# taz.de -- Film „Corsage“ in den Kinos: Monarchin wider Willen | |
> Die Regisseurin Marie Kreutzer erzählt das Leben der Kaiserin Elisabeth | |
> neu. Mit dem Kitsch der „Sissi“-Filme hat „Corsage“ nichts mehr gemei… | |
Bild: Aus der Zeit gefallen: Rolle alt (Sissi: Vicky Krieps), Fenster neu | |
Zwei in Schwarz gekleidete Frauen stehen mit dem Rücken zur Kamera. Sie | |
blicken auf die weiße Badewanne vor ihnen herab, in der eine weitere Frau | |
liegt. Ihr Kopf ist unter Wasser, die Augen geschlossen, der Körper | |
bekleidet. „Sie macht mir so eine Angst“, flüstert die eine Kammerzofe der | |
anderen zu. „Jetzt zähl mit!“, ermahnt die andere sie. | |
Dann herrscht wieder Stille. Bis die Kaiserin (Vicky Krieps) endlich | |
auftaucht, begierig Luft in ihre Lungen einzieht, nur um sich umgehend | |
danach zu erkundigen, wie lange sie durchgehalten hat. Ungefähr eine | |
Minute, ist man sich nach einem kurzen Wortwechsel einig. | |
Der wundersame Ablauf scheint fester Teil einer noch wundersameren | |
Morgentoilette zu sein. Als nächstes wird die Taille der Kaiserin – in ein | |
enges Korsett gezwängt – ausgemessen. „Enger!“, fordert sie mit Nachdruc… | |
Danach wird ihr eine schlichte Brühe gereicht, während sie einem Bericht zu | |
den neuesten Entwicklungen in der K.-u.-k.-Monarchie folgt. | |
Bereits diese ersten Bilder von „Corsage“ unterstreichen, dass es | |
Regisseurin und Drehbuchautorin Marie Kreutzer auf eine radikale | |
Neuerzählung des Lebens der Kaiserin Elisabeth von Österreich (1837–1898) | |
abgesehen hat. Radikal vor allem, weil ihre Darstellung der Monarchin kaum | |
stärker von ihrem weiterhin vorherrschenden Image als unbescholtene | |
Wohltäterin abweichen könnte, das die „Sissi“-Trilogie von Ernst Marischka | |
zeichnete. | |
In den beliebten Heimatfilmen der 1950er Jahre wurde ihre Biografie zu | |
gefälligem Kitsch verarbeitet, die Ehe mit Kaiser Franz-Joseph I. in einem | |
romantisch-verklärten Licht präsentiert. Weniger radikal ist Marie | |
Kreutzers Interpretation im Hinblick auf die historische Figur, der sie | |
wesentlich näherkommen dürfte als das alljährliche weihnachtliche | |
Fernsehprogramm. | |
Doch nicht nur die Figurenzeichnung, auch der Fokus von „Corsage“ ist ein | |
gänzlich anderer. Das Historiendrama konzentriert sich auf Kaiserin | |
Elisabeth als Frau im Alter von 40 Jahren, was der damaligen | |
durchschnittlichen Lebenserwartung entspricht. Für eine Frau, der in ihrer | |
Position einzig die Funktion zukommt zu bezaubern, die einzig über ihre | |
Schönheit an Einfluss gewinnen kann, kommt das Prädikat „alt“ einer | |
Verurteilung gleich. | |
Wie unwohl sich die Protagonistin fühlt, die ständig umgeben ist von | |
Beobachtern – seien sie nun Bewunderer oder Kritiker –, äußert sich in | |
ihren alltäglichen Rebellionen. Möchte sie einer Situation entfliehen, | |
täuscht sie mitunter Ohnmacht vor oder verlässt das Bankett mit erhobenem | |
Mittelfinger und dreckigem Grinsen im Gesicht. Wie die historische Vorlage | |
lässt sie sich einen Anker tätowieren und ist wiederholt mit Zigarette zu | |
sehen. | |
„Corsage“ erzählt damit in erster Linie vom Kampf einer Frau, die sich in | |
einem Leben einzurichten versucht, das nicht das ihre zu sein scheint. In | |
dem sich also auch gar nicht einzurichten ist. | |
Der Filmtitel nimmt in dieser Hinsicht viel vorweg: Die Kaiserin ist | |
eingeschnürt in ein Korsett aus Erwartungen, der Druck lastet so stark, | |
dass er ihr kaum Luft zum Atmen lässt. Eigentlich möchte sie sich politisch | |
einbringen, was ihr aufgrund ihres Frauseins aber untersagt wird, auch von | |
ihrem Ehemann (Florian Teichtmeister). | |
## Weiblicher Erwartungsdruck | |
Für die Wiener Filmemacherin Marie Kreutzer ist Erwartungsdruck ein | |
wiederkehrendes Sujet. Der 2016 erschienene Film „Was hat uns bloß so | |
ruiniert“ etwa erzählt von drei befreundeten Paaren, die nahezu | |
gleichzeitig ihr erstes Kind erwarten. Sie schwören sich, mit diesem | |
Schritt nicht der Spießigkeit zu verfallen, müssen aber bald feststellen, | |
welch große Erwartungshaltungen an junge Eltern gerichtet werden. | |
Der wenige Jahre später veröffentlichte Film[1][„Der Boden unter den | |
Füßen“] (2019) handelt wiederum von der jungen Unternehmensberaterin Lola | |
(Valerie Pachner), die eine lieblose Affäre mit einer Vorgesetzten (Mavie | |
Hörbiger) eingeht, die sie zu noch mehr Leistung anstachelt. | |
Zwischen sogenannten „Forty-Eight“-Schichten, also 48-Stunden-Einsätzen | |
ohne Schlaf, versucht sie sich um ihre große Schwester Conny (Pia | |
Hierzegger) zu kümmern, die an paranoider Schizophrenie leidet. Ob des | |
ungemeinen Drucks scheint sie selbst Wahnvorstellungen zu entwickeln. | |
Kreutzer hat dabei die weibliche Perspektive ganz besonders im Blick. Mal | |
durch die Linse der besonderen Rollenanforderungen, die speziell an Mütter | |
gestellt werden, den feinen Grad zwischen an Selbstaufgabe grenzender | |
Fürsorgepflicht und dem Gebot, trotz Nachwuchs ein spannendes Leben zu | |
führen. Mal aus der Sichtweise junger Frauen, die gleichsam Erfolge im | |
Beruf vorweisen und Care-Arbeit für die eigene Familie leisten müssen. | |
## Kreutzer widmet sich erstmals einer historischen Vorlage | |
Das Besondere an Marie Kreutzers Filmen ist, dass sie sich in ihren | |
Beobachtungen niemals mit Plattitüden, sich in ihrer feministischen | |
Grundhaltung nie mit einfachen Phrasen zufriedengibt. Mögen ihre Figuren | |
auch etwas repräsentieren, mit dem sich viele Frauen identifizieren können, | |
zeichnen sie sich doch stets durch eine besondere emotionale Tiefe und | |
Individualität aus. | |
„Corsage“ ist der erste Film, mit dem sich die Regisseurin und | |
Drehbuchautorin einer historischen Vorlage zuwendet. Einer solchen | |
allerdings, die so gestrig gar nicht ist. Das machen fein dosierte Brüche | |
klar, die als Brücke ins Jetzt fungieren. Wiederholt sind moderne | |
Gegenstände wie ein Wischmopp aus Plastik oder ein Feuerlöscher in der | |
Szenerie platziert. An einer Stelle wird „As Tears Go By“ der Rolling | |
Stones auf einer Harfe zum Besten gegeben. | |
Es braucht nicht viel, um daraus eine Kritik an bis heute fortexistierenden | |
Rollenvorstellungen zu lesen, die Frauen weiterhin stark nach ihrem Äußeren | |
beurteilen oder auf repräsentative Tätigkeiten beschränken. Thematisch | |
erinnert der Film so immer wieder stark an [2][„Spencer“ des chilenischen | |
Regisseurs Pablo Larraín]. Darin schlüpft Kristen Stewart in die Rolle der | |
Prinzessin Diana, deren Leben – obwohl zwischen ihren Geburtstagen fast | |
125 Jahre liegen – verblüffende Parallelen aufweisen. | |
Beide Frauen drohten unter dem öffentlichen Druck zu zerbrechen. Beide | |
Filme berichten auf ähnliche Weise vom Gefühl des Eingesperrtseins in einen | |
goldenen Käfig, beide beleuchten ähnliche Formen des Auflehnens dagegen, | |
die mitunter selbstschädigende Züge annehmen – wie die Entwicklung einer | |
Magersucht. | |
## Umfeld leidet unter der narzisstischen Kaiserin | |
Als erbarmungslos in erster Linie gegen sich selbst zeichnet Kreutzer ihre | |
Elisabeth – mitunter leidet aber unter ihrer Wut auch ihr Umfeld. Die | |
Tochter muss sie beim nächtlichen Ausritt begleiten, einer besonders treuen | |
Hofdame verwehrt sie die Heirat schlicht, weil sie selbst nicht auf sie | |
verzichten möchte. | |
Ihr Hang zum Narzissmus zeigt sich in einer besonders intensiven Episode im | |
englischen Northamptonshire, wo sie sich Jagdreiter Bay Middleton (Colin | |
Morgan) annähert. Als sie ihn nachts in seiner Kammer besucht, kommt es | |
nicht etwa zum Seitensprung. | |
„Sie sind der Sonnenschein. Sie sind die Sonne selbst“, trägt er ihr zu, | |
wohl wissend, dass die Bestätigung das Einzige ist, wonach sie bei ihm | |
sucht. Indem die Filmemacherin ihre Protagonistin nicht zur Heiligen | |
verklärt, schützt sie sie entschieden vor einer erneuten, wenn auch anderen | |
Form des Verkitschens. | |
Am Ende ist „Corsage“ trotz all dem Erdrückenden, von dem erzählt wird, | |
selbst kein erdrückender Film. Seien sie auch rar gesät, ist Elisabeth bei | |
aller Ablehnung, die sie durch ihre Familie erfährt, immer wieder in | |
Momenten der Verbundenheit zu sehen. Mit ihrem Cousin Ludwig II. (Manuel | |
Rubey) etwa, der sich – durch seine Exzentrik ebenfalls isoliert und | |
angefeindet – als Seelenverwandter erweist. | |
Durch seine sprachliche Poesie, seine eleganten Bilder und einem | |
pointierten Soundtrack, auf dem sich mit der [3][Musikerin Soap&Skin] eine | |
verwandte Meisterin der Melancholie findet, ist Marie Kreutzer eine | |
ätherische Filmerfahrung gelungen. Man kommt nicht umhin zu glauben, dass | |
die ikonische Vorlage mit dieser Interpretation ihres Lebens glücklicher | |
gewesen wäre als mit der handzahmen Sissi. | |
7 Jul 2022 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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