# taz.de -- Spielfilm über 11. September: Die Frau des Attentäters | |
> Regisseurin Anne Zohra Berrached erzählt in ihrem Film „Die Welt wird | |
> eine andere sein“ von 9/11 und der Liebe. Ein Interview mit der | |
> Filmemacherin. | |
Bild: Die Studenten Asli und Saeed verlieben sich. Ihre Beziehung endet mit ein… | |
Die Studenten Asli und Saeed lernen sich an einer ostdeutschen Uni kennen | |
und verlieben sich. Ihre Beziehung entwickelt sich zunehmend kompliziert | |
und endet mit einer Katastrophe: [1][Der Film „Die Welt wird eine andere | |
sein“ von Anne Zohra Berrached lief dieses Jahr auf der Berlinale] und | |
startet jetzt im Kino. | |
taz am wochenende: Frau Berrached, was wollten Sie in Ihrem Film erzählen? | |
Anne Zohra Berrached: In erster Linie möchte ich vor einem großen | |
historischen Ereignis eine Liebesgeschichte erzählen, die eine politische | |
Tragweite hat, uns damit alle angeht, größer ist als zwei Liebende, die | |
tragisch auseinandergehen. Dann habe ich gemerkt: Ich will aus den Augen | |
des Partners oder der Partnerin des Verbrechers erzählen. | |
Wie haben Sie recherchiert? | |
Ich kann nicht verraten, woher ich mein Recherchematerial hatte, aber ich | |
habe intimstes Material gelesen, E-Mails von realen Paaren, und Fotos und | |
Videos gesehen. Ein Fall ist dabei immer mehr in den Vordergrund gerückt. | |
Wir haben das Material irgendwann zur Seite gelegt und gesagt: Okay, jetzt | |
müssen wir unsere eigene Geschichte finden. Die ist angelehnt an echte | |
Personen. Aber sie ist auch frei erzählt. | |
Zum Beispiel den Abschiedsbrief am Ende gibt es ja. Aber Sie haben bei der | |
Figur Asli viel erfunden. Was war wichtig an ihrem Charakter? | |
Ich wollte, dass man ihren Charakter durch ihre Familie versteht: Asli | |
denkt, sie hat sich von zu Hause befreit. Sie ist die Erste der Familie, | |
die studiert, gegen den Willen der Mutter. Sie hat sich freigekämpft. Die | |
Mutter ist sehr traditionell – aber nicht streng religiös, das ist ein | |
Unterschied. Asli ist schlau, aber kann das nicht in allen Bereichen sein. | |
Bei der Liebe zu Saeed ist sie nicht immer emanzipiert. Sie hat zu Hause | |
nie gelernt, sich durchzusetzen. | |
Obwohl der Film aus Aslis Perspektive erzählt ist, stimmt man anfangs auch | |
mal Saeeds Verhalten zu, dann wieder Asli, dann ihrer Mutter. Wie haben Sie | |
das geschafft? | |
Ja, wir sehen konsequent Aslis Perspektive. Es gibt keine Szene, keinen | |
Moment ohne sie. Wir haben ein Drehbuch geschrieben, das einer klassischen | |
Dramaturgie folgt. Klar war: Die Hauptfigur muss inaktiv handeln, denn das | |
ist das Thema meines Films. Aber das ist eigentlich ein No-Go im | |
Drehbuchschreiben. Das heißt, es wird nicht einfach sein, dass der | |
Zuschauer mit dieser Figur mitgeht. Denn dem Zuschauer könnte die Figur | |
schlimm auf den Keks gehen, er könnte sagen: Mach doch endlich mal was, | |
Mädchen! Der Zuschauer soll das auch denken, nur eben nicht zu doll. Sonst | |
hört er auf, mit ihr mitzugehen. Meine Aufgabe ist es, den Zuschauer zu | |
leiten: Er muss nicht unbedingt mit allem einverstanden sein, was die | |
Hauptfigur tut, aber er muss Empathie mit ihr empfinden. | |
Im muslimischen Kulturzusammenhang spielt Familie eine große Rolle. Fällt | |
es Asli darum so schwer, sich am Anfang von ihrer araberfeindlichen Mutter | |
zu distanzieren? | |
Ja, ich habe ihr Verhalten auf zwei Dingen basieren lassen. Einerseits gibt | |
es eine diffuse Schuld gegenüber dem Vater – Asli denkt, sie habe sich | |
nicht genug um ihn gekümmert. Zum anderen ist ihr die Familie wichtig. | |
Keine Türkin, kein Araber würde mir diese Frage nach einer Distanzierung | |
stellen. Man kann sich einfach nicht von der Familie trennen. Das zu denken | |
ist sehr westlich. | |
Wie gehen die Schauspieler:innen damit um, ein historisches Ereignis zu | |
spielen, das uns alle betroffen hat? | |
Es ging nie darum, eine Figur nachzustellen. Nur darum, dass die | |
Schauspieler intensiv und glaubhaft spielen. Ich habe zunächst geprobt, | |
ohne ihnen das Drehbuch zu zeigen. Ich habe einfach gesagt: Das ist eine | |
Situation, in der ihr seid, und jetzt geht's los. Dann habe ich das | |
mitgefilmt und das Drehbuch umgeschrieben auf das, was sie improvisiert | |
haben. So ist deren Persönlichkeit stark in das Buch mit hineingeflossen. | |
In einer Jahrmarktszene, in der sich die beiden das erste Mal begegnen, | |
läuft der Song „Freed From Desire“ mit der Zeile „My baby’s got no mon… | |
he’s got his strong beliefs“. Darin steckt schon die gesamte Geschichte. | |
Wie haben Sie das gefunden? | |
Ich wollte einen passenden Eurotrash-Rummelplatz-Song. Die Drehbuchautorin | |
unseres Films, Stefanie Misrahi, kennt die Texte aller möglichen Songs | |
auswendig. Ich habe ihr gesagt, was wir brauchen, und sie hat sofort diesen | |
Track angeboten. Es wurde natürlich dann noch sehr teuer, die Rechte zu | |
klären. Aber das ist eine andere Geschichte. | |
Was war für die libanesische Familie der Figur Saeed wichtig? | |
Wir sollten eine Überraschung erleben. Wir sollten als Zuschauer merken, | |
dass unsere Erwartungen nicht erfüllt werden – Saeed kommt nicht etwa aus | |
einer streng religiösen Familie irgendwo im Hinterland. Genau das Gegenteil | |
ist der Fall: Sein radikaler Hintergrund hat nichts mit der Familie zu tun. | |
Woher und wie er zu dem geworden ist, was er ist, damit beschäftigt sich | |
der Film nicht. | |
Wieso ahnt Asli nicht, was Saeed plant? | |
Ob und wie viel sie es ahnt, wissen wir nicht genau. In ihr gibt es einen | |
sehr starken Verdrängungsmechanismus. Nachdem er zum Beispiel plötzlich | |
monatelang verschwindet, hätten sich andere vielleicht von ihm getrennt. In | |
der Zeit im Libanon mit der Familie wird sie das erste Mal richtig damit | |
konfrontiert, da sagen seine Eltern: Du bist eine Verdrängerin! Du musst | |
die Augen aufmachen! Und darüber hinaus mache ich es ihr auch sehr schwer, | |
denn Saeed liebt sie wirklich, das ist ein echtes Gefühl! Ich hoffe, dass | |
der Film es schafft, dass auch die Zuschauer sich ein bisschen in ihn | |
verlieben, dass sie in die gleiche Bredouille geraten wie meine Hauptfigur | |
– obwohl alle Zuschauer eigentlich ab einem gewissen Punkt wissen, dass | |
Saeed ein Verbrecher ist. | |
Konnten Sie im Vorfeld mit der echten Freundin eines [2][9/11-Attentäters] | |
sprechen? | |
Ich konnte mit vielen nicht sprechen, weil sie neue Identitäten haben, also | |
gar nicht mehr zu finden sind. | |
Wie würden Sie Vorwürfen begegnen, dass das schreckliche Ereignis durch den | |
Film verklärt oder bagatellisiert wird? | |
Ich habe sieben Jahre an dem Film gearbeitet und über solche Vorwürfe | |
natürlich nachgedacht. Und ich würde immer antworten, dass ich konsequent | |
bei dem bleiben muss, was ich machen will, nämlich aus ihrer Perspektive zu | |
erzählen. Für sie war er authentisch liebend. Ich konzentriere mich auf | |
eine einzige Facette: auf die Frau eines Attentäters, darauf, wie sie sich | |
fühlt, auf ihr Innenleben. Ich möchte auf keinen Fall das Verbrechen | |
entschuldigen, das er begangen hat. Und verstehen kann man ihn natürlich eh | |
nicht. Wir haben Roger für die Rolle immer gesagt: Stell dir vor, du bist | |
drogensüchtig, dann wirst du clean, und dann kommt ein Rückfall. So hat er | |
das gespielt. | |
11 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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