren | |
kleine Säulen einen Museumsraum. Der Regisseurin gelingt hier das Bild | |
einer gespenstischen Zukunft, das sich einbrennt. In Berlin machen die | |
vereinzelten Kunstbäume, die auf der Bühne rumstehen, depressiv. Vor dem | |
Theater, im Prenzlauer Berg, rasen die Autos durch die Nacht. | |
21 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] /TC-Boyles-Blue-Skies-im-Theater/!6036874 | |
[2] /Theater-unterm-Dach-digital/!5774008 | |
## AUTOREN | |
Katja Kollmann | |
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