# taz.de -- Film über 9/11-Netzwerke: Guantánamo-Thriller | |
> Der Film „Der Mauretanier“ erzählt den wahren Fall des Häftlings | |
> Mohamedou Ould Slahi, souverän gespielt von Taher Rahim. | |
Bild: In Guantánamo einfach „Der Mauretanier“: Mohamedou Ould Slahi (Tahar… | |
Häftling 760 in Guantánamo sei ein „Forrest Gump“ des islamistischen | |
Terrors, behauptet ein ranghoher Militär des amerikanischen | |
Justizministeriums in Kevin Macdonalds Film „Der Mauretanier“. Überall, wo | |
das FBI und Geheimdienste nach den Anschlägen vom 11. September 2001 nach | |
Schuldigen suchten, hatte [1][Mohamedou Ould Slahi] Spuren hinterlassen, | |
genug, um ihn vor einem speziellen Militärgericht zum Tod zu verurteilen. | |
Jetzt gehe es nur noch darum, Indizien schlüssig zu kombinieren und mit dem | |
Geständnis des Insassen abzugleichen. | |
Mit dieser Aussicht auf Vergeltung lässt sich der Militärjurist Stewart | |
Couch (Benedict Cumberbatch) auf die Rolle des Chefanklägers ein. Ein | |
frommer Christ und Kirchgänger, hat er sich die Idee der Rache für den Tod | |
seines Nachbarn, der Pilot eines der entführten Flugzeuge war, zu eigen | |
gemacht. Alles, was zum regelrechten Ablauf des Prozesses nötig ist, sind | |
Beweise, die Slahis Geständnisse wasserdicht bestätigen würden. | |
Als Student der Elektrotechnik in Duisburg war der Mauretanier Anfang der | |
1990er Jahre zeitweilig Al-Qaida-Kämpfer gegen die sowjetische Besatzung in | |
Afghanistan – an der Seite der Amerikaner, wie er immer wieder verzweifelt | |
in den Verhören betont. Später während des Studiums in Duisburg war er | |
zeitweilig Wohnungsgeber für einen durchreisenden Jemeniten, der an den | |
Anschlägen 2001 beteiligt war. | |
Ein entfernter Verwandter und Vertrauter von Osama Bin Laden hatte ihn | |
einmal mit dessen überwachtem Satellitentelefon angerufen und um eine | |
undurchsichtige Geldüberweisung gebeten. Nicht zuletzt war sein Name in den | |
Aussagen verhafteter Terroristen genannt worden, schon als es 2000 um die | |
Hintergründe eines vereitelten Anschlags auf den Flughafen von Los Angeles | |
gegangen war. | |
## Recht auf Verteidigung | |
Slahis Schuld scheint unzweifelhaft belegt durch die „Kooperation“ anderer | |
Häftlinge, dennoch steht ihm das Recht auf Verteidigung zu, ist die | |
Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Nancy Hollander (Jodie Foster) | |
überzeugt. Gegen die um ihr Image besorgten Kollegen der Kanzlei setzt sie | |
resolut ihre Vertretung für den Guantánamo-Insassen durch und macht sich | |
mit ihrer Assistentin Teri Duncan (Shailene Woodley) ohne Vorwissen über | |
das Gefängnis nach Kubas Südküste auf. | |
In Fosters strengen Zügen spiegelt sich der Schock über die Erbärmlichkeit | |
des Lagers und das Ausmaß absurder Kontrollen in diesem „rechtsfreien | |
Raum“. | |
Kevin Macdonalds Thriller fußt auf [2][Mohamedou Slahis | |
Guantánamo-Tagebuch], dem ersten Bericht eines Häftlings über die brutalen | |
Verhör- und Foltermethoden, Demütigungen und Nötigungen, die Donald | |
Rumsfeld, seinerzeit amerikanischer Verteidigungsminister, im „Krieg gegen | |
den Terror“ ausdrücklich genehmigt hatte, um die Vergeltung der | |
Bush-Regierung durch gerichtsverwertbare Aussagen zu legitimieren. | |
Slahis „Vision der Hölle auf Erden“, wie John le Carré den Bestseller | |
nannte, als er 2015 erst zehn Jahre nach seiner Entstehung in zensierter | |
Form endlich publiziert werden konnte, kam auf Veranlassung von Nancy | |
Hollander zustande. Sie brauchte das subjektive Zeugnis Slahis, um | |
juristisch gegen die absolute Geheimhaltung der Originalprotokolle vorgehen | |
zu können. | |
## Scharfzüngige Dialoge | |
Macdonalds Film konzentriert sich in schnellen Schauplatzwechseln eng an | |
den Kontrastfiguren Hollander und Couch. Die scharfzüngigen Dialoge der | |
beiden mit ihren jeweiligen Widersachern im Militärgeheimdienst steigern | |
den Wettstreit zwischen Anklage und Verteidigung um die Herausgabe der | |
Unterlagen. | |
Jodie Foster, mit Silberhaar, rotem Lippenstift und lackierten Nägeln,der | |
Inbegriff einer durch nichts einzuschüchternden Aktivistin, und Benedict | |
Cumberbatch in der Rolle des überzeugten Militärs, der die Todesstrafe | |
rechtfertigt, so lange sie juristisch untermauert ist, liefern sich ein | |
spannendes Duell, nähern sich einander jedoch an im Drama um die Aufdeckung | |
der unmoralischen Seite der Politik und Militärjustiz nach 9/11. | |
Zwischen ihnen nimmt der französische Schauspieler Taher Rahim als | |
Mohamedou Ould Slahi die überragende Hauptrolle ein. Beginnend mit dem | |
Moment, in dem er mit Unterstützung der Anwältinnen seine Unschuld beweisen | |
will, betont der Film die Souveränität, mit der der authentische Slahi | |
seinem unwiderruflich scheinenden Opferstatus begegnet und immer wieder die | |
zentrale Botschaft seiner Kraft zur Vergebung in die Waagschale wirft. | |
Allein in einer winzigen kalten Isolierzelle, dem täglichen barbarischen | |
Ritual der Fesselung auf dem Weg zu den Verhören ausgesetzt und beim | |
Freigang in einem mit ärmlichem Sichtschutz verkleideten Drahtverhau auf | |
bruchstückhaften Kontakt zu einem Mithäftling angewiesen, überrascht er | |
glaubwürdig wie in Slahis Tagebuch als integre, zugewandte, die grausige | |
Absurdität seiner Lage nicht ohne Ironie transzendierende Persönlichkeit. | |
## Nomadische Wurzeln | |
Der authentischen Geschichte folgend kommuniziert Slahi in englischer | |
Sprache, die er sich selbst beibrachte, ohne sich dem dumpfen Jargon seiner | |
Peiniger anzupassen. Slahis Vorleben als Sprössling einer mauretanischen | |
Familie mit nomadischen Wurzeln, der ein Stipendium für sein | |
Elektrotechnikstudium in Deutschland bekommt, wird in Rückblenden und | |
Traumbildern skizziert, auch die Folter, der er ähnlich wie in Abu Ghraib | |
ausgesetzt war, um ein Geständnis zu erzwingen, inszeniert Macdonald wie | |
einen Abriss flackernder Flashbacks, ohne spekulative Zurschaustellung. | |
Nach dem Rückzug des Militäranklägers und Nancy Hollanders Erfolg in einem | |
Gerichtsverfahren 2010, das die Nötigung anerkannte und die Geständnisse | |
für wertlos erachtete, hätte Häftling 760 die Freilassung erwarten können, | |
saß aber nach einem Einspruch der Obama-Regierung in Guantánamo fest, bis | |
er 2015 endlich entlassen wurde. | |
Verheiratet mit einer amerikanischen Anwältin und Vater eines kleinen | |
Sohns, die beide in Deutschland leben, wird Slahi bis heute die | |
Familienzusammenführung verweigert. Die deutschen Behörden verweigern auch | |
seine Einreise zur Premiere seiner Biografie bei der [3][Sommer-Berlinale]. | |
9 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Claudia Lenssen | |
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