# taz.de -- Film über pränatale Diagnostik: Individuelle Tragik | |
> Es geht nicht ohne Schuldgefühle: In „24 Wochen“ erzählt die junge | |
> Regisseurin Anne Zohra Berracheds von einer schweren Entscheidung. | |
Bild: Astrid (Julia Jentsch), Kabarettistin, wird von ihrem Mann (Bjarne Mädel… | |
Längst ist nicht erreicht, was das Schlagwort Inklusion als Idee eines | |
guten Zusammenlebens mit Behinderten meint. Kommt da ein Film über die | |
Entscheidung einer Schwangeren für die Spätabtreibung ihres schwer | |
behinderten Kindes nicht zur Unzeit? | |
Die 34-jährige Erfurterin Anne Zohra Berrached hat in ihrer knappen | |
Filmografie als Absolventin der Filmhochschule Ludwigsburg ein Händchen für | |
Sujets bewiesen, die es mit den Tücken der sexuellen Selbstentfaltung | |
aufnehmen. In „Zwei Mütter“ setzte sie sich mit dem Kinderwunsch eines | |
queeren Paars auseinander, angelehnt an Recherchen unter Frauen mit | |
ähnlichen Geschichten. | |
Auch „24 Wochen“, ihr Abschlussfilm, der es als einziger deutscher Beitrag | |
in den Wettbewerb der diesjährigen Berlinale schaffte, ist ein fiktionales, | |
auf dokumentarischen Recherchen beruhendes Themenstück aus der | |
Binnenperspektive eines Paars, das mit dem Dilemma seiner | |
Entscheidungsfreiheit konfrontiert wird. Anne Zohra Berrached sieht sich | |
die Rolle der Frau in diesem Konflikt sehr genau an. | |
## Stolz und schwanger | |
Die Regisseurin spart nicht an Mainstream-affinen Zutaten zu ihrem heftigen | |
Drama. Ihre Protagonistin Astrid Lorenz (Julia Jentsch) präsentiert sich | |
als erfolgreiche Kabarettistin stolz und schwanger in Gerburg Jahnkes | |
„Lady’s Night“ und später in einer intensiven, aus der Nahsicht gedrehten | |
Krisenszene, wenn sie ihren Auftritt auf Dieter Nuhrs Bühne in Panik | |
abbricht. | |
Astrid lebt mit ihrem Manager Markus (Bjarne Mädel) und der gemeinsamen | |
achtjährigen Tochter (Emilia Pieske) in einem dieser fernsehspieltauglichen | |
weißen Wohlstandsvillen in Leipzig. Man liebt sich, kann gut miteinander | |
reden und streiten – nicht zuletzt auf den gemeinsamen Tourneetouren. Es | |
gibt Freunde, ein Kindermädchen (Maria Dragus) und eine halbwegs hippige | |
Großmutter (Johanna Gastdorf) als Stütze. | |
Was anfangs wie ein von den lokalen Medien begleiteter Modellbeweis für die | |
Vereinbarkeit von Familie und Karriere aussieht, dreht sich in interne | |
Gefühlsstürme, als das Paar erfährt, dass das Kind mit dem Downsyndrom zur | |
Welt kommen wird. Der Film nimmt sich Zeit, den Schock der Eltern und ihre | |
Entscheidung für das Kind gegen die Einsprüche, Zweifel und Abwehr ihrer | |
Umgebung zu verteidigen. In Naheinstellungen mit einer beweglichen Kamera | |
gedreht, folgt er den Auseinandersetzungen. | |
## Schmerzhafter Prozess | |
Dann jedoch ändert sich Astrids Einstellung ein zweites Mal, als sie von | |
Pränataldiagnostikern, dargestellt von realen Experten ihres Fachs, im | |
sechsten Monat mit der Tatsache konfrontiert wird, dass ihr Kind einen | |
schweren Herzfehler hat und viele Operationen mit ungewissen | |
Heilungschancen durchleiden müsste. | |
Der Film folgt Astrid zu Beratungsstellen und in eine Intensivstation für | |
schwerkranke Neugeborene, er deutet ihren übermächtigen | |
Entscheidungskonflikt zugunsten der Spätabtreibung eher zurückhaltend an | |
und macht den schmerzlichen Prozess deutlich, den ihr Mann nur schwer | |
akzeptieren kann. | |
Nicht die großen ethischen Debatten interessieren die Regisseurin, sondern | |
die individuelle Tragik ihrer Protagonisten. „24 Wochen“ verurteilt Astrid | |
und ihren Partner nicht, sondern setzt einen anderen Akzent: Es geht um den | |
Widerspruch zwischen ihrer hart erlittenen Entscheidungsfreiheit und den | |
nachwirkenden Trauer- und Schuldgefühlen. Astrid, als Kabarettistin eine | |
Figur des öffentlichen Lebens, hat die Wahl, ihre Geschichte als Fehlgeburt | |
zu tabuisieren oder sich zu bekennen. Aber was würde das nutzen? | |
22 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Claudia Lenssen | |
## TAGS | |
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