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# taz.de -- Spielfilm „The Report“ zu 9/11 und CIA: Die Folter im Kopf
> In seinem Regiedebüt „The Report“ erzählt Scott Z. Burns von den
> Verhörmethoden der CIA nach 9/11. Er tut das so nüchtern wie
> erschütternd.
Bild: Daniel Jones (Adam Driver) bei seiner Arbeit mit den schier unendlichen A…
Darüber zu berichten, macht ein Grauen nicht ungeschehen. Aber darüber
nicht zu berichten, die Leidtragenden von Straftaten totzuschweigen, die
Täter*innen nicht zu benennen, ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer.
Womit man wortwörtlich beim Thema ist: Im Nachhall der Terror-Anschläge des
11. Septembers, bei denen fast 3.000 Menschen starben und an deren Narben
sich die USA noch heute abarbeiten, entwickelten die US-amerikanischen
Geheimdienste CIA und DIA (Defense Intelligence Agency) eine besondere Art
des Verhörs von Terrorverdächtigen.
Die von Psychologen aufgebrachte, euphemistisch als „advanced interrogation
techniques“ bezeichnete Praxis bestand unter anderem aus Schlägen,
Waterboarding, [1][Musikfolter], Einsperren in sargähnlichen Kisten,
Aufhängen von Gefangenen in „Stresspositionen“, Schlafentzug, sexueller
Erniedrigung und Nahrungsentzug. In Gefängnissen wie Guantánamo und Abu
Ghraib wurden die Techniken an einer bis heute unbekannten Anzahl von
Insassen eingesetzt, wie viele dabei oder an den Folgen starben, ist
genauso wenig bekannt wie ihre Schuldigkeit – manche starben ohne das
angestrebte Geständnis, vielleicht, weil sie bei der Wahrheit blieben.
Die Bush-Regierung hatte die kriminellen Vorgänge autorisiert – das Wort
„Folter“ verbal durch andere Ausdrücke zu ersetzen, war den
Verantwortlichen als Rechtfertigung für massive Menschen- (und
Gefangenen-)rechtsverletzungen ausreichend.
Eine solche wahre Geschichte zu fiktionalisieren, bedeutet, sie im besten
Fall nicht nur im Bewusstsein der Bevölkerung, zumindest dem der
Kinogänger*innen und Netflix-Abonnent*innen zu verankern. Sondern
auch, zu ihrer noch immer nicht ausreichenden Aufklärung beizutragen.
## Bildlich ruhig, aber inhaltlich höchst brisant
Der US-Regisseur Scott Z. Burns, dessen [2][Drehbücher für Steven
Soderberghs Filme „The Informant“], „Contagion“ und „Side Effects“ …
für „The Bourne Ultimatum“ stets den Kampf eines einzelnen Menschen gegen
ein undurchschaubares, mächtiges System thematisierten, inszeniert mit „The
Report“ sein Debüt als Regisseur. Und orientiert sich an bildlich ruhigen,
aber inhaltlich höchst brisanten Polit-Aufdeckungsthrillern wie „Die
Unbestechlichen“ oder „The Insider“: Er befreit seinen Film von klassisch…
Flucht- und Spannungsbombast mit fliegenden Körpern, spritzendem Blut und
quietschenden Reifen.
Denn es passiert fast alles im Kopf – einerseits in dem des jungen
Senatsmitglieds Daniel Jones (Adam Driver), der von der Senatorin Diane
Weinstein (Annette Bening) 2008 den Auftrag erhält, Akten durchzuarbeiten,
die sich irgendwann zu über 6 Millionen Seiten Papier häufen – Tonbänder,
Berichte, Fotos, Protokolle über die Taten der Geheimdienste in den
Gefängnissen, in denen Verdächtige islamistisch motivierten Terrors
einsaßen.
Gleichzeitig passiert es im Kopf der Zuschauer*innen, die ebenso
fassungslos sind wie Jones (dem Driver neben seiner in vielen Filmen
erprobten, unterschwelligen körperlichen Präsenz eine stoische, fast
streberhafte Durchbeiß- Attitüde mitgibt). Jones und das Publikum
erfahren, was den Verdächtigen in den „black sites“, besagten
Aufbewahrungsorten, angetan wurde. Und das ist so grausam, dass weder Jones
noch das Publikum noch das dortige medizinische Personal es ertragen: Ein
Informant erzählt davon, dass viele sich krankschreiben ließen.
## Wühlen im Dreck
Burns’ Bildsprache ist so subtil wie drückend: Jones arbeitet mit einem
über die Jahre kleiner werdenden Team in einem fensterlosen CIA-Kellerbüro,
dessen Hermetik immer spürbarer wird, je tiefer Jones sich in die Recherche
verstrickt. Er wühlt im Dreck – und sitzt dabei im Erdreich. Nur die Augen
dieses äußerlich rastlosen, innerlich entsetzten Menschen spiegeln das
Bodenlose der Situation.
Die wenigen Sequenzen, die der Regisseur zur Illustration als Rückblenden
inszeniert, Bilder von Gefolterten, die Unbegreiflichkeit des Festhaltens
an diesen nicht mal im entferntesten zielgerichteten Techniken, die, wie
eine der Verantwortlichen bemerkt, „auch nach 183-mal Waterboarding kein
Geständnis brachten“, sind schwer aushaltbar, erinnern an die Grausamkeit
der „peinlichen Befragung“ nach Geständnissen von Hexen im Mittelalter, bei
der die Täter sich ebenfalls im Recht wähnten. Und müssen dennoch sein –
wie mit einer Nadel sticht Burns sie so in das Gedächtnis und das
Verantwortungsgefühl des Publikums.
Er tut dies, ohne die Leidenden auszustellen oder die Gewalt zu
ästhetisieren: Die Drastik ist dem Thema angemessen.
## Stiller Held
Burns’ Film ist unbeirrbar. Er hält seinen stillen Helden weder mit
Liebesgeschichten noch mit Actionsequenzen auf. Seine Stärke ist
Persistenz: Wie ein batteriebetriebenes Maskottchen strebt Jones dem Ziel
zu. „Truth Matters“ ist das so anschauliche wie wahre Motto – es zeigt
zugleich, wie schnell große Worte bedeutungslos werden können. Denn „The
Report“ beleuchtet auch die Stimmung, in der sich das Land nach den
Anschlägen 2001 befand, seine neu empfundene Ohnmacht, die sämtlichen
politischen Aktivitäten plötzlich eine Richtung gab.
Das Gefühl, nicht mehr unantastbar zu sein, ließ das gemeinsame Feindbild
erst entstehen, legitimierte die Entmenschlichung von Gefangenen, die man
als 9/11-Schuldige wahrnahm. Aufgrund dieses Gefühls entstand ein
Geheimdienst, ein Regierungsarm, dem sämtliche Maßnahmen erlaubt wurden. Es
sind, so verdeutlicht „The Report“, keine Spaß am Quälen empfindenden
Psychopath*innen, die „erweiterte Verhörmaßnahmen“ erfanden,
autorisierten, anordneten und durchführten. Es sind ganz normale
Regierungsbeamte, Psychologen, Militärs, Politiker*innen, Agent*innen.
Insofern ist Burns’ Film, der mit dem „Folter-Report“ beginnt und endet
(von 6.700 Seiten geht zum Schluss nur noch eine auf 500 Seiten gekürzte
Version an die Öffentlichkeit), trotz seiner Unaufdringlichkeit in der
Erzählweise ein dringender, kritischer Appell zum Ändern der Strukturen,
die so etwas möglich machen. Denn sie sind auch nach dem Erscheinen des
Reports vorhanden: Der Großteil von Daniel Jones’ Arbeit passierte (und
wurde ignoriert) unter Barack Obama. Dessen Stabschef Denis McDonough
(nonchalant gespielt von Jon Hamm) will zwar Schluss machen mit dem
Busch’schen Unter-den-Teppich-Kehre
Und darf sich dennoch im Sinne des „We want change“-Slogans keine Blöße
geben: Würde man wirklich aufdecken, wie autark und marode die
Geheimdienste arbeiten, müsste man eine große Schwäche im System
eingestehen – das tut kein Präsident gern, auch nicht Obama.
Trump erst recht nicht: Im März 2018 nominierte der US-Präsident Gina
Haspel zur Direktorin des CIA, kurz darauf wurde sie gewählt. Haspel hatte
2002 ein Black-Site-Gefängnis in Thailand beaufsichtigt, in dem gefoltert
wurde. Offiziell hat sie Folter bis heute nicht abgelehnt. Genauso wenig
wie Trump.
6 Nov 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Spielfilmdebüt
Scott Z. Burns
9/11
Folter
Schwerpunkt 9/11
Schwerpunkt 9/11
Zombies
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