# taz.de -- Klimabilanz Burgtheater: Hinter den Kulissen | |
> Wie nachhaltig arbeitet das Wiener Burgtheater? Darüber hat die | |
> renommierte Kulturinstitution eine Klimabilanz erstellt. Sie fällt | |
> ernüchternd aus. | |
Bild: Seit Juni 2023 in Betrieb: Photovoltaikanlage auf dem Dach des Wiener Bur… | |
Das Burgtheater an der Wiener Ringstraße gehört zu den Monumenten der | |
industriellen Gründerzeit. Und es ist eine Fabrik zur Produktion | |
immaterieller Güter, in der etwa 500 Menschen arbeiten. Von der der Straße | |
zugewandten Seite kriegt man zunächst nicht viel davon mit. | |
Die Fassadenarchitektur übersetzt Ökonomie ins Ästhetische und verbirgt die | |
zugrunde liegenden Herrschaftsverhältnisse in der Symmetrie antikisierender | |
Formen und mythologischer Anspielungen. | |
Auch der Zuschauerraum verbirgt die dahinterliegenden Machinationen. | |
Traditionelle Ästhetik kann Kunst nur als Produkt, nicht als Produziertes | |
beschreiben. [1][Das Genie des 19. Jahrhunderts hat keine schmutzigen | |
Hände], es sei denn von Theaterblut. | |
## Leichte Rußschwärzung | |
Wenn man aus der zentralen Ansicht des Gebäudes heraustritt, erfasst der | |
Blick etwas von der Materialität hinter der architektonischen Inszenierung. | |
Neben Solarpanels auf den Dachflächen sieht man Kamine mit leichter | |
Rußschwärzung an ihren Öffnungen. Als dieses Gebäude entstand, war es noch | |
ein gutes Zeichen, wenn der Schornstein rauchte. | |
Heute dokumentiert Umweltmanagement die Mengen an Roh- und Hilfsstoffen, | |
Energie und Halbfertigprodukten, an Abfällen, Wiederverwertbarem, | |
Einzusparendem, die in der Produktion und im laufenden Betrieb von | |
Theatervorstellungen anfallen. Die Betriebsstätten des Burgtheaters | |
produzierten in der letzten vollständigen Spielzeit vor der Pandemie über | |
zehn Monate 87 Tonnen Abfall. | |
Davon waren drei Tonnen gefährlichen Abfall. Insgesamt wurden etwas über | |
260 Tonnen Kohlendioxid zur Erzeugung von Wärme zur und Bereitstellung von | |
Mobilität ausgestoßen, mehr als 4.000 Megawattstunden Gesamtenergie für | |
Wärme und Elektrizität bei einer zu beheizenden Nutzfläche von mehr als | |
35.000 Quadratmetern verbraucht; dazu fast 9.000 Kubikmeter Wasser und bis | |
zu 5.000 Kilogramm Papier. | |
## Papierverbrauch senken | |
Deren Dokumentation soll die Produktion nach innen und außen transparent | |
machen, auf Mitarbeiter:innen einwirken, nachhaltiger zu werken, den | |
Papierverbrauch zu senken, zur betriebsbedingten Mobilität Flugbewegungen | |
und die Nutzung von Verbrennungsmotoren zu reduzieren und nicht zuletzt den | |
guten Ruf der eigenen Institution in der Öffentlichkeit sichern. | |
Die Instrumente zur Beförderung von Nachhaltigkeit sind zunächst weder | |
branchenspezifisch, noch hat das Burgtheater damit ein | |
Alleinstellungsmerkmal im Kulturbereich. Seine Betriebe leben von | |
Reputation. Besonders Theater sind angesichts ihrer gerade halbwegs | |
überstandenen Publikumskrise und der fast ausschließlichen Abhängigkeit von | |
öffentlicher Finanzierung darauf angewiesen, zu „den Guten“ zu zählen. | |
Um als Orte gesellschaftlicher Selbstverständigung auch weiterhin ernst | |
genommen zu werden, kommen sie nicht umhin, die Klimakrise als drängendstes | |
Zukunftsproblem zumindest auf der institutionellen Ebene anzugehen, wo | |
seine Behandlung in künstlerischen Handlungsfeldern noch in den | |
Kinderschuhen meist plakativer Verkündigungen steckt. | |
## Nachhaltigkeit ergänzt Projekte | |
Die Kulturstiftung des Bundes arbeitet seit mehr als einem Jahrzehnt mit | |
Projekten zum Schwerpunkt „Über-Lebenskunst“. 19 Theater, Museen, | |
Gedenkstätten, Musik- und Literatureinrichtungen in Deutschland ziehen seit | |
2021 ihre Klimabilanz. Wer im Kontext temporärer Projekte arbeitet, stellt | |
fest, dass Nachhaltigkeit die außerkünstlerischen Kriterien ergänzt, die | |
künstlerische Arbeit dem Dilemma aussetzen, einerseits frei und | |
widerspruchsbereit zu sein, andererseits lohnenden gesellschaftspolitischen | |
Zielen zu dienen. | |
Für sein Umweltmanagement wurde das [2][Burgtheater] österreichweit | |
ausgezeichnet und europäisch zertifiziert. Eine Klimakonferenz zu diesem | |
Anlass bietet ein Lehrstück über Inhalte, die der Verarbeitung im Rahmen | |
fiktionaler Dramatik (noch) nicht oder nur unterkomplex verfügbar sind. | |
Man gewinnt dabei interessante Einsichten in eine Art Sekundärökonomie, | |
die der Nachhaltigkeitsdiskurs hervorgebracht hat. Ihr Gut ist die | |
Reputation, Transparenz ihre Währung, die Zertifizierung ihr Wertpapier und | |
Greenwashing ihre einschlägige Betrugsform. Appelle zur Klimakrise bleiben | |
durchweg individuell adressiert, fokussieren auf jenen „Fußabdruck“ des | |
Einzelnen, des Unternehmens oder der Institution. | |
## Natürliche Kreisläufe | |
Das Ideal ist die Wiederinstandsetzung natürlicher Kreisläufe, die die vom | |
Menschen verursachten Schäden irgendwann wieder einreguliert, ähnlich der | |
„unsichtbaren Hand“ der Marktideologie. Der Nachhaltigkeitsdiskurs setzt | |
erstaunlich wenig auf direkte Eingriffe durch Ge- und Verbote, auch die | |
Internalisierung der Kosten schädlichen Verhaltens bleibt vom Dosenpfand | |
bis zur CO2-Abgabe rudimentär. | |
Das führt zu einer Art von zweitem Geschäftsbericht, der nicht die | |
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sondern den gesellschaftlichen good | |
will verbürgt. Gutes tun und darüber reden – im Sinne der | |
Nachhaltigkeitsökonomie hat das Burgtheater an diesem Tag alles richtig | |
gemacht. | |
Was aber heißt das alles für die Kunst? Die Manufakturbetriebe der | |
darstellenden Kunst steigen noch glimpflich aus beim Thema Nachhaltigkeit. | |
Richtig schmutzig wird es erst in industrialisierten Produktionsformen wie | |
Filmproduktion; Konzerte und Großveranstaltungen, aber auch digitale Medien | |
sind in hohem Maß energieintensiv. Doch genügt es in der darstellenden | |
Kunst nur die Hardware zu bilanzieren und von ihrer gesellschaftlichen | |
Interaktion abzusehen? | |
## Permanent im Flieger | |
Ein Starsystem, schnell wechselnde Programme konkurrieren in vielen | |
Theatern, Opernhäusern und auch Museen um das rare Gut öffentlicher | |
Aufmerksamkeit. Ihre Global Player sitzen – wie das zahlungskräftige | |
Publikum – permanent im Flieger. Sorgen Festivalauftritte tatsächlich für | |
Internationalität, oder bräuchte es nicht Entschleunigung, um auch | |
länderübergreifende Kooperation nachhaltiger zu gestalten? | |
Schließlich kommt die bisherige Angebotsorientierung der Kulturpolitik an | |
ihre Grenzen. Statt der fortlaufenden Optimierung von Veranstaltungs- und | |
Auslastungszahlen stellt sich die Frage nach dem cui bono: Für wen arbeitet | |
der Kulturbetrieb in einer kommenden Gesellschaft? | |
20 Oct 2023 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Uwe Mattheiß | |
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