# taz.de -- Protest gegen Abtreibungsverbot: In Polen streiken die Frauen | |
> Die Polinnen treten im ganzen Land in den Ausstand. So wollen sie gegen | |
> die geplante Verschärfung des Abtreibungsgesetzes vorgehen. | |
Bild: Warschau: Protest gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes | |
Warschau taz | Einen Frauenstreik hat es in Polen noch nie gegeben, das | |
wird sich am Montag ändern. Im ganzen Land werden Polinnen schwarze | |
Trauerkleidung tragen und versuchen, den Staat lahmzulegen. Denn es sind | |
die vom Volk gewählten Parlamentarier, die in erster Lesung ein totales | |
Abtreibungsverbot angenommen haben. Ein weiteres Gesetzesprojekt soll die | |
„Pille danach“ verbieten, da diese angeblich eine Früh-Fehlgeburt auslöse. | |
Schon am Samstag versammelten sich Tausende wütender Polinnen vor dem Sejm, | |
dem Abgeordnetenhaus in Warschau. „Stoppt die Fanatiker an der Macht“, | |
skandierten sie, klagten aber auch die Gynäkologen an. Diesen sei das | |
eigene „gute katholische Gewissen“ wichtiger, als die Gesundheit ihrer | |
Patientinnen: „Wir brauchen Ärzte, keine Missionare!“, riefen sie und | |
setzten verzweifelt hinzu: „Frauenärzte! Wo seid ihr? Verteidigt eure | |
Patientinnen!“ | |
Schon heute hat Polen neben Malta und Irland eines der restriktivsten | |
Abtreibungsgesetze in Europa. Legal darf eine Schwangerschaft innerhalb der | |
ersten drei Monate nur abgebrochen werden, wenn sie das Ergebnis einer | |
Vergewaltigung ist, Leben und Gesundheit der Mutter in Gefahr sind oder | |
aber das Kind schwerstbehindert oder ohne Überlebenschance zur Welt kommen | |
würde. | |
Polnischen Klerikern wie auch katholischen Fundamentalisten unter den | |
Gläubigen ging das Gesetz von 1993 nicht weit genug. Jahrelang zeigten sie | |
in Kirchen und auf der Straße blutrünstige Foto-Ausstellungen mit | |
abgetriebenen „Babys“, daneben das Konterfei von Adolf Hitler oder auch den | |
Stacheldraht von Auschwitz. | |
## Wahlwerbung der katholische Kirche | |
Dennoch lehnten Abgeordnete Versuche ab, das Abtreibungsgesetz weiter zu | |
verschärfen und verwiesen – euphemistisch – auf den angeblichen | |
„Kompromiss“ von 1993. Seit Oktober letzten Jahres aber regiert in Polen | |
die nationalpopulistische Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), deren | |
Sieg auch auf die Wahlwerbung der katholische Kirche Polens zurückgeht. | |
Zwar bedankten sich die PiS-Mächtigen schon wortreich für die erfolgreiche | |
Wahlhilfe bei Polens Bischöfen wie auch dem rechtskatholischen Radio Maria | |
in Thorn, doch allen Polen war klar, dass hier noch einige Rechnungen zu | |
begleichen sind. Eine davon ist das verschärfte Abtreibungsgesetz. | |
Vor der Wahl hatte Beata Szydlo, die heutige Regierungschefin, versprochen, | |
dass sie keine Gesetzesprojekte von Bürgerinitiativen ignorieren werde. | |
Genau das taten aber die PiS-Abgeordneten: Das Projekt der Gruppe „Retten | |
wir die Frauen!“, das eine Liberalisierung des restriktiven | |
Abtreibungsgesetzes vorsah, landete ohne weitere Beratung im Papierkorb. An | |
die zuständige Kommission weitergeleitet wurde hingegen das Projekt der | |
Bürgerinitiative „Stopp Abtreibung“. Diese hatte das für seine rechten | |
Ansichten bekannte „Institut Ordo Iuris“ mit der juristisch einwandfreien | |
Formulierung des Bürgerbegehrens beauftragt. | |
Am Samstag hörten die PiS-Abgeordneten, was die Demonstrantinnen davon | |
hielten: „Schande!“, skandierten sie vor dem Sejm. „Lügner und Betrüger… | |
Eine Rednerin erinnerte die Polinnen daran, dass auch sie zum Souverän | |
gehörten und bei der nächsten Wahl mit dem Stimmzettel eine neue Regierung | |
bestimmen könnten. „Beata!“, rief sie der Premierministerin zu: „Eine | |
Regierung ist keine Schwangerschaft. Wir können sie liquidieren. Wir – die | |
Frauen Polens.“ | |
## Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren | |
Parallel zum parlamentarischen Vorstoß der Bürgerinitiativen ließ die | |
Bischofskonferenz in allen katholischen Kirchen des Landes einen | |
Hirtenbrief verlesen, der keinen Zweifel daran ließ, auf wessen Seite das | |
Episkopat stand. Sowohl PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski als auch Premier Beata | |
Szydlo stellten sich „als gläubige Katholiken“ umgehend hinter die Bischö… | |
und die Bürgerinitiative „Stopp Abtreibung“. | |
Das nunmehr in erster Lesung angenommene Gesetzesprojekt sieht | |
Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren für eine Abtreibung vor – zum Beispiel | |
bei Lebensgefahr für die Schwangere oder nach einer Vergewaltigung. Hinter | |
Gittern würde dann nicht nur die hilfesuchende Frau landen, sondern auch | |
der die Patientin behandelnde Arzt. | |
„Fundamentalismus hat mit Religion nicht allzu viel zu tun“, sagt die | |
bekannte Radio-Journalistin Ewa Wanat. „Ob jemand nach einem Stein greift, | |
um eine angebliche sündige Frau zu töten, oder im Sejm auf eine Knopf | |
drückt, um eine Frau zu einer lebensbedrohlichen Geburt zu zwingen – in | |
beiden Fällen handelt es sich um ein Todesurteil!“ | |
2 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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