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# taz.de -- Debatten-Reihe „Warum AfD?“ – Teil 2: Neoliberale mit völkis…
> Viele Wähler der Partei sind gebildet und gutsituiert. Sie wähnen sich im
> Kulturkampf gegen Muslime, Schwule und Feministinnen.
Bild: Fröhlich vereint im Kulturkampf gegen den gesellschaftlichen Fortschritt
Georg Pazderski hält die AfD schon für die neue Arbeiterpartei. Am Tag nach
der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus zählt der Spitzenkandidat der
Rechtspopulisten auf: 18 Prozent der Arbeiter haben für die SPD gestimmt,
16 Prozent für die Linke, 27 Prozent „für uns“: „Offensichtlich sprechen
wir die Sprache der Arbeiter“, freut sich der ehemalige Bundeswehroffizier.
Pazderski ist nicht der Einzige, der die These von der neuen Arbeiterpartei
vertritt, auch unter den Kritikern der Rechtspopulisten wird sie immer
häufiger formuliert. Gewöhnlich geht die Gleichung so: Arbeiter und
Arbeitslose wählen die Rechtspopulisten, weil sie sich sozial abgehängt
fühlen, um die Zukunft sorgen und von den anderen Parteien keinerlei
Unterstützung mehr erwarten. Ob sie dies aus Überzeugung tun oder weil sie
den anderen Parteien einen Denkzettel verpassen wollen, [1][wie der Kollege
Martin Reeh an dieser Stelle jüngst argumentierte], ist dabei zweitrangig.
Folgt man dieser Argumentation, liegt die Lösung auf dem Tisch: Mit höheren
Sozialausgaben und mehr Rente lässt sich der AfD das Wasser abgraben. Es
kann gut sein, dass im Bundestagswahlkampf ein Teil der Parteien diesen Weg
gehen wird. Ausreichen wird es nicht.
Denn die Lage ist komplizierter: Bei der AfD geht es nicht um Klassenkampf.
Entscheidend für den hohen Zuspruch bei den WählerInnen ist der
Kulturkampf, den die AfD führt.
Zwar stimmt: Seitdem der Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke die Partei
verlassen hat, nimmt der Anteil unter den Arbeitern und Arbeitslosen zu,
die für die Rechtspopulisten stimmen. Auch ist die AfD in Gegenden mit
hoher Arbeitslosigkeit und geringer Wirtschaftskraft besonders erfolgreich.
Über 20 Prozent holte die Partei bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt
und Mecklenburg-Vorpommern, über 30 Prozent in einigen Wahlkreisen im
Ostteil Berlins.
## Es geht nicht um Klassenkampf
Doch auch in Baden-Württemberg, wo die Arbeitslosigkeit niedrig ist und die
Wirtschaft floriert, haben über 15 Prozent der WählerInnen für die AfD
gestimmt. 2014, das ergeben Daten des Sozio-ökonomischen Panels, die das
Institut der Deutschen Wirtschaft ausgewertet hat, gehörten ein Drittel der
AfD-WählerInnen zum reichsten Fünftel der Bevölkerung, nur 15 Prozent kamen
aus der unteren Einkommensschicht. Seitdem hat sich die AfD-Wählerschaft
zwar verändert, ausgetauscht aber hat sie sich nicht. Auch hat die größte
Gruppe der AfD-WählerInnen keinen niedrigen, sondern einen mittleren
Bildungsabschluss.
Und schaut man sich die Statistiken genau an, stellt man fest: Auch
Angestellte, Selbstständige und Rentner wählen heute in beträchtlicher
Anzahl rechtspopulistisch. Sie sind es auch, die man gewöhnlich auf
AfD-Veranstaltungen antrifft – wo ohnehin wenig von Solidarität mit
Hartz-IV-Anhängern oder von Armut bedrohten Alleinerziehenden die Rede ist.
Im Gegenteil.
Zwar beschreibt Vizechef Alexander Gauland die AfD gern als gern „Partei
der kleinen Leute“, auch setzt sie sich laut Grundsatzprogramm für den
Mindestlohn ein. Im Kern aber ist die AfD eine neoliberale Partei. Sie will
Erbschaft- und Vermögensteuer abschaffen, jüngst hat die Partei erbittert
diskutiert, ob das Arbeitslosengeld nicht privatisiert und der „selbst
gewählte“ Lebensstil von Alleinerziehenden unterstützt werden soll. Und der
Berliner Spitzenkandidat Pazderski fordert mehr Wohneigentum in Berlin –
einer Stadt, in der die Wohnungsnot immer größer wird.
Gewählt wird die AfD nicht wegen der Sozialpolitik. Gewählt wird sie, das
zeigen Befragungen, weil sie sich ganz klar gegen den Zuzug von
Flüchtlingen ausspricht. Weil sie gegen den Islam mobilmacht und zum
völkischen Abstammungsprinzip im Staatsangehörigkeitsrecht zurückwill. Weil
sie dem selbstbewussten Auftreten von Schwulen und Feministinnen und dem
vermeintlichen „Gender-Wahn“ ein Ende setzen will. Kurz gesagt: Weil sie
das „rot-grün-versiffte 68er-Deutschland“ (AfD-Chef Jörg Meuthen) bekämp…
das für eine weltoffene und tolerante Republik steht – die das Leben und
das Verstehen der Welt manchmal allerdings so verdammt kompliziert machen
kann.
## Die Kanzlerin als Katalysator
Die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin ist dabei nur eine – wenn auch überaus
geeinigte – Art von Katalysator, die bei Bedarf auch durch andere
Feindbilder ersetzt werden kann. Die AfD-Spitze hat längst erkannt, dass
bei geschlossener Balkanroute und sinkenden Zuzugszahlen dieses Thema sie
im kommenden Jahr nicht verlässlich zweistellig in den Bundestag tragen
wird – und ist flugs umgeschwenkt. Inzwischen stehen Integrationsprobleme
und die vermeintliche Bedrohung durch den Islam und die Muslime hierzulande
im Mittelpunkt der AfD-Propaganda.
Deutschland vollzieht damit nach, was sich in anderen europäischen Ländern
wie Österreich, Frankreich oder den Niederlanden längst abgespielt hat. Die
dortige Erfahrung und viele Studien zeigen: Nicht nur das Prekariat ist für
rassistische, nationalistische und völkische Parolen anfällig.
Rechtspopulistische Einstellungen finden in allen gesellschaftlichen
Gruppen Zuspruch. Bislang haben die anderen Parteien einen Teil der
AnhängerInnen eingehegt, jetzt finden sie bei der AfD eine politische
Heimat.
Wer die Lesungen von Thilo Sarrazin oder Alice Schwarzer in den vergangenen
Jahren beobachtet hat, konnte diese Entwicklung auch für Deutschland
erahnen. Dort kamen bereits Menschen zusammen, die schon zusammenzucken,
wenn sie auf der Kinderschokolade statt des gewohnten blonden, blauäugigen
Milchbubis ein Kinderfoto von Mesut Özil anlächelt – egal ob sie im Job
Perlenkette oder Blaumann tragen.
Das heißt: Um den Rechtspopulisten das Wasser abzugraben, braucht es weit
mehr als gute Sozialpolitik. Der Kampf um eine weltoffene und liberale
Gesellschaft muss offensiv geführt werden – überall und ganz direkt. Das
gilt für die Politik, aber auch für Debatten am Arbeitsplatz und unter
Freunden, in der U-Bahn und an der Kasse im Supermarkt. Und, so
erschreckend das ist: Dieser Kampf muss wirklich noch einmal gewonnen
werden.
25 Sep 2016
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## AUTOREN
Sabine am Orde
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