# taz.de -- Reden mit der AfD?: Die gewinnen schon wieder | |
> Mit den Anhängern der AfD sprechen, weil Blockade und Ablehnung nur den | |
> Rechtsextremen helfen – unser Autor findet das gut. Und wird trotzdem | |
> zornig. | |
Bild: Viele in den neuen Bundesländern fühlen sich abgehängt – zu Recht | |
Am Wochenende habe ich einen Text in dieser Zeitung gelesen, den ich sehr | |
gut fand. Und der mich wütend machte, meine Hände haben gezittert beim | |
Lesen, und ich konnte an nichts anderes mehr denken als an diesen Text. | |
[1][Unser Reporter Peter Unfried hat darüber geschrieben], wie die | |
ehemalige Fraktionsvorsitzende der Grünen in Sachsen, Antje Hermenau, sich | |
an den politischen Stammtisch der AfD im sächsischen Döbeln gesetzt hat. | |
Hermenau war in ihrer Partei schon lange eine Besonderheit, sie hätte gern | |
in Sachsen regiert, mit der CDU. In Döbeln hörte sie sich an, was die | |
Menschen zu sagen hatten, redete mit ihnen. Intellektuell finde ich das | |
gut, ja, so muss man das machen, denn Ausgrenzung und Blockade nützen nur | |
der AfD. Zugleich merkte ich beim Lesen, wie mir das Wutwasser den Hals | |
hochstieg. | |
Für Menschen, die sich in den seelisch weniger beheizten Gegenden dieses | |
Landes vor Flüchtlingsheime stellen, um sie zu schützen, für alle in | |
Ostdeutschland, die sich seit dem Mauerfall abends genau überlegt haben, | |
wie sie nach der Dorfdisco nach Hause gehen, um keinen Glatzen zu begegnen, | |
für alle, die ein bisschen anders aussahen und deswegen aufpassen mussten, | |
auf ihre Zähne und manche auch auf ihr Leben, für all diese kann sich so | |
ein Verhalten wie das von Antje Hermenau leicht wie Verrat anfühlen. | |
## Verraten vom Westen, verraten von sich selbst | |
Der Teil von mir, der nicht denkt, sondern fühlt, sieht das so. Nicht weil | |
ich glaube, dass alle AfD-Wähler im Osten Rassisten sind. Sie haben | |
Entwertungserfahrungen gemacht und mussten sich von Leuten aus dem Westen | |
entwürdigenden Scheiß über ihr Leben anhören. Aber es sind eben auch die | |
Menschen, die in den 90ern und später bei jedem noch so offensichtlichen | |
Nazi-Überfall von Greifswald bis Gera immer behauptet haben, die Presse aus | |
dem Westen würde alles schlechtreden, es gebe hier keine Nazis, es ginge | |
nur darum „den Osten“ zu diffamieren. | |
Der Osten, Ostdeutschland, das waren leider immer nur sie selbst: Sie und | |
alle anderen, die mit der Situation, so, wie sie war, gut klargekommen | |
sind. Es waren unsere Eltern, Großeltern, Nachbarn und die Männer, die in | |
ihren zu Kneipen umgebauten Garagen soffen, und die Frauen, die für sie das | |
Leben auf die Reihe kriegen mussten. Leute, die zu alt waren, um nachts auf | |
den Straßen zu sehen, was wirklich los war. Und wenn es dann mal nicht mehr | |
zu ignorieren war, schafften sie es trotzdem. | |
Es waren die Mächtigen, die so dachten und redeten: Bürgermeister, | |
Landtagsabgeordnete, Ministerpräsidenten. | |
Ostdeutschland, das waren für diese Menschen leider nie diejenigen, die mit | |
eingetretenen Rippen im Krankenhaus lagen. Mir ist mit 16 oder 17 Jahren | |
klar geworden, „den Osten“ gibt es nicht, jedenfalls nicht dann, wenn man | |
auf Solidarität von denen hofft, die es in der Hand hatten, sie zu zeigen. | |
## Morddrohungen für Grünen-Politiker | |
Und nun soll genau den Kaltherzigen und aggressiv Ignoranten wieder einmal | |
zugehört werden. Und es gibt keine Wahl, denn tut man es nicht, werden sie | |
alles nur noch schlimmer machen. Die gewinnen wieder. So empfinde ich das. | |
Währenddessen steht Jürgen Kasek, einer der Vorsitzenden der Grünen in | |
Sachsen, an jedem Wochenende in einer anderen sächsischen Stadt Männern | |
gegenüber, die doppelt so hoch und so breit sind wie er. Er bekommt | |
Morddrohungen, es ist in Ostdeutschland nicht bequem, „Nein“ zu Rechten und | |
Rechtsextremen zu sagen. Es ist mitunter saugefährlich. | |
Deshalb kann ich jeden verstehen, der es zum Kotzen findet, wenn Antje | |
Hermenau sich mit den Menschen an einen Tisch setzt, die Flüchtlinge für | |
ein größeres Problem halten, als dass ihre eigenen Kinder verprügelt werden | |
oder selbst andere verprügeln. Und das seit über 25 Jahren. So lange | |
beklagen sie sich schon, dass ihnen keiner zuhört, ohne selbst das Zuhören | |
gelernt zu haben. | |
Es ist immer noch manches wahr an „Zonenkinder“ von Jana Hensel, diesem | |
Buch über die Kinder der Wende, viele von uns haben eben unsere Eltern, | |
Großeltern und Nachbarn nicht genug mit dem konfrontiert, was in unserer | |
Welt passiert ist: Sie hatten schließlich ausreichend Probleme in ihrer | |
eigenen. | |
26 Sep 2016 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Schulz | |
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