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# taz.de -- Protest gegen Abtreibungsgesetz: „Ich schäme mich für Polen“
> Vor allem junge Frauen gehen gegen die Verschärfung des
> Abtreibungsgesetzes auf die Straße. Der Protest zeigt: Es geht ein Spalt
> durch unser Nachbarland.
Bild: Die Polinnen lassen sich die Gesetzesänderung nicht so ohne Weiteres bie…
Im Streit um den Austausch der RichterInnen des Polnischen Obersten
Gerichts nach dem Regierungsantritt der PiS-Partei waren die Geschlechter
im Protest noch vereint. Am Montag auf dem Adam-Mickiewicz-Platz in
westpolnischen Poznań bot sich dagegen ein anderes Bild: Es waren vor allem
die Frauen, die schwarz gekleidet auf die Straße gingen und lautstark für
ihre Rechte demonstrierten. 8.000 Menschen sollen es bei strömendem Regen
gewesen sein, in Warschau bis zu 22.000. Sie protestierten gegen ein
drohendes weit ausgedehntes Abtreibungsverbot.
Bislang ist eine Abtreibung nur dann erlaubt, wenn die Schwangerschaft aus
Inzest oder Vergewaltigung resultiert, wenn das Kind eine schwere
Behinderung hat oder Gefahr für Leib und Leben der Mutter besteht. Träte
das geplante Gesetz in Kraft, wäre die Abtreibung nur noch bei
unmittelbarer Lebensgefahr für die Mutter erlaubt. Der Arzt entscheidet per
„Gewissensklausel“, ob er die Abtreibung für notwendig hält.
„Das ist ein Gesetzesentwurf, der uns sehr weit in den
Persönlichkeitsrechten und der Medizin zurückwirft“, sagt Kasia, die als
Beamtin beschäftigt ist. Ihren Nachnamen will sie nicht nennen. „Die Sache
ist nur eine von vielen, die in diesem Land gerade schief laufen, aber
diese ist für mich die Wichtigste“, schiebt sie hinterher und ihr Mann –
einer der Wenigen bei der Demonstration – pflichtet ihr bei: „Wir sind
nicht für Abtreibung, wir wünschen uns ein Kind, aber wir sind für die Wahl
einer Möglichkeit.“ Eine schwangere Frau mit der kleinen Tochter im Buggy
sagt: „Ich möchte nicht, dass andere Menschen über meinen Körper und den
von meinen Töchtern entscheiden. Ich schäme mich für mein Land, ich schäme
mich für die hiesige Kirche, für sie habe ich keine Worte mehr übrig.“
Dann bricht sie in Tränen aus – die Kirche unterstützt das totale
Abtreibungsverbot, als Gegenreaktion zu den Protesten wurden „Messen zum
Schutz des Lebens“ abgehalten. Immerhin, für die Bestrafung der Frau – fü…
Jahre Gefängnis sieht das Gesetz bei Abtreibung vor – ist die Kirche nicht.
„Polen ist doch angeblich so ein religiöses Land. Religion bedeutet
Toleranz, Toleranz für persönliche Entscheidungen, das vermisse ich hier“,
sagt eine Demonstrantin.
## Der Graben wird immer größer
Wenn das Gesetz in Kraft tritt, wird das die polnische Gesellschaft noch
tiefer spalten. Der Graben zwischen gläubigen, älteren, konservativeren
Menschen und den jüngeren, europazugewandten Menschen wird immer größer.
Auch beim Protest in Ponań sind vor allem jüngere Menschen dabei. Einige
berichten davon, dass sie im Arbeitsleben keine politischen Themen mehr
ansprechen, weil es sonst zu persönlichen Streits komme. Die
öffentlich-rechtlichen Medien, DemonstrantInnen nennen sie die
„Regime-Medien“, seien manipuliert, die regierende PiS-Partei sei nicht
kommunikations- geschweige denn kompromissfähig. Es gebe keine einigende
Stimme mehr im öffentlichen Diskurs. Bei der Frage, wer diese Rolle
übernehmen könnte, herrscht Ratlosigkeit.
„Es fehlt eine dialogfähige, charismatische Person, die Kompromisse
ausarbeiten kann, die die Menschen eint, statt sie zu trennen“, sagt
IT-Fachfrau Katarzyna Grabowska, eine der wenigen, die sich nicht scheut,
ihren Namen zu nennen. Die Einführung des Kindergeldes, die Unterstützung
von jungen Familien beim Eigenheimkauf seien nur billige Wahlköder gewesen,
sagt eine andere Demonstrantin.
Das hässlichste Detail des geplanten Gesetzes ist wohl, dass Frauen, die
eine Fehlgeburt erleiden, sich einer kritischen Befragung durch die
Behörden unterziehen werden müssen. Mit dem neuen Gesetz würden also
Frauen, die gerade ein Kind verloren haben, unter Generalverdacht gestellt.
So bitter dieser Gesetzesvorstoß ist, umso wichtiger ist der Protest der
Frauen, die öffentliche Sichtbarkeit ihres Missmuts und das laute Beklagen
des fehlenden Dialogs mit der Regierung. Den erzkonservativ-katholischen
Nationalisten muss die Angst vor europazugewandter Euphorie auf der anderen
Seite der Gesellschaft genommen werden. Wie auch immer das klappen mag.
Denn eines ist klar: Gesellschaftliche Auseinandersetzungen und Fortschritt
bedeuten noch lange nicht die Verleugnung des Wertesystems.
4 Oct 2016
## AUTOREN
Judyta Smykowski
## TAGS
Schwerpunkt Abtreibung
Polen
Katholische Kirche
PiS
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Beata Szydło
Familie
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