| # taz.de -- Micah Magees Film „Petting Zoo“: Schwanger mit Texas | |
| > Eine Teenagerschwangerschaft in San Antonio. Mit großer Leichtigkeit | |
| > zeichnet Micah Magee ein Milieu und seine Herausforderungen. | |
| Bild: Devon Keller, die grandiose Hauptdarstellerin der schwangeren Layla | |
| Denkt man an Texas, denkt man an George Bush, Cowboy-Mythen, an Kakteen | |
| vielleicht und an eine konservativ-christliche Lebensmoral der Menschen. So | |
| weit die Klischees. | |
| San Antonio im Bundestaat Texas, wo „Petting Zoo“, das Spielfilmdebüt der | |
| dffb-Studentin Micah Magee spielt, zählt eine Bevölkerung von knapp | |
| anderthalb Millionen und lockt auf seiner Homepage TouristInnen mit dem | |
| Angebot, für einen Sommer „das Gewöhnliche hinter sich zu lassen“ und die | |
| romantischen Seiten San Antonios zu erleben. So viel zu den Werbebildern. | |
| Geboren und aufgewachsen in San Antonio, ist die in Deutschland lebende | |
| Regisseurin Micah Magee nun an den Ort ihrer Jugend zurückgekehrt und hat | |
| für die Coming-of-Age Geschichte ihrer Hauptfigur Layla Bilder gefunden, | |
| die einen vollkommen neuen und persönlichen Blick auf Texas und das Leben | |
| seiner Menschen eröffnen. | |
| Layla ist Schülerin an San Antonios High School, arbeitet nach der Schule | |
| im Call-Center und geht nach Feierabend zu ihrem Freund, dessen von | |
| Marihuana-Wolken verhangene Wohnung der Film vor allem in dunklen Bildern | |
| zeigt. Das dreckige Geschirr stapelt sich, und Layla wäscht es am Ende | |
| eines langen Tages bereitwillig ab. Die Kamera verharrt daraufhin auf den | |
| kleinen Wasserperlen, die nach getaner Arbeit an den Tellern haften und | |
| findet damit bereits zu Anfang kleine poetische Pausen in einem Leben, das | |
| von der Beschreibung her eigentlich trist und hart ist, aber bewusst so | |
| nicht gezeigt wird. | |
| ## Der kadrierte Blick auf den Pausenhof | |
| Ganz im Gegenteil: Magee blickt mit großer erzählerischer Leichtigkeit | |
| nicht nur auf die Welt ihrer Layla, sondern mehr noch durch Laylas Augen | |
| auf die Welt. Immer wieder lebt „Petting Zoo“ von kleinen Momenten der | |
| Kontemplation, so als sei Zeit etwas, das für das Mädchen noch keine | |
| besondere Rolle spiele. Ob es das schwirrende Bild einer Ameisenkolonie am | |
| Straßenrand ist, der streng kadrierte Blick auf den Pausenhof der Schule | |
| oder auch der kurze Moment, in dem man erkennen kann, dass sich Layla | |
| morgens aus dem Schulbus heraus die Zähne putzt – immer wieder ruht der | |
| Fluss der Erzählökonomie und pausiert auf kleinen Inseln, um die herum das | |
| Leben ruhig an der Jugend vorbeirauschen darf, weil es diese noch nicht | |
| eilig hat. | |
| Dabei ist Laylas Situation alles andere als einfach, und die Welt des | |
| Erwachsenseins scharrt bereits beharrlich an der Tür: Von zu Hause ist sie | |
| seit Längerem ausgezogen, und als sie sich von ihrem Freund trennt, wird | |
| das Haus des Onkels ihre neue Bleibe. Die Bewerbung fürs College markiert | |
| den nächsten Schritt im Lauf des Lebens, den ein Lebenslauf erfordert, doch | |
| dann wird Layla unerwartet schwanger und bekommt von ihren Eltern nicht die | |
| Zustimmung zur Abtreibung. | |
| All das wäre Stoff für ein großes Drama, die Chance für einen | |
| sozial-pornografischen Blick auf Armut und eine verlorene Jugend, so wie es | |
| Larry Clarke bis zum Erbrechen in seinen Filmen erprobt hat, doch Magee | |
| geht anders, behutsam und unaufgeregt mit ihren Figuren und Bildern um, | |
| denn es geht ihr weder um eine Kritik an Lebensentscheidungen noch um die | |
| Zurschaustellung eines problematischen Aufwachsens, sondern vielmehr um die | |
| genaue Zeichnung eines bestimmten Milieus und seinen Herausforderungen, die | |
| die Regisseurin aus eigener Erfahrung kennt. | |
| ## Stadt der Teenagerschwangerschaften | |
| San Antonio ist die Stadt mit der zweithöchste Rate an | |
| Teenagerschwangerschaften in den gesamten USA – ein weiteres Bild im | |
| Texas-Mosaik, das man nicht zwangsläufig vermittelt bekommt – und obwohl | |
| Themen wie sexuelle Aufklärung, weibliche Selbstbestimmung und | |
| Reproduktionsrechte mehr als je zuvor politischen Sprengstoff im | |
| öffentlichen Diskurs über das US-amerikanischen Gesundheitswesen | |
| darstellen, erzählt Magee ihre Geschichte nicht als Anklage, sondern eher | |
| mit dem empathischen Blick einer jungen Frau, die selbst als Teenager | |
| schwanger wurde. | |
| Zum Casting der Layla lud Micah Magee rund 800 junge Frauen ein, von denen | |
| viele großen Redebedarf zum Thema hatten, wodurch der Casting-Prozess | |
| selbst noch zum wichtigen Teil der Recherche wurden. Alle jungen | |
| Darstellerinnen und Darsteller im Film sind Laien, alle Erwachsenen | |
| professionelle SchauspielerInnen, die teilweise ebenso enge Beziehungen zu | |
| San Antonio haben wie Micah Magee, die sich selbst sogar als | |
| „Texas-Patriotin“ bezeichnet und sich ihrem Herkunftsstaat noch immer sehr | |
| verbunden fühlt. | |
| Das Zusammenspiel erprobter und unerprobter SchauspielerInnen geht in | |
| „Petting Zoo“ ähnlich wie in Gus van Sants „Elephant“ auf – nicht nu… | |
| Magee in Devon Keller eine wunderbar glaubwürdige Hauptdarstellerin | |
| gefunden hat, die ihre Layla kindlich-traumwandlerisch und zugleich | |
| selbstbestimmt anlegt, sondern vor allem, weil die Regisseurin eine große | |
| Sensibilität und Zärtlichkeit in der Zeichnung ihrer Figuren und deren | |
| Lebensumstände an den Tag legt; ob es die liebevolle Großmutter oder der | |
| unerfahrene neue Freund ist, dessen Rosen Layla nach dem ersten Sex unter | |
| der Bettdecke in eine aufgeschnittene Plastikflasche stellt – Magees Gespür | |
| für Stimmungen, beiläufige Alltagsdetails und menschliche Befindlichkeiten | |
| hält sie bis zum dramatischen, aber ebenfalls ohne Pathos oder | |
| Sentimentalität erzählten Ende konsequent durch. | |
| ## Die große Emanzipationsgeschichte | |
| So zurückgenommen die Erzählung von „Petting Zoo“ auch scheinen mag, sind | |
| es doch auch immer wieder die kleinen Momente, in denen eine große | |
| Emanzipationsgeschichte erzählt wird: etwa wenn zum zweiten Mal Ameisen im | |
| Bild erscheinen, sie nur diesmal von Layla mit Insektenspray in einer | |
| Müslischale getötet werden. | |
| In „Petting Zoo“ geht es auch um Verlust und das Weitermachen, um die | |
| Stärken von vermeintlich schwachen Menschen, um die komplizierte | |
| Verweigerung innerhalb eines konformistischen Systems und eben auch um | |
| neue, sinnliche und eindrückliche Bilder aus Texas – einem Ort, den Micah | |
| Magee manchmal so sehr vermisst, dass sie nur für den Geruch von Kakteen in | |
| den Botanischen Garten in Berlin fährt. Manche Klischees stimmen eben doch | |
| – Magees Film jedoch ist ambitioniert genug, um auf sie verzichten zu | |
| können. | |
| 18 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Toby Ashraf | |
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