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# taz.de -- Debatte Genderbashing: Die Stunde der Phobiker
> Kritik an der Genderforschung ist unter Konservativen in Mode. Sie wird
> auch benutzt, um Errungenschaften der Moderne in Frage zu stellen.
Bild: Frauen sind noch nicht gleichberechtigt, auch wenn Kritiker des Gender-Ma…
Papst Franziskus tut es, US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump tut es,
und auch europäische Organisationen wie „New Women for Europe“ tun es: Sie
betreiben Gender-Kritik. In Deutschland engagieren sich AfD-Politikerinnen
wie Frauke Petry und Beatrix von Storch sowie PublizistInnen wie Birgit
Kelle stark gegen Gender-Mainstreaming.
Nun muss niemand die Gleichstellung der Geschlechter – das Ziel von
Gender-Mainstreaming – gut finden. Jede und jeder hat das Recht, so
konservativ und in Geschlechterstereotypen zu leben, wie sie und er will.
Manchmal kann man Gender-KritikerInnen sogar verstehen: Man darf schon mal
genervt sein von Debatten über geschlechtergerechte Verkehrsschilder,
Unisex-Toiletten und von akademisch geführten Diskursen um gendergerechte
Sprache: Das Binnen-I habe ausgedient, weil es einen Penis symbolisiere.
Jetzt bitte nur noch *, _ oder das Suffix x verwenden. Ebenso ärgern darf
man sich über das Wortungetüm Gender-Mainstreaming, das außer
AkademikerInnen kaum jemand übersetzen und richtig erklären kann.
Aber es gibt ein Problem: Seit der Rechtspopulismus zum Mainstream
avanciert ist, ist Gender-Bashing groß in Mode.
GleichstellungsphobikerInnen fühlen sich im Aufwind: Jetzt wird mal so
richtig aufgeräumt mit dem ganzen Genderquatsch. Beatrix von Storch zum
Beispiel. Die Vizechefin der AfD lässt nahezu keine Gelegenheit aus, gegen
Gender-Mainstreaming zu Felde zu ziehen. Das sei eine „politische
Geschlechtsumwandlung“, ziele auf die „Dekonstruktion der Geschlechter“ u…
diskriminiere Jungs und Männer.
Andere KritikerInnen wie der Zeit-Autor Harald Martenstein führen gern die
173 Gender-Professuren an deutschen Unis und Fachhochschulen als elitäre
Frauenforschung ins Feld. Die 100 Slawistik-Professuren und die wenigen
Paläontologie-Lehrstühle, erklärte Martenstein in einer Kolumne, seien von
den Genderisten längst überholt worden. Alexander Kissler vom Magazin
Cicero erkennt „Gender-Hokuspokus“ und einen Gender-Glauben, der für
„teures Staats-, also Steuer-, also unser aller Geld“ verkünde, dass
Mannsein und Frausein eine „gesellschaftliche Konstruktion“ sei. In der FAZ
ist ein Text über die erstarkende Männerrechtsbewegung überschrieben mit
„Das vernachlässigte Geschlecht“. Birgit Kelle, Autorin und Chefin des
Vereins Frau200Plus, hat ein ganzes Buch über „Gendergaga“ geschrieben.
## Gender-Studies diskreditiert
Alles, was auch nur den Anstrich von „Gender“ hat, wird abgelehnt und
verächtlich gemacht, den universitären Gender-Studies wird der
wissenschaftliche Charakter abgesprochen und ideologische
Voreingenommenheit unterstellt: Das Forschungsfeld sei überflüssige
Frauenförderung, weil Frauen längst gleichgestellt seien.
Man muss schon taub und blind sein, um zu leugnen, dass Frauen vielfach
schlechter bezahlt werden als Männer und vielfach eine miserable Rente
kriegen. Dass es weniger Chefinnen als Chefs gibt, dass Teilzeitjobs
vorrangig von Frauen ausgefüllt werden. Dass alltäglicher Sexismus
insbesondere Frauen trifft. Macht nichts – die Gender-KritikerInnen fordern
trotzdem, dass jetzt endlich mal die Männer in den politischen und
wissenschaftlichen Fokus gehörten.
Nun ist gegen Männerforschung gar nichts einzuwenden. Im Gegenteil, sie ist
wichtig: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Elternzeit – das sind
schon lange keine singulären Frauenthema mehr. Geschlechtergerechte
Rollenmodelle bevorzugen nicht nur viele Frauen, sondern auch Männer.
Ebenso gehören männliche Lebensweisen, die männliche Psyche und
Männergesundheit auf die politische Agenda. Weil Männer unter anderem
früher sterben als Frauen, öfter Selbstmord begehen und zahlreicher
Alkoholiker und Drogenkonsumenten sind.
Aber: Männerforschung gibt es längst. Es gibt den Männergesundheitsbericht,
Männerkongresse, Vätergruppen, Männertreffs. Familienförderung konzentriert
sich seit Jahren gleichermaßen auf Frauen und Männer. Stichworte dafür
sind: Vätermonate und Teilzeit auch für Chefs. Debatten kreisen um
unterschiedliche männliche Lebensentwürfe jenseits traditioneller
Heldenrollen. Das ignorieren Gender-KritikerInnen allerdings nicht nur, es
ist ihnen vielmehr ein Dorn im Auge. Sie wollen vielmehr zurück zu einem
konservativen Familienbegriff, der den Geschlechtern klare Rollen zuweist:
Frau an den Herd, Mann raus in die Welt.
## Christlicher Familialismus
Nicht zufällig kommen viele Gender-KritikerInnen aus einem
christlich-fundamentalen Lager, das Familie als die „Keimzelle“ der
Gesellschaft als Gemeinschaft aus Vater, Mutter, Kind(ern) sieht.
Homosexualität, Eingetragene Partnerschaft und Adoptionsrecht für
Homosexuelle werden ebenso abgelehnt wie Abtreibung und Sexualerziehung in
der Schule. Der Soziologe Andreas Kemper nennt das „Familialismus“.
Die Auswüchse dieser Propaganda sind in Deutschland und in anderen
europäischen Ländern zu beobachten: In Polen sollte Abtreibung komplett
verboten werden, in der Slowakei gab es ein Referendum, mit dem unter
anderem SchülerInnen vom Sexualkundeunterricht ferngehalten werden sollen.
In Frankreich, dem Land, das 1999 in einem emanzipatorischen Akt als erstes
in Europa die „Homo-Ehe light“ eingeführt hatte, gibt es Massendemos gegen
das Adoptionsrecht von Homosexuellen.
Deutschland erlebt immer wieder Tumulte um die Sexualerziehung in der
Schule und alljährliche Demos von „LebensschützerInnen“, die der
evangelikalen Pro-Life-Bewegung aus den USA ähneln. Und in jüngster Zeit
veröffentlichen konservative Medien Texte, die ausführlich Gewalt gegen
Männer thematisieren. Ja, es gibt Frauen, die ihre Partner schlagen. Und
ja, es gibt Männer, die sich nicht wehren können. Das ist ein Problem. Das
löst man aber nicht, indem man Gewalt gegen Gewalt aufrechnet und Männer zu
Opfern macht. Man löst es auch nicht, indem man all die Gewalt dem
Gender-Mainstreaming zuschreibt.
Das Problem löst man, in dem man Gender-Forscherinnen in Ruhe arbeiten
lässt und ihre Ergebnisse ernst nimmt.
28 Oct 2016
## AUTOREN
Simone Schmollack
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