| # taz.de -- Buch über Klang in Club und Krieg: Missbrauch der Frequenzen | |
| > Der britische Musiker und Wissenschaftler Steve Goodman untersucht in | |
| > seinem aktuellen Buch die politische Dimension des Klangs in Club und | |
| > Krieg. | |
| Bild: Sieg? Demonstrant bei G20-Gipfel in Pittsburgh. | |
| Schon mal von LRAD gehört? "Long Range Acoustic Devices" sind akustische | |
| Waffen, mit denen sich Schallwellen von einer Lautstärke bis zu 150 dB über | |
| weite Strecken ziemlich präzise auf Menschen richten lassen - das | |
| entspricht dem gebündelten Lärm eines Düsenflugzeugs in wenigen Metern | |
| Entfernung. LRADs sind keine Science-Fiction-Vision wild gewordener | |
| Klangforscher, es gibt sie tatsächlich. | |
| Zum Einsatz kamen sie unter anderem beim G-20-Gipfel in Pittsburgh, wo die | |
| Polizei Demonstranten mit schrillen Frequenzen in die Flucht schlug. | |
| Frachtschiffe verwenden sie, um Piraten fernzuhalten. "Schallwaffen sind | |
| derzeit schwer in Mode", so Steve Goodman, Dozent für Music Culture an der | |
| University of East London, Dubstep-Produzent und Labelchef von Hyperdub | |
| Records. | |
| In seinem Buch "Sonic Warfare" beschäftigt er sich mit dem Phänomen des | |
| Missbrauchs von Klang für militärische und polizeiliche Zwecke. Die Palette | |
| der akustischen Kampfstrategien ist breit, und nicht jede Geschichte, auf | |
| die man stößt, klingt seriös, wie er einschränkt. Da ist zum Beispiel die | |
| Ghost Army aus dem Zweiten Weltkrieg, eine Division der US-Armee, in der | |
| Künstler die Aufgabe hatten, Manövergeräusche von schwerem Gerät | |
| aufzuzeichnen und in realistische Klangcollagen zu verarbeiten. Dem Feind | |
| sollte suggeriert werden, die anrückende Armee sei viel größer als die | |
| wirkliche Einheit. Psychologische Kriegsführung durch akustische Simulation | |
| also. | |
| Anekdoten dieser Art paaren sich laut Goodman gern mit | |
| Verschwörungstheorien als Hintergrundrauschen, besonders im Internet. In | |
| seinem Buch geht es dem Forscher und Musiker in erweiterter Perspektive um | |
| die politische Dimension von Klang oder "unsound", wie er es mit einem | |
| unübersetzbaren Wortspiel nennt. "Unsound" bezeichnet für Goodman zum einen | |
| die unhörbare Dimension von Klang, Ultraschall oder Infraschall, wie er | |
| vornehmlich für akustische Kampfzwecke zum Einsatz kommt und der direkt auf | |
| den Körper einwirkt, ohne bewusst wahrgenommen zu werden. | |
| Zum anderen heißt "unsound" so viel wie "unseriös" oder "ungesund", was die | |
| Auswirkungen dieser Unklänge treffend beschreibt. Goodmans schönstes | |
| Beispiel für die Instrumentalisierung von Klang ist der "Mosquito", ein | |
| unscheinbares Kästchen, das vor Geschäften oder in Shopping Malls | |
| angebracht wird, wo es Frequenzen von 20 kHz aussendet. Diese Töne können | |
| Erwachsene nicht hören, für Jugendliche sind sie aber äußerst unangenehm, | |
| sodass sie vom unerwünschten Herumlungern abgehalten werden. Doch findige | |
| Teenager eigneten sich diese Waffe kurzerhand für ihre Zwecke an. Sie | |
| nahmen die Klänge des Mosquito auf und benutzten sie als Klingelton für | |
| ihre Handys. "Sonic Warfare" ist voll von Geschichten dieser Art. Goodman | |
| will mit seinem Buch freilich kein bloßes Kompendium der | |
| Schallkampfmethoden bieten, sondern verfolgt zudem einen ehrgeizigen | |
| theoretischen Anspruch. Zur Fundierung seiner Theorie des "unsound" will er | |
| eine "Ontologie der Schwingungskraft" entwickeln, auf die sich die | |
| weiterführenden politischen Überlegungen stützen sollen. | |
| Im Anschluss an Denker wie Henri Lefebre wählt er den Begriff der | |
| "Rhythmusanalyse" als Ausgangspunkt für seine Grundsatzbetrachtungen über | |
| die Rolle von Schwingungen für die Organisation der Welt, um sie mit der | |
| Affektenlehre von Spinoza zu kombinieren. So sehr man sich über Goodmans | |
| weiten Horizont, aus dem er sein Thema angeht, freuen kann, so berechtigt | |
| sind die Zweifel, wie weit seine Überlegungen tragen. Seine vom Philosophen | |
| Gilles Deleuze inspirierte Einsicht, dass ein Körper im spinozistischen | |
| Sinne keine geschlossene Einheit bildet, sondern etwas Offenes, da er | |
| affiziert werden kann und zugleich in der Lage ist, andere Körper zu | |
| affizieren, regt zweifellos zum Nachdenken an. | |
| Leider muss man sich die Verbindung mit Goodmans politischen Ansätzen an | |
| vielen Stellen selbst zusammenreimen. Interessant ist Goodmans Idee, die | |
| Ambivalenz von Schall als Waffe über den militärischen Rahmen | |
| hinauszudenken und in den Clubkontext zu übertragen. Wie er feststellt, | |
| gibt es zwei entgegengesetzte Strategien der Verwendung von Schall: Man | |
| kann ihn einerseits nutzen, um eine Menge auseinanderzutreiben, man kann | |
| aber genauso gut Menschen mit Schall zusammenführen. Goodman, der als Kode | |
| 9 zu den Pionieren der bassbetonten Clubmusik gehört, weiß ziemlich genau, | |
| wovon er spricht. Seine Musik verwendet tiefste Frequenzen, die den Körper | |
| direkt affizieren, um ihn zum Tanzen zu bringen. Diese Töne kann man als | |
| durchaus bedrohlich empfinden. Was passiert also, wenn ein durchdringender | |
| Bass im Club Fluchtreflexe auslöst, den Atem stocken lässt, man aber nicht | |
| wegläuft, sondern bleibt und die Frequenzen in Bewegung übersetzt? Diese | |
| Frage kann auch Goodmans Buch nicht beantworten. | |
| 4 Jun 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Tim-Caspar Boehme | |
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