| # taz.de -- Kolumne So nicht: Wir ist auch keine Lösung | |
| > Wenn die B.s des eigenen Lebens gleichzeitig wählen, kann man schon mal | |
| > wieder fragen: Was tun? Oder eben Richtfest feiern. | |
| Bild: Wählt dieser Kroate etwa Kommunisten? | |
| Ist schon Kommunismus oder kann ich mich wieder hinlegen? Sieht nicht so | |
| aus. Also nochmal umdrehen. Bin schließlich im Urlaub. Und es ist | |
| Tintenfischzeit. Und Weinernte. Und „Tulum“. Also Party. Und also gibt es | |
| anderes zu tun und zu reden als sich um Politik zu scheren. | |
| Blöderweise wurden ausgerechnet in meiner Urlaubszeit in den beiden Orten, | |
| in denen ich offiziell Einwohnerin und wahlberechtigt bin, Parlamente | |
| gewählt. Beide fangen mit B an. Der eine ist die Hauptstadt der Deutschen | |
| und der andere mein Urlaubsdorf an der Adria (Ost). | |
| Das, was ich von den Wahlen in beiden B.s mitbekam, war irgendwie gleich. | |
| In Kroatien rief die katholische Kirche dazu auf, wählen zu gehen, weil es | |
| die Pflicht eines Gläubigen sei, die Zukunft in die Hände derer zu legen, | |
| die Gott und Vaterland schützen. | |
| ## „Wer war das?“ | |
| Einen Sonntag später las ich dort, wo Leute sonst „Lesebefehl!“ oder | |
| „Lesen!“ schreiben, also auf Facebook, „Wählen gehen!“ oder „Wählen… | |
| manchmal mit dem Zusatz, dass sich in Zukunft nur über die AfD beschweren | |
| darf, wer wählen geht. Im 84-Seelen-Dorf an der Adria (Ost) fragte man sich | |
| am Tag nach der Wahl, woher die Kommunisten hier vier Stimmen bekommen | |
| hatten: „Wer war das?“ | |
| Auf Facebook wurde ich über die Stimmenverteilung in dem großen B. | |
| informiert: „So hat mein Wahlkreis, mein Kiez, meine Straße gewählt“. Und | |
| wenn es in einer von diesen „meine Straße“ vier Stimmen für die AfD gab, | |
| wurde gefragt: „Wer war das?“ | |
| Die beiden B.s haben miteinander so viel zu tun, wie, keine Ahnung, Bad | |
| Gottleuba-Berggießhübel mit Buenos Aires. Im kleineren B. spricht man aber | |
| eher seltener von meiner Straße oder meinem Land, sondern von unserer | |
| Straße und unserem Land. | |
| Einerseits ist das korrekt. Niemand besitzt seine Straße allein, niemand | |
| lebt in seinem Kiez allein. Es ist immer ein Haufen, den man so | |
| Gesellschaft nennt. In dem einen B. ist der Haufen halt nur ein bisschen | |
| größer als in dem anderen. | |
| ## Karamelisiertes Richtfest | |
| Andererseits ist dieses auch in Deutschland beliebte Wir und Uns eine | |
| schreckliche Erfindung. Jeder einzelne, der anders ist als der große | |
| Haufen, der also kommunistisch wählt oder schwul ist oder keinen | |
| Tintenfisch mag oder nicht findet, dass Muslime faul sind und Serben Diebe, | |
| gilt als Störenfried.Wir ist also auch keine Lösung. Und der Kommunismus | |
| immer noch nicht da. | |
| Was tun? Irgendwas erfinden, dass zwischen Ich und Wir steht. | |
| Irgendein Dach, unter dem die Ichs und die Wirs es zusammen aushalten. Das | |
| wäre gut. | |
| Letzte Woche war ich an der Adria (Ost) in einem Restaurant. In dessen | |
| Speisekarte steht unter „Rožata“ die deutsche Übersetzung: „Traditionel… | |
| dalmatinische Creme mit karamellisiertem Richtfest“. | |
| Gesegnet sei der geniale Übersetzer, der aus Dressing oder Topping ein | |
| Richtfest machte. Wir sollten alle viel mehr Richtfeste feiern. Wenn das | |
| Dach nichts taugt, kann man es ja wieder abreißen. Und ein neues bauen. Und | |
| wieder Richtfest feiern. | |
| Feiert ein, zwei, drei, viele Richtfeste – könnte ein gutes kommunistisches | |
| Motto sein. | |
| 27 Sep 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Doris Akrap | |
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