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# taz.de -- Katzenmaler Louis Wain im Film: Wains World
> „Die wundersame Welt des Louis Wain“ widmet sich dem Leben des als
> Katzenmaler bekannt gewordenen Künstlers. Gegenüber Kitsch zeigt er sich
> tolerant.
Bild: Louis Wain (Benedict Cumberbatch) und Emily Richardson-Wain (Claire Foy)
Katzenvideos sind die Nemesis ganzer Generationen. Millionen entspannen
sich beim digitalen Gemaunze, finden Pfötchen süüüüüüß und haben das
Gefühl, die sanften Augen der Kleinraubtiere schauten ihnen tief in die
Seele. Das war nicht immer so. Katzen galten – im Gegensatz zu treuen
Hunden – lange als irrationale Milbenschleudern, die nichts in der Wohnung
zu suchen haben. Katzen-Abbilder saßen höchstens mal in Wunderland-Bäumen
und grinsten. Aber auch das wirkte eher bedrohlich.
Vermutlich trug Louis Wain einen Anteil am Aufstieg der Katze zur der
Menschen (zweit-)besten Freundin bei: Der britische Künstler malte sie
nicht als räudiges Straßenviech, das an Fischresten aus dem Rinnstein
knabbert. Sondern als anthropomorphe, charakterlich vielfältige, handelnde
Wesen, die in Menschenkleidung interagieren, oder als Vexierbilder vor
ornamentalem Hintergrund.
Ab dem späten 19. Jahrhundert erschienen Louis Wains teilweise surreale
Katzenkarikaturen in der britischen Tageszeitung London News Illustrated
und verwandelten die Leser:innen in „cat people“.
„He made life happier – and cattier“, konstatiert eine Off-Stimme
[1][(Olivia Colman)] in Will Sharpes fiktionalem Biopic „The Electrical
Life of Louis Wain“. Der Film erzählt den Werdegang von Louis Wain
[2][(Benedict Cumberbatch)], der mit fünf jüngeren Schwestern und der
verwitweten Mutter in einem Häuschen im viktorianischen London lebt und
Probleme mit der Rolle als Familienoberhaupt und -ernährer offenbart.
## Der Künstler ist kommunikativ schwierig
Denn Wain, dessen zeichnerisches Talent unverkennbar ist – wenn er für die
Zeitung Landwirtschaftsausstellungen „covert“, strichelt er mit beiden
Händen gleichzeitig seine Eindrücke von wilden Bullen und lieben Kühen aufs
Blatt –, wirkt ansonsten eher seltsam: Cumberbatch gibt den Helden mit
unterm Schnauzer versteckter Gaumen-Lippen-Spalte und mit manische
Arbeitsethik spiegelnden, zuckenden Mikrobewegungen als einen gutmütigen,
doch wirtschaftlich, kommunikativ und gesellschaftlich prekären Charakter.
Auch die Frauen seiner Familie, die kleidertragenden Trollen gleich über
die engen Stiegen des Hauses flattern (Kamera: Erik Wilson), scheinen
außerweltlich. Somit ist die schrullige Truppe, deren unverheiratete
weibliche Mitglieder sich mit noch ganz anderen Etiketten herumschlagen
müssen, der konventionellen britischen Upperclass schon lange suspekt.
Wains Hochzeit mit der neuen Gouvernante der Kinder, Mrs Richardson (Claire
Foy), katapultiert die Wains endgültig ins gesellschaftliche Aus:
Richardson ist, what a scandal, zehn Jahre älter als der 23-jährige Wain.
Und damit „geradezu geriatrisch“, wie die Off-Stimme süffisant anmerkt.
Dem Glück der Jungvermählten tut dies keinen Abbruch. Das Idyll mit
zugelaufenem Kätzchen ist allerdings von kurzer Dauer – Richardson stirbt
drei Jahre später an Brustkrebs. Erst damit entwickelt sich das
schicksalsbestimmende Katzen-Menschen-Band: Kater Felix, den Wain von nun
an besessen malt, wird der Grundstock für den wackeligen Erfolg des
Außenseiters.
Denn, so stellt es Sharpes Film dar, der auf einem mit Simon Stephenson
verfassten Drehbuch basiert, hinter Wains Vorliebe für die so gefährliche
wie respekteinflößende „Elektrizität“, die er zwischen Katzen und Mensch…
wahrnimmt, steckt eine besondere Sicht des Lebens. Oder auch eine schwere
psychische Krankheit.
## Katzen channeln Energien
Sharpes Story, deren Bilder wie hyperkitschige Kalenderblätter oder
artifizielle Prog-Rock-Träume vom Elfenland aussehen, kreist zunächst um
die romantische Liebesbeziehung. Schließlich steigt sie immer mehr ein in
Wains Wahrnehmung – jene Elektrizität, die für „Aura“, oder, wie es ein
Gönner Wains erklärt, für die Liebe zwischen den Menschen stehen könnte,
teilt Wain in „gut“ und „böse“ auf und behauptet, Katzen und Menschen
könnten sie channeln.
Seine Bilder werden zu psychedelischen Spektren mit glänzenden Augen im
Zentrum, zeitgleich beginnt er, die Katzen zu verstehen – Sharpe blendet
fortan in eleganter Schreibschrift Katzenuntertitel ein, die wiedergeben,
was Katzen Tiefgründiges durch das Fellköpfchen gehen könnte: „Ich kann
springen …“, maunzt ein Katzenbaby, „springen!“
Der liebevolle Humor, der neben Sharpes und Stephensons Drehbuch auch aus
allen anderen Gewerken (außer dem verunglückten Score) strömt,
unterstreicht in „The Electrical Life of Louis Wain“ die Toleranz gegenüber
Kitsch einerseits und psychischen Krankheiten andererseits, welche man auch
immer findet.
Denn es geht nicht darum, ob die damaligen und modernen Ärzt:innen (in
der Retrospektive) Schizophrenie, Wahn oder autistische Spektrumsstörung
diagnostizieren. Die trotz des miauenden Animalismus sehr humanistische
Quintessenz wird von [3][Nick Cave], dessen „Ghosteen“-Albumcover motivisch
stark an Wain erinnert, in einer Gastrolle als H. G. Wells zusammengefasst:
„Es ist englischen Katzen peinlich, wenn sie nicht so aussehen und leben
wie Wains Katzen.“ Manchmal möchte man eben einfach in Wains World sein.
21 Apr 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Jenni Zylka
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