# taz.de -- Doku über Leben und Werk Bob Marleys: Verrückte Magier | |
> Das Ende der Heiligenverehrung: Regisseur Kevin MacDonald nähert sich in | |
> der Kinodokumentation „Marley“ mit großer Sorgfalt der jamaikanischen | |
> Reggaelegende. | |
Bild: Die Statue des jamaikanischen Nationalheiligtums vor Marleys Haus in der … | |
Wer Musik liebt und Film, muss leidensfähig sein. Zwar wurde mittlerweile | |
die Geschichte selbst der abseitigsten Post-Punk-Band zumindest für den | |
DVD-Markt filmisch aufgearbeitet, doch die Qualität dieser Werke lässt in | |
neun von zehn Fällen stark zu wünschen übrig – leblose Digitalbilder, | |
nachlässige Montage und Interviews aus Fanperspektive sind nur ein paar der | |
häufigsten Unzulänglichkeiten. | |
Natürlich stehen bei einem Film über den Weltstar Bob Marley ganz andere | |
finanzielle Mittel zur Verfügung als bei vielen anderen | |
Musikdokumentationen, die Sorgfalt mit der Kevin MacDonald („Der letzte | |
König von Schottland“) bei seiner 144-minütigen Aufarbeitung des Lebens und | |
Werks des jamaikanischen Nationalheiligtums vorgeht, ist dennoch alles | |
andere als selbstverständlich. | |
Die prall gefüllte Produktionskasse zeigt sich unter anderem daran, dass | |
hier ein Kameramann wie Alwin H. Kuchler, der schon mit Michael | |
Winterbottom, Lynne Ramsay und Danny Boyle gedreht hat, und Christopher | |
Nolans langjähriger Bildgestalter Wally Pfister nicht viel mehr zu tun | |
hatten, als Interviews zu drehen und bei einem Flug über Jamaikas | |
Hügellandschaft die Kamera aus dem Hubschrauber zu halten. Die Investition | |
zahlt sich dennoch aus, auch bei den scheinbar banalsten | |
Intervieweinstellungen sieht man die Präzision im Bildaufbau, und die | |
Luftaufnahmen der jamaikanischen Hügellandschaften entfalten eine geradezu | |
majestätische Pracht. | |
## Überzeugendes Charisma | |
Bei einem Film über einen Musiker, der vor mehr als dreißig Jahren | |
gestorben ist, kommt es noch mehr auf die Qualität der Archivaufnahmen an. | |
Auch hier gibt es spektakuläre Bilder zu sehen. Allein wie | |
Produzentenlegende Lee „Scratch“ Perry in einer Szene in seinem berühmten | |
Black Ark Studio wie ein verrückter Magier hinter den Reglern tanzt, sollte | |
für Reggae-Fans den Eintritt Wert sein. Die vielen Ausschnitte von | |
Liveauftritten Marleys dürften selbst Skeptiker des Starwesens von seinem | |
Charisma überzeugen. | |
Auch bei diesem Material konnte MacDonald aus dem Vollen schöpfen, nicht | |
zuletzt, weil der Film mit dem Segen der Familie Marleys entstand. Ein | |
Segen und ein Fluch. Ein Segen, weil auch der größte Marley-Fan im | |
mannigfaltigen Material noch Überraschendes finden wird – in einer Bild- | |
und Tonqualität, die jedes YouToube-Video vergessen lässt. | |
Ein Fluch, weil der freie Umgang mit Rechten und Material nicht nur in | |
finanzieller Hinsicht teuer erkauft ist. Dass zunächst Martin Scorsese vom | |
Regiestuhl des Projekts sprang und dann Jonathan Demme, lässt darauf | |
schließen, dass hinter den Kulissen viel um den Film und dessen Ausrichtung | |
gerungen wurde. | |
## Unnahbarer Vater | |
Eine wirklich kritische Würdigung Marleys kann man daher nicht erwarten, | |
doch vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte des Films überrascht es | |
fast, dass „Marley“ nicht mehr Heiligenverehrung betreibt. Die Musikmarke | |
bleibt natürlich unangetastet: Bob, der charismatische Sänger, der Mann, | |
der Reggae zur Weltmusik gemacht hat, der Mann, der mit seiner Musik | |
zeitweise die politischen Gräben in seinem Heimatland schließen konnte. | |
Anders steht es um sein Privatleben: Mehrere seiner elf Kinder von sieben | |
Frauen berichten von einem schwierigen und unnahbaren Vater – dass einem | |
die Person Bob Marley auch nach zweieinhalb Stunden Film kaum näher | |
gekommen ist, liegt weniger am Film als an Marleys Person selber. | |
Recht souverän geht eine noch lebende Person aus dem Umfeld Marleys mit | |
Kritik um: Chris Blackwell, Gründer und Besitzer des Island-Labels, wird | |
von Marley-Mitmusiker Bunny Wailer genüsslich als Chris „Whitewell“ | |
verunglimpft, weil er die Reggae-Musiker aus der Dritten Welt ausgebeutet | |
habe. Als ausführender Produzent von „Marley“ hat er nicht dafür gesorgt, | |
dass diese Szene herausgeschnitten wurde. | |
## „Marley“. Regie: Kevin Macdonald. Mit Rita Marley, Ziggy Marley, Neville | |
Garrick u. a. Großbritannien/USA 2012, 144 Min. Der Film startet am 17. Mai | |
in den deutschen Kinos. | |
17 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Sven von Reden | |
## TAGS | |
Schwerpunkt 9/11 | |
Friedensbewegung | |
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Familie. |