# taz.de -- Abtreibungsverbot in Irland: Diese Pillen schickt der Himmel | |
> Die Abtreibungsgesetze auf der irischen Insel stammen aus dem 19. | |
> Jahrhundert. Frauen rebellieren gegen die Schikanen – per Drohne. | |
Bild: Alles Gute kommt von oben | |
BERLIN taz | Selten bekam eine Drohne so viel Applaus wie am nordirischen | |
Grenzort Warrenpoint. Von zahlreichen Menschen bejubelt, schwebte sie | |
vergangenen Dienstag über einem Seeufer an den Ort, an dem zwei Frauen die | |
Fracht in Empfang nahmen: zwei Päckchen Pillen, die einen | |
Schwangerschaftsabbruch hervorrufen. Eine Frau legt sich die Tablette auf | |
die Zunge, [1][streckt sie in die Kamera und schluckt]. „Die Regierung | |
kriminalisiert Frauen für ein Menschenrecht“, sagt sie. „Wir nehmen die | |
Pille als Zeichen des Widerstands“. | |
Sechs NGOs und Bürgerrechtsinitiativen aus Irland und Nordirland | |
protestierten mit dieser Aktion gegen die rigiden Abtreibungsgesetze auf | |
der streng katholischen Insel. Per Drohne und über ein ferngesteuertes Boot | |
schickten die AktivistInnen das Medikament von Irland aus über die | |
Landesgrenze zur nordirischen Burgruine Narrow Waters Castle. Die Aktion | |
sollte ein „inselweites Signal der Solidarität gegen die Kriminalisierung | |
von Abtreibungen“ an die Regierungen senden, [2][erklärten die | |
AktivistInnen]. Dafür nutzen sie eine Gesetzeslücke, die es erlaubt, Pillen | |
per Drohne legal zwischen dem Süden und dem Norden einzufliegen. Weil der | |
Flug durch unkontrollierten Luftraum erfolgt, bedarf es keiner Zustimmung | |
durch britische oder irische Behörden. | |
Auf der irischen Insel sind Abtreibungspillen nicht legal erhältlich. | |
Normalerweise werden sie im Fall einer Einfuhr vom Zoll beschlagnahmt. Nur | |
wenn das Leben der Schwangeren unmittelbar in Gefahr ist – etwa bei | |
nachweislicher Suizidgefahr – dürfen Frauen ihre Schwangerschaft abbrechen. | |
Nordirland setzt das mit eiserner Hand durch: Dort drohen Frauen | |
lebenslange Haftstrafen, selbst beim Abbruch von Schwangerschaften durch | |
Vergewaltigung oder Inzest – ebenso gilt das für die behandelnden Ärzte. | |
Nordirlands Abtreibungsgesetz klingt nicht nur vorsinnflutlich. Es stammt | |
aus dem Jahr 1861 und gilt als das strengste Europas. | |
„Restriktive Gesetze halten Frauen nicht davon ab, sich die | |
Abtreibungspillen per Schiff, per Post oder über das Internet – oder jetzt | |
eben per Drohne liefern zu lassen“, sagt Dr. Rebecca Gomperts von „Women on | |
Waves“. In Kooperation mit „Alliance for Choice“, „Rosa“, der „Labo… | |
Alternative“ und anderen NGOs sollte der Drohnenflug auf ein Urteil der | |
Weltgesundheitsorganisation WHO aus dem Jahr 2005 hinweisen. Darin wurden | |
die Abtreibungsmedikamente Mispostrol und Mifepriston, die in den meisten | |
EU-Ländern legal erhältlich sind, zu „unentbehrlichen Arzneimitteln“ | |
deklariert. Per Definition der WHO befriedigen sie damit die „dringlichsten | |
Bedürfnisse“ der medizinischen Grundversorgung. Bis zur zehnten | |
Schwangerschaftswoche können Frauen mit den Wirkstoffen Mispostrol oder | |
Mifespriston eine Abtreibung durchführen. | |
## Die Abtreibungsfrage spaltet reich und arm | |
„Der Zugang zu diesen unentbehrlichen Medikamenten fußt auf dem Recht auf | |
Gesundheit und wird von zahlreichen Menschenrechtskonventionen garantiert“, | |
schreibt Gomperts in einer Presseerklärung zur Aktion an der irischen | |
Grenze. Bereits im Sommer 2015 hatte „Woman on Waves“ einen [3][Drohnenflug | |
zwischen Deutschland und Polen] durchgeführt, um auf die strikten | |
Abtreibungsgesetze mancher EU-Länder aufmerksam zu machen. Die NGO steuert | |
mit einer [4][schwimmenden Abtreibungsklinik] seit Jahren auch die Küsten | |
Afrikas an. | |
Iren im Norden wie im Süden spaltet die Abtreibungsfrage nicht nur in | |
legaler Hinsicht. Der Schwangerschaftsabbruch unter ärztlicher Aufsicht ist | |
auch eine Frage des Wohlstands. Rund 60.000 Schwangere sind [5][nach | |
Schätzungen von Amnesty International] seit 1970 ins benachbarte England | |
gereist. Die Abtreibung in englischen Privatkliniken kosten oftmals 400 bis | |
2.000 Pfund, der Preis hängt von der Schwangerschaftswoche ab. Diesen | |
Konflikt sollte der Drohnenflug verdeutlichen: „Wir zeigen heute, dass die | |
Pille auch für Frauen verfügbar ist, die sich eine Abtreibung im Ausland | |
nicht leisten können“, sagte Courtney Robinson von der [6][„Labour | |
Alternative“], einer linksliberalen Parteibewegung aus Belfast, die den | |
Drohnenflug mitorganisiert hat. | |
Im April fand dieser Konflikt mit dem Fall einer 21-jährigen Nordirin | |
wieder verstärkte Aufmerksamkeit in Nordirland. Die Frau führte eine | |
Abtreibung mit Pillen durch, die sie per Internet bestellt hatte – weil | |
eine Reise nach England für sie unerschwinglich gewesen sei. Im April hat | |
sie Belfaster Gericht zu einer dreimonatiger Haftstrafe auf Bewährung | |
verurteilt. Die Frau habe ein „Gift“ importiert, mit der Absicht, eine | |
„Fehlgeburt“ auszulösen, heißt es in der Begründung des Gerichts. | |
Kritik kam selbst von den englischen Nachbarn. Die britische | |
Schwangerschaftsberatung BPAS sprach von „drakonischen Abtreibungsgesetzen“ | |
und rief dazu auf, die „antiquierten, viktorianischen Gesetze zu | |
refomieren“ und sie „fit für Frauen im Jahr 2016“ zu machen. Das britisc… | |
Gesetz von 1967, das Abtreibungen zulässt, ist in Nordirland nie | |
ratifiziert worden. | |
## Blockadehaltung im Norden und Süden | |
Zum Jahreswechsel gab es für Abtreibungsbefürworter in Nordirland dennoch | |
Anlass zur Hoffnung. Im Dezember 2015 stellte der Oberste Gerichtshof fest, | |
dass Nordirlands Abtreibungsgesetz gegen die Europäische | |
Menschenrechtskonvention verstößt. Das Urteil ging auf eine Initiative der | |
nordirischen Menschenrechtskonvention zurück. Über eine Änderung müsste | |
dennoch das Regionalparlament entscheiden – doch will kein Abgeordneter das | |
britische Abtreibungsgesetz auf Nordirland ausweiten. | |
Justizminister David Ford legte inzwischen Beschwerde gegen das Urteil ein. | |
Die gesetzliche Unsicherheit könne in eine „Abtreibung per Knopfdruck“ | |
ausarten, so seine Befürchtung. Das Ministerium habe sich bereits 2015 | |
ausführlich mit dem Problem fetaler Anormalien und Schangerschaften durch | |
sexuelle Gewalt beraten, sagte [7][Ford der BBC]. „Dabei sind wir zu dem | |
Schluss gekommen, dass es keinen einfachen Weg gibt, im Nachhinein eine | |
sexuelle Gewalttat nachzuweisen.“ | |
Ähnlich blockiert Irland eine Liberalisierung: Die Forderung nach einem | |
Referendum zur Änderung der rigiden Gesetzeslage prallten dort an der | |
Regierung ab. [8][Bei einer Demonstration im Herbst letzten Jahres | |
protestierten 10.000 Iren gegen den Abtreibungsparagraph in der | |
Verfassung], der 1983 per Volksentscheid gebilligt worden war. Der Tod | |
einer schwangeren Inderin ließ das Thema im November 2013 wieder in der | |
Öffentlichkeit hochkochen. Sie starb in der Klinik einer irischen | |
Kleinstadt an einer Blutvergiftung, weil die Ärzte sich weigerten, ihren | |
nicht lebensfähigen Fötus zu entfernen. | |
„So lange Politker in Stormont und Dáil (Irisches Parlament) weiterhin | |
unsere Menschenrechte missachten, werden wir unsere Kampagne fortsetzen“, | |
sagt Courtney Robinson, die an der nordirischen Burgruine Narrow Waters | |
Castle eine Tablette schluckte, umjubelt von dutzenden AktivistInnen. Ob | |
sie tatsächlich schwanger war oder die Pillen echt, das ließen die NGOs | |
bewusst offen. Dies sei eine Frage der ärztlichen Schweigepflicht, | |
erklärten die Frauen. Oder noch kürzer: Privatsache. | |
29 Jun 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=2Tz8V4UH6dI | |
[2] http://www.womenonwaves.org/en/page/6311/abortion-drone-ireland--abortion-p… | |
[3] /Aktion-in-Polen-und-Deutschland/!5206606 | |
[4] /Abtreibungsschiff-aus-den-Niederlanden/!5082461 | |
[5] /Schwangerschaftsabbruch-in-Nordirland/!5252736 | |
[6] http://labouralternative.org/about/ | |
[7] http://www.bbc.com/news/uk-northern-ireland-35416155 | |
[8] /Abtreibungsverbot-in-Irland/!5233135 | |
## AUTOREN | |
Michael Gruber | |
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