Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Behelfsetikett: Lauschen auf Volkes Stimme
> Gegen „die da oben“: Von den Wahlentscheidungen einiger
> Familienmitglieder hält unser Autor wenig. Doch die Familie wählt man
> nicht.
Bild: Wenn die Stimme der Vernunft schweigt: Am Wahlsonntag wählten viele aus …
Am Abend des Berliner Wahlsonntags musste ich an einen meiner Brüder denken
und eine Begebenheit vor fünf Jahren. Der Bruder lebt schon immer in
Mecklenburg. Damals standen gerade Landtagswahlen an, und ich hatte
gefragt, wen er eigentlich wählt und ob er mir das verraten würde. Mit
seiner Antwort hatte ich nicht gerechnet. Mein Bruder hatte die NPD
gewählt.
Erst mal war ich sprachlos. „Warum?“, fiel mir Minuten später als erste
Reaktion dazu nur ein. „Weil die gegen die da oben sind“, kam als knappe
Antwort.
„Was weißt du denn sonst noch so von der Partei?“, fragte ich zurück.
„Nichts weiter“, gab mein Bruder zu. Und ich erklärte ihm lang und breit,
was die NPD so alles erreichen will und dass die Partei unter anderem gegen
Leute wie mich Stimmung macht. Aber klar, warum sollte man beim Wählengehen
auch an seinen schwulen Bruder in der Hauptstadt denken?
Ich muss meinen Bruder, den ich gerne hab, bald mal wieder anrufen. Ich
könnte wetten, dass er diesmal sein Kreuz bei der AfD gemacht hat. Es ist
zum Haareraufen. Aber Brüder kann man sich eben nicht aussuchen.
Tanten auch nicht. Ich habe zwei davon in Berlin, Onkels gehören dazu.
Tante A wohnt in Reinickendorf, Tante B in Alt-Friedrichsfelde. Ab und an
bin ich bei ihnen zu Gast auf einen Plausch bei Kaffee und Kuchen, ich kann
sie alle echt gut leiden. Wir reden über dies und das, eher naheliegende
Dinge, andere Verwandte, den letzten Urlaub, krankheitsbedingte Wehwehchen,
Flüchtlinge natürlich und zuletzt immer öfter über: „die da oben“.
## Mantra „Alles wird teurer“
Vom Tenor her geht es dabei vor allem darum, dass „die da oben“ nicht
wissen, was sie tun, weil sie das offensichtlich Falsche machen, und dass
es viel besser ginge, wenn man einfach nur auf Volkes Stimme achten würde.
Summa summarum höre ich als Motiv, gegen „die da oben“ zu wettern, eine
Gemengelage von allgemeiner Unzufriedenheit heraus. Meist sind es kleine
Dinge, die im Argen liegen, lokale Schieflagen sozusagen – das Mantra
„Alles wird teurer“ kennt jeder – und die Flüchtlinge an sich gehören d…
Diese allgemeine Verdrossenheit ähnelt einem starken Gefühl, das umso
heftiger um sich zu greifen scheint, je weiter die Globalisierung und
Digitalisierung, kurzum die Unübersichtlichkeit der Welt, voranschreiten:
dass man selbst zu kurz kommt.
Rational ist das nicht wirklich zu fassen. Denn den Verwandten geht es –
ganz im Gegensatz zu meinem Bruder – finanziell ganz gut. Die Rente reicht
bei Tante A dafür, zweimal im Jahr in den Urlaub zu fliegen. Wenn ich da an
meine künftige Rentenhöhe denke … – aber das ist ein anderes Thema.
Die Verwandten sind in ihren Meinungen erstaunlich gefestigt. Argumente
bringen nicht viel, wenn man sich erst mal gegen „die da oben“
eingeschossen hat, ist meine Erfahrung. Allzu kontrovers mag ich auch nicht
diskutieren: Ich will es mir ja nicht mit den Tanten verscherzen. Deshalb
habe ich nicht gefragt, was sie dieses Mal gewählt haben. Ich kann es mir
denken.
Was macht man da jetzt bloß?
Ich sehe nur eine Lösung: „Die da oben“ müssen es meinen lieben Tanten
beweisen! Und „die da oben“ sind ja bald bis auf Michael Müller und ein
paar anderen SPD-Senatoren lauter neue Leute von den Linken und den Grünen.
Also rauft euch „da oben“ zusammen, macht einen besseren Job als die
Vorgänger, hört mehr auf die einfachen Leute und ihre Sorgen und Nöte und
nehmt damit der AfD den Wind aus den Segeln. Das sollte Rot-Rot-Grün doch
hinkriegen!
2 Oct 2016
## AUTOREN
Andreas Hergeth
## TAGS
Schwerpunkt Landtagswahlen
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Schwerpunkt AfD
Berlin
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Fernsehen
BND
Friedrichshain
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Schwerpunkt AfD
Kulturkampf
Friedrichshain
Behelfsetikett
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Behelfsetikett: Rot-Rot-Grün im Dschungelcamp
Klaus Lederer hat den Senat mit der Sendung „Ich bin ein Star – Holt mich
hier raus“ verglichen. Okay, dann spielen wir das mal durch.
Kolumne Behelfsetikett: Lassie, superscharf
Unser Autor muss handeln: Sein digitales Antennenfernsehen wird bald auf HD
umgestellt. Zum Glück kennt er sich mit Umstellungen aus.
Kolumne „Behelfsetikett“: Analog nach einem Ausweg suchen
Kein Entrinnen möglich: Die ganze Stadt ist im Weihnachtstaumel. Da hilft
nur abtauchen. Zum Beispiel mit einem coolen Live-Escape-Room-Spiel.
Kolumne Behelfsetikett: Stiller Ort mit Lebensbaum
Frühmorgens dreht unser Autor gern ein paar Runden auf seinem
Lieblingsfriedhof in Friedrichshain. Doch nun bedroht ein Bauprojekt das
Idyll. Zum Kotzen.
Rot-rot-grüne Planungen im Bund: Größere Lockerungsübung
SPD, Linke und Grüne planen einen „Trialog für eine progressive Politik“.
Klingt steif, könnte aber der Anfang von R2G im Bund werden.
Kolumne So nicht: Wir ist auch keine Lösung
Wenn die B.s des eigenen Lebens gleichzeitig wählen, kann man schon mal
wieder fragen: Was tun? Oder eben Richtfest feiern.
Debatten-Reihe „Warum AfD?“ – Teil 2: Neoliberale mit völkischem Einschl…
Viele Wähler der Partei sind gebildet und gutsituiert. Sie wähnen sich im
Kulturkampf gegen Muslime, Schwule und Feministinnen.
Kolumne Behelfsetikett: Kalter Hund und Sternburger Bier
Vom Medienhype rund um die Rigaer Straße hält unser Autor so gar nichts.
Denn sein Kiez hat andere Probleme.
Kolumne Behelfsetikett: Blick aus dem Tigerkäfig
Flüchtlinge fressen oder lieber Müller einsperren? Einige Gedanken über die
Kunst im Umgang mit Geflüchteten.
Kolumne Behelfsetikett: Die Sommerfrische ist in Gefahr
Die Brache nebenan wird immer kleiner, weil ein Wohnprojekt nach dem
anderen hochgezogen wird. Jetzt soll auch der letzte Freiraum verschwinden.
Ein Grund für Widerstand?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.