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# taz.de -- Die Causa Teichtmeister: Kunst und Verbrechen
> Die Aufregung über den Fall Florian Teichtmeister berührt auch die
> Glaubwürdigkeit von Kunst. Es geht um Vertrauen, Hierarchien und
> Marketing.
Bild: Wo die Kunst gekürt wird: Florian Teichtmeister bei der Verleihung des N…
Die Veröffentlichung der Anklage gegen den Wiener Burg- und
Filmschauspieler Florian Teichtmeister – ihm wird der Besitz von 58.000
Darstellungen des Missbrauchs von Kindern vorgeworfen – hatte im
Tagesrhythmus die österreichischen Schlagzeilen bestimmt. An die Stelle des
medialen Scherbengerichts tritt nun eine revolutionäre Errungenschaft des
bürgerlichen Staates, der öffentliche Strafprozess. Ab 8. Februar werden am
Wiener Landgericht jene Vergehen verhandelt, die Teichtmeister zur Last
gelegt werden.
Wie auch immer das Urteil ausfallen wird, was geschehen ist, kann es nicht
mehr beheben. Aber es bekräftigt und erneuert den gesellschaftlichen
Konsens darüber, was um keinen Preis sein soll, auch wenn es unerkannt,
irgendwo und nahezu täglich geschieht. Juristisch wäre der Fall damit
erledigt.
Jenseits der Sphäre des Rechts geht er erst richtig los. Für Teichtmeisters
Arbeitgeber:innen in Theater, Film und Fernsehen, für das
Selbstverständnis und die Reputation des Kulturbetriebs, ja sogar für das
breite Publikum selbst, das den Schauspieler zu einem seiner Lieblinge
erkor.
[1][Als die Ermittlungen schon liefen], Teichtmeister längst durch
Vernehmungen und Therapien ungefiltert in seine Abgründe blickte, seiner
Arbeitsumgebung dennoch die gern geglaubte Botschaft lieferte, an den
Vorwürfen gegen ihn sei „nichts dran“, ging seine Karrierekurve noch einmal
steil nach oben. So ist ein guter Teil des öffentlichen Erregungspotenzials
in der Causa wohl auch Abwehr und Abfuhr der Zuneigung, die dem
Publikumsliebling bis vor Kurzem entgegengebracht wurde.
Burgtheaterdirektor Martin Kušej, aber auch Marie Kreutzer, die Regisseurin
des Films „Corsage“, hielten Teichtmeisters Erzählungen für glaubhaft. Ab…
was folgt daraus für eine Ethik künstlerischer Zusammenarbeit? Hierarchien
im Theater und am Filmset sind auch Hierarchien darin, wer wem was
glaubt. Die österreichische Filmwirtschaft hatte schon als Resultat der
MeToo-Debatte begonnen, eine unabhängige Anlaufstelle für die Branche
einzurichten.
## Gibt es nicht Fürsorgepflichten?
Gibt es nicht auch Fürsorgepflichten für die übrigen Künstler:innen?
Gemeinsam zu singen, zu tanzen oder zu spielen erfordert zweifellos eine
breitere Vertrauensbasis als einander im Großraumbüro gegenüberzusitzen.
Und wie steht es um die Sorge für den Beschuldigten? Wenn doch „nichts
dran“ sein sollte, müsste man nicht erst recht besser Bescheid wissen, um
diese Behauptung zu stützen?
Diejenigen, die jetzt für sich beanspruchen, im guten Glauben gehandelt zu
haben, müssen sich die Frage gefallen lassen, ob nicht doch auch auf
vermeintlichen Marktwert spekuliert wurde. Ein Risiko, das jetzt zum
Totalausfall führen kann. Martin Kušej hatte Teichtmeister in einer
Produktion in der Hauptrolle besetzt, die für sein damaliges Ansinnen, das
Burgtheater für weitere fünf Jahre zu leiten, nicht unwichtig war.
„Nebenan“ von Daniel Kehlmann ist vorerst vom Spielplan genommen.
Ohne Franzl (Teichmeister spielte Kaiser Franz Josef in „Corsage“) kein
Sisi-Film, auch wenn [2][Marie Kreutzer den Mythos aus einer feministischen
Perspektive] neu betrachtet. Der feministische Gehalt des Films scheint in
der Rezeption kaum mehr darstellbar, auch wenn die Tatvorwürfe gegen
Darsteller den Filminhalt nicht tangieren. Ein Unterstützungsaufruf
prominenter österreichischer Künstler:innen für Kreutzer und „Corsage“
wird kaum verhindern, dass der Film sein kommendes Publikum vermehrt unter
Archivar:innen findet.
Es entsteht tatsächlich das Unzeitgemäße einer tragischen Konstellation,
für etwas schuldlos Beschädigtes die Verantwortung zu übernehmen und auf
die weitere Verwertung zu verzichten. Das wäre zumindest eine
Handlungsoption.
Solche Überlegungen gehen weit über das hinaus, was man aufbieten muss, um
juristisch aus dem Schneider zu sein. Künstler:innen sind nicht zwingend
besser als andere Gruppen der Gesellschaft, auch bleibt das Feld der Kunst
von deren Abgründen keineswegs verschont. Aber ist von den darin Handelnden
aufgrund der besonderen Freiheit und Aufmerksamkeit, die ihnen die
Gesellschaft entgegenbringt, nicht mehr zu erwarten als der Minimalkonsens
der Gesetze?
## Autonomie der Kunst
Autonomie der Kunst ist nicht Anomie, gleichsam Narrenfreiheit für Genies
und solche, die es werden wollen. Sie kann nur bedeuten, dass die Kunst
Regeln und Normen in und aus der eigenen Praxis entwickelt. Dass Ethik und
Ästhetik letztlich eins sind oder zumindest ein und dieselbe Medaille von
zwei Seiten betrachtet, ist keine besonders originelle Einsicht in der
Philosophiegeschichte. Sie spannt sich von Aristoteles bis Ludwig
Wittgenstein.
Die Kunst ist in der Geschichte der Aufklärung zu ihrer wirksamsten
Wahrheitsdroge geworden. Das Theater, die „moralische Anstalt“ und ihre
medialen Weiterentwicklungen gehen in ihren Botschaften an das Publikum, in
ihrer Reflexion darüber, was der Mensch ist und darüber, wie die Menschen
handeln sollen, weit über rechtliche Normen hinaus. In der Praxis der Kunst
stößt man dagegen immer wieder auf blinde Flecken, dort wo es um
Hierarchien, Machtmissbrauch, Intransparenz und gesellschaftliche Exklusion
geht. Der Anspruch auf Autonomie erfordert letztlich, den
Produktionsprozess der Kunst zu ihrem Gegenstand zu machen.
Die Debatte über moralische Anforderungen der Gesellschaft an die Kunst
fällt nicht gerade leicht, auch weil sie noch immer von der Erinnerung an
die eigene Durchsetzungsgeschichte gegen falsche Autoritäten und aktuelle
Gefährdungen belastet ist. Gegen das Diktat der Religion und die
überschießenden Ansprüche des Staates, so die romantische Vorstellung,
schien einst nur die Übertretung des von irdischen Regeln ungebundenen
Genies der Kunst den Weg zu neuen Ufern zu weisen. Allein, Kriminelle von
heute haben mit bahnbrechenden Libertins der Frühaufklärung und genialen
Meuchelmördern der Renaissance nichts mehr zu tun.
30 Jan 2023
## LINKS
[1] /Corsage-Star-angeklagt/!5908074
[2] /Film-Corsage-in-den-Kinos/!5862588
## AUTOREN
Uwe Mattheiß
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Theater
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