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# taz.de -- Schwangerschaftsabbrüche in Polen: Für die Abtreibung über die G…
> Die meisten Abtreibungen sind in Polen illegal. Viele Frauen reisen für
> die Prozedur deshalb ins Ausland – oder begeben sich in die Hand von
> Laien.
Bild: Der Gynäkologe Janusz Rudzinski in der Prenzlauer Klinik
Prenzlau ap | Die 19-jährige Polin Monika hatte sich kürzlich von ihrem
Freund getrennt, da fand sie heraus, dass sie schwanger ist. Kein Partner,
kein Geld, eine jahrelange Ausbildung vor sich – da kam die junge Frau zu
dem Schluss, dass eine Abtreibung ihre einzige Option sei.
Aber Schwangerschaftsabbrüche sind in Polen in den meisten Fällen illegal,
und so tat die junge Frau, was viele andere Polinnen vor ihr getan haben.
Sie packte eine Tasche, reiste über die Grenze nach Deutschland und hatte
eine Abtreibung – an einem Ort, wo dies sicher und legal ist. Etliche
Polinnen haben sich auch an Einrichtungen in Tschechien, Slowakien oder in
den Niederlanden gewandt.
„Ich fühle mich jetzt gut“, sagte Monika aus ihrem Krankenhausbett im
brandenburgischen Prenzlau, nachdem ihre siebenwöchige Schwangerschaft
abgebrochen worden war. „Ich hätte niemanden gehabt, der sich um das Baby
kümmert und hätte es mir finanziell nicht leisten können. Ich war nicht in
der Lage, damit fertig zu werden.“
Polen ist eine Gesellschaft, die in der Abtreibungsfrage tief gespalten
ist. Das Land hat bereits eines der striktesten Gesetze in Europa, und die
loyal zur katholischen Kirche stehende Regierung würde es gern sogar noch
verschärfen. Ein jüngster Vorstoß für ein völliges Verbot löste dann aber
so große Empörung und Straßenproteste von Frauen aus, dass er
fallengelassen wurde.
Jetzt macht sich die Regierungspartei für ein Beinahe-Verbot stark – was
Befürworter des Abtreibungsrechts neu zum Widerstand beflügelt.
## Erst taufen, dann beerdigen
Auch die 22-jährige Ewa kam aus Polen zur Abtreibung nach Prenzlau. Die
kürzlichen Proteste hätten sie erst darauf aufmerksam gemacht, dass
Schwangerschaftsabbrüche im Ausland möglich seien, schildert sie. „Andere
Frauen, die im Internet über ihre Erfahrungen geschrieben haben, haben mir
bei meiner Entscheidung geholfen.“
Abtreibungen sind in Polen nur bei Inzest, Vergewaltigung, Lebensgefahr für
die Frau oder bei unheilbaren schweren Schäden des Fötus erlaubt, bis Ende
der 12. Schwangerschaftswoche. Im vergangenen Jahr gab es 1.040 legale
Abtreibungen, aber nach Angaben von Experten liegt die wahre Zahl in diesem
Land mit 38 Millionen Einwohnern bei 150.000.
Frauen besorgen sich Abtreibungspillen von anderswo, reisen für den
Schwangerschaftsabbruch ins Ausland oder wenden sich – ein riskanter
Schritt – an medizinisch nicht geschulte Leute, die mit Abtreibungen Geld
machen wollen.
Käme die polnische Regierung mit ihren neuen Vorschlägen durch, wären
künftig auch Abtreibungen in Fällen von genetischen Defekten des Fötus wie
dem Down-Syndrom verboten – und Frauen müssten ihr Kind auch austragen,
wenn es keine Überlebenschance nach der Geburt hätte. Dann könnte das
geborene Kind „getauft, beerdigt werden und einen Namen haben“, sagte der
Chef der Regierungspartei, Jaroslaw Kaczynski.
## Jede Vierte hat abgetrieben
Tatsache ist, dass sogar derzeit erlaubte Abtreibungen Frauen oft verwehrt
bleiben – wegen der großen Zahl von Ärzte, die sich aus „Gewissengründen…
verweigern. „Das derzeitige Gesetz funktioniert in der Praxis nicht“, sagt
Krystyna Kacpura von der Vereinigung für Frauen und Familienplanung.
„Frauen sind klug und finden immer einen Weg, Regierungshürden zu
überwinden. Wir befinden uns im Zentrum von Europa, es ist leicht, per
Bahn, Flugzeug, Bus oder Auto in ein anderes Land zu reisen.“
Karina Walinowicz ist Rechtsanwältin für die katholische Gruppe Ordo luris,
die sich erfolglos für ein völliges Abtreibungsverbot eingesetzt hat. Sie
meint, dass Gesetze eine wichtige Rolle dabei spielten, Menschen zu lehren,
was richtig und was falsch sei. „Abtreibung ist die Tötung einer Person vor
der Geburt, wenn die Person am schwächsten ist, unfähig, sich zu
verteidigen“, argumentiert die Juristin.
CBOS, ein führendes Meinungsforschungsinstitut in Warschau, schätzt, dass
mindestens jede vierte polnische Frau eine Abtreibung gehabt hat, aber nur
sehr wenige würden das zugeben. Im Warteraum der Klinik in Prenzlau saßen
mehrere polnisch sprechende Männer, verneinten aber die Frage, ob sich ihre
Partnerinnen wegen einer Abtreibung dort aufhielten.
Monika erhielt binnen einer Woche einen Termin, nachdem sie den Arzt Janusz
Rudzinski angerufen hatte, einen Polen, der in Deutschland lebt und die
Klinik-Abteilung für Gynäkologische Onkologie, spezielle operative
Gynäkologie und Ästhetische Chirurgie leitet.
Während zwei Stunden, die er mit Reportern der Nachrichtenagentur AP
verbrachte, beantwortete Rudzinski mindestens acht Telefonanrufe auf
Polnisch. Jedes Mal versicherte er der Stimme am anderen Ende, dass
Schwangerschaftsabbrüche bis Ende der 12. Woche in Deutschland legal seien.
Die Klinik führt nach seinen Angaben pro Woche ungefähr 20 Abtreibungen bei
polnischen Frauen durch.
## Schneider, Schuster, Handwerker
In einem Fall rief eine Polin an und schilderte, sie habe selbst mit einem
Draht abzutreiben versucht. Nun habe sie starke Schmerzen im Unterbauch und
hohes Fieber. Rudzinski riet ihr, sofort ein Krankenhaus aufzusuchen.
Wie der Arzt sagt, hat sich mittlerweile in Polen ein Untergrund-Netzwerk
für Abtreibungen entwickelt, was zu einem Rückgang der
Schwangerschaftsabbrüche im Ausland geführt habe. „Drei von vier
(illegalen) Abtreibungen werden jetzt in Polen vorgenommen, aber nicht von
Ärzten. „Schneider, Schuster, Handwerker führen sie durch, um Geld zu
verdienen.“
Rudzinski verteidigt die Frauen, die sich zu einem Schwangerschaftsabbruch
entschließen. „Eine Abtreibung ist für niemanden ein Vergnügen. Es gibt
immer Gründe dafür, größere oder kleinere.“
6 Nov 2016
## AUTOREN
Monika Scislowska
## TAGS
Polen
Schwerpunkt Abtreibung
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Schwerpunkt Abtreibung
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