| # taz.de -- Bericht aus Guantanamo: Die Grausamkeit der Isolation | |
| > Das Tagebuch von Mohamedou Ould Slahi ist das erste Zeugnis eines | |
| > Gefangenen, der noch in Guantánamo sitzt. Er erzählt von Vernehmung und | |
| > Folter. | |
| Bild: Die Behörden schwärzten rund 2.500 Textstellen des „Guantanamo Tagebu… | |
| „Ich war nicht mehr ich, und ich würde nie mehr derselbe sein. Zwischen | |
| meiner Vergangenheit und meiner Zukunft wurden mit dem ersten Schlag, den | |
| ---- mir versetzte, eine dicke Linie gezogen.“ Es sind Zeilen, die an Jean | |
| Améry erinnern. Wie kein anderer hatte er die Foltererfahrung in Worte zu | |
| fassen versucht. Und ihr Dilemma. Denn der Gemarterte hat keine Sprache für | |
| das, was ihm widerfahren ist. | |
| Auch Mohamedou Ould Slahi, von dem das Zitat stammt, hat diese Erfahrung | |
| gemacht. Seit 12 Jahren sitzt er im Spezialgefängnis der US-Streitkräfte | |
| auf Kuba, Guantánamo. Von Juli bis September 2003 wurde er dort gefoltert. | |
| Nun ist ein Buch von ihm erschienen, „Das Guantanamo-Tagebuch“. | |
| Den US-Ermittlungsbehörden gilt der heute 44-Jährige als Schlüsselfigur der | |
| al-Qaida. Zwar wurde schon 2010 wegen Mangels an Beweisen seine Freilassung | |
| angeordnet, die Regierung Obama aber legte Berufung ein. Bis heute ist der | |
| Fall anhängig. | |
| Slahi wurde 1970 in Mauretanien geboren. Zwölf Jahre verbrachte er ab 1988 | |
| in Duisburg, studierte Elektrotechnik. 1990 reiste er nach Afghanistan, um | |
| mit den Mudschaheddin zu kämpfen – er ließ sich von al-Qaida ausbilden und | |
| leistete dem Terrornetzwerk den Treueschwur. 2000 kehrt Slahi nach | |
| Mauretanien zurück. Und dort beginnt seine Odyssee, die USA setzen ihn | |
| erstmals fest. | |
| Der Vorwurf: Beteiligung an der gescheiterten Bombardierung des Flughafens | |
| Los Angeles, dem „Millennium-Plot“. Aber das FBI muss ihn wieder gehen | |
| lassen. Und nimmt ihn kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2011 | |
| wieder fest. In Jordanien, wo er von US-Spezialkräften verhört wird, | |
| beginnt das Tagebuch. „Ich war so erschöpft, müde und krank, dass ich nicht | |
| gehen konnte, meine Begleiter mussten mich die Stufen hinaufziehen wie eine | |
| Leiche“, beschreibt Slahi den Flug nach Bagram auf dem Weg nach Guantánamo, | |
| den er nackt bis auf eine Windel absolvieren muss. | |
| ## 70 Tage Schlafentzug | |
| Dort verfasste Slahi im Sommer und Herbst 2005 sein Tagebuch, in einer | |
| Einzelzelle, handschriftlich, 466 Seiten lang. Im Dezember sagte er bei | |
| einer Vernehmung: „Ich möchte hier erwähnen, dass ich vor Kurzem ein Buch | |
| geschrieben habe, während ich im Gefängnis war, über meine ganze | |
| Geschichte, okay?“ Er empfiehlt den Beamten die Lektüre. Beinahe zehn Jahre | |
| sind bis zur Drucklegung vergangen, denn zunächst lagen die Aufzeichnungen | |
| unter Verschluss, da eine Veröffentlichung als Gefährdung der nationalen | |
| Sicherheit angesehen wurde. | |
| Ab 2003 wird Slahi einem „Sondervernehmungsplan“ durch das US-Militär | |
| unterzogen, um ein Geständnis zu erzwingen. Er leidet an Halluzinationen. | |
| Auf Isolationshaft folgt die „echte“ Folter: 70 Tage Schlafentzug, | |
| pausenlose Verhöre, sexuelle Belästigung, er wird gezwungen, Salzwasser zu | |
| trinken und stundenlang mit „Let the bodies hit the floor“ beschallt. | |
| Schließlich gibt er ein fiktives Geständnis ab, offenbart einen angeblich | |
| geplanten Angriff auf den CN-Tower in Toronto und Kontaktpersonen. Den | |
| Beamten von CIA, FBI und auch jenen des BND liefert er von da an, was sie | |
| hören wollen: Sein „Tonband“ anschalten, nennt er das. Danach wird er | |
| besser behandelt und entwickelt enge Beziehung zu manchen seiner Befrager, | |
| den einzigen Kontakten, die er hat. | |
| Sie leihen ihm Bücher, „Star Wars“ zum Beispiel; er bekommt einen | |
| DVD-Player. Beim Abschied fließen sogar Tränen. Es sind verstörende | |
| Stellen, an denen sich die ganze emotionale Grausamkeit der Isolation | |
| zeigt. Das Tagebuch ist als authentisches Dokument gelobt worden. Das ist | |
| es aber nur sehr bedingt. Viel eher sollte man es als ein Stück Literatur | |
| betrachten. | |
| ## Geradezu subversive Ironie | |
| Es ist für die Veröffentlichung geschrieben worden, und die Eingriffe sind | |
| gravierend. Die Behörden schwärzten rund 2.500 Textstellen (die längste ist | |
| elf Seiten lang: das Protokoll eines Lügendetektortests), Orte und Zeiten, | |
| Personalpronomina, Namen. Der Herausgeber Larry Siems kürzte die 122.000 | |
| Worte auf 100.000 herunter, setzte 189 Fußnoten. Dann wurde das Ganze | |
| übersetzt. | |
| Siems stellt Slahi in eine Reihe mit Homers Epen – wohl wegen der | |
| Formelhaftigkeit (Slahi lernte erst in Haft Englisch), dem Pendeln zwischen | |
| direkter Ansprache und anekdotenhaften Schnörkeln. Ein absurder Vergleich, | |
| dennoch hat der Text eine erstaunliche literarische Qualität. Bemerkenswert | |
| ist der oft unangenehm überhebliche Ton, den sich Slahi gegenüber den | |
| Amerikanern leistet, die angesichts der aussichtslosen Lage geradezu | |
| subversive Ironie und die oftmals übertrieben naive Erzählperspektive. | |
| An den entscheidenden Stellen ist dies kalkuliert, dann klaffen in den | |
| ansonsten präzisen Erinnerungen Lücken. Zu seiner Zeit bei al-Qaida fällt | |
| Slahi nur ein: „Wir hatten lediglich im Februar 1992 eine Reise nach | |
| Afghanistan unternommen, um den Leuten dort zu helfen, gegen den | |
| Kommunismus zu kämpfen.“ Aber ein unbeschriebenes Blatt ist Slahi eben | |
| nicht. Er hatte Kontakte zu al-Qaida. Und Slahis Vetter und Schwager Abu | |
| Hafs war bin Ladens Berater; 1999 wurde ein Anruf von ihm bei Slahi | |
| registriert – von bin Ladens Satellitentelefon. Nur ein Privatgespräch? | |
| Schwer zu glauben. | |
| Slahi beteuert zwar, dem Dschihad gegen die USA nicht gefolgt zu sein. Er | |
| präsentiert sich als Opfer einer Rachefeldzugs der Amerikaner gegen die | |
| Araber. Folgen kann man Slahi, trotz der Nähe, die man über die Lektüre zu | |
| ihm aufgebaut hat, da nicht. Und so bleibt nicht zuletzt wegen der vielen | |
| Ungereimtheiten ein schlechtes Gefühl, das zwar wenig wiegt gegen Unrecht | |
| und Folter – aber bis zum Ende der Lektüre bleibt. | |
| 15 Feb 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Sonja Vogel | |
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