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# taz.de -- Sächsische Ex-Grüne Hermenau trifft AfD: Versuch im Hinterzimmer
> Antje Hermenau, lange Jahre wichtigste Grüne im Osten, spricht mit der
> AfD. Mehr noch: Sie hört zu. Was kann das bringen?
Bild: Die frühere Grünen-Politikerin Antje Hermenau stellt ihr Buch bei der s…
Döbeln taz | Hotel Bavaria. Döbeln. Mittelsachsen. Nebenzimmer.
Der Mann sitzt ganz hinten. Jahrgang 1964. Hat die erste Hälfte seines
Lebens in der DDR gelebt, die zweite in der Bundesrepublik. „Wir haben das
System schon einmal umgestürzt“, sagt er. „Und wir werden es wieder
ändern.“
Politischer Stammtisch der AfD. Ganz vorn sitzt Antje Hermenau. Und denkt:
Oje. Hoffentlich kippt das hier nicht.
An den digitalen Kommunikationsorten waren sofort ein paar moralische
Zeigefinger hochgeschossen, als bekannt wurde, dass Hermenau, viele Jahre
wichtigste Grüne Politikerin des deutschen Ostens, ihr Buch „Die Zukunft
wird anders“ mit der AfD diskutieren würde.
Hermenau, 52, Leipziger Arbeitertochter, hatte sich 1989 in der
DDR-Bürgerbewegung gegen die sozialistische Staatspartei politisiert. Dann
die Grünen in Sachsen zehn Jahre als Fraktionsvorsitzende geführt, zurück
ins Parlament, aber nicht in die sächsische Regierung, wie sie das
anstrebte.
Sie sah einen Epochenwechsel kommen und die Grünen in der Verantwortung. Es
gab nach der Landtagswahl 2014 auch eine Mehrheit. Aber nur für
Schwarz-Grün, und das wollten die anderen Grünen nicht. Sie verließ den
Landtag, und danach auch die Partei. Seither hat jede Seite das Gefühl, die
andere müsse sich an ihr abarbeiten.
## Versuchter Rufmord
Nach Bekanntwerden des AfD-Termins werden Hermenau die unmoralischsten
Motive unterstellt – „kriegt wohl sonst nichts mehr“, „will ihr Buch mit
Hilfe der AfD verkaufen“, „Totalabsturz“, „unfassbar“, „schäme mic…
die Untersteller seltsamerweise für einen Ausdruck ihrer eigenen
Charakterqualität halten. Wirklich unfassbar und beschämend wird es aber,
als jemand fälschlich verbreitet, Hermenau sei in die AfD eingetreten.
Versuchter Rufmord.
Dahinter steht die bisher nicht geklärte Frage, ob und wie man mit
Rechtspopulisten reden soll. Eine häufige Antwort lautet: Nein. Mit
Rassisten rede ich nicht. Damit hofft man auf klare Verhältnisse. Wenn die
alle Rassisten sind und man Rassismus als moralisches Ausschlusskriterium
jenseits gesellschaftlicher Verhältnisse definiert, bleibt man selbst
sauber und kann die guten kleinen Leute von den bösen kleinen Leuten
unterscheiden.
Der frühere SPD-Spitzenpolitiker Nils Schmid hat es im
baden-württembergischen Wahlkampf mit Reduzierung der Problemlage auf
moralische Verfehlung versucht: „Anständige Leute wählen keine Rassisten,
Ende der Durchsage“, schrie Schmid bei Wahlpodien Richtung AfD-Kandidat.
Das Ende der Durchsage waren dann 12,9 Prozent für die SPD, 15,1 für die
AfD.
So funktioniert das offensichtlich nicht.
Inzwischen gibt es einige Politiker, die die inhaltliche Auseinandersetzung
wagen. Klaus Lederer, Berliner Spitzenkandidat der Linkspartei, hat vor der
Wahl in einem Zeitungsinterview mit einem AfD-Politiker diskutiert. War
schwierig, weil der Kollege nicht sehr differenziert argumentierte
(„Kriminalität ist hoch“, „meine Tochter hat am Bahnhof Angst“, „das
erinnert mich an die DDR“). Aber Lederer versuchte zumindest, ihn auf
andere Themen abzuklopfen als Geflüchtete. Dahinter steht die strategische
Annahme, dass eine Blockade nur der AfD nützt.
## Auch andere können recht haben
Der Grüne Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek hat gerade für ein
Zeitungsstreitgespräch zugesagt. Seine Logik geht in etwa so: Die AfD ist
da, ihre Wähler sind da, wenn man sie politisch besiegen will, darf man
nicht ihr Ein-Themen-Spiel mitspielen und die von ihnen gewollte Spaltung
der Gesellschaft auch noch bebildern, indem man nur die Empörung der
eigenen Stammklientel bedient. Man muss sie aufs demokratische Spielfeld
bringen und dann dort schlagen.
Antje Hermenau hat in Döbeln ihr Jackett ausgezogen. Sie holt ihr Buch
raus, sie ist nervös, ihr ist nicht wohl bei der Sache. Aber sie hat sich
vorgenommen mit der Einstellung in den Abend zu gehen: Auch der andere
könnte recht haben. Das ist vermutlich auch dem liberalsten Linksliberalen
zu viel, aber Hermenau sagt später, es sei die Haltung, mit der man in ein
Gespräch gehen müsse, wenn man keine gespaltene Bevölkerung wolle.
Es kippt nicht. Man redet miteinander. Auch viel nebeneinander, wie sonst
auch. 50, 60 Leute sind da, auch einige von der Linkspartei. Einmal schreit
einer von denen „Sie Rassist“ zum AfDler rüber, aber dafür begrüßt ein
linker Altkader die AfD als „belebendes Element in der verkrusteten
Parteienlandschaft der BRD“, das gleicht sich dann aus.
Es wird einige Leute verwundern, die Hermenau anders kennen, aber ihr Mix
aus Matter-of-fact-Hemdsärmeligkeit und emphatischer Zugewandtheit ist
verblüffend erfolgreich. Sie hat die fachliche Kompetenz und argumentative
Kraft, sich mit populistischen Positionen auseinanderzusetzen.
Sie stellt einer umjubelten siebenfachen Mutter im Saal die
Alleinerziehende gegenüber, erklärt die Vorteile und Notwendigkeit der
Zuwanderung in Sachsen, bringt überhaupt politische Kurzschlüsse in einen
globalen Zusammenhang und füllt das Döbelner Hinterzimmer mit der ganzen
verdammten Komplexität der Gegenwart, die man doch loswerden möchte.
Ruft der Mittelsachse entschlossen: „Die intakte Familie muss Vorfahrt
haben“.
Antwortet Hermenau: „Ich bin der Meinung, dass da wo Kinder sind, Respekt
sein muss, für die, die Kinder großziehen.“
Subtiler, unideologischer und mehrheitsfähiger muss man gesellschaftliche
Progressivität erst mal formulieren. Sie sagt auch mal „Na, na, na“, aber
sie insistiert nicht darauf, dass der anderen falsch liegt und sie richtig.
Sie hört wirklich zu und das führt dazu, dass die anderen auch zuhören –
und einiges schlucken. Sicher hilft es auch, dass ethnische Definitionen
von Identität sich an darauf beschränken, dass „das eigene Volk“ die
Rentenzahler zeugen soll.
## Zuhören und verstehen
Wo sich Publikum und Autorin treffen, ist in der Erfahrung, dass der 1989
angeschlossene Osten vom Westen einsortiert wurde, ohne dass man seither
ernsthaft miteinander gesprochen hat. Unter dem Motto: Seid bloß froh, dass
ihr jetzt wie wir sein dürft. Das gilt für Osteuropa und für
Ostdeutschland. Keiner glaube mehr daran, von dem als verspielt und unernst
wahrgenommenen Westeuropa etwas lernen zu können. Die Ostsicht interessiere
in der Bundesrepublik keinen. Etwa, dass das Russland-Embargo Sachsens
Maschinenbau-Industrie kille.
Der ordoliberalen Finanzpolitikerin Hermenau fehlt in der
westlich-emanzipatorisch geprägten Kultur generell das Verständnis für die
überragende Bedeutung von Geld und den „finanziellen Kulturbruch“ durch
Finanzkrise und Euro-Politik. Viele Ostler, „meine Leute“, wie Hermenau
sagt, stünden im Dunkeln. Sie seien jetzt 50 oder 70, zögen Bilanz und
seien darüber ins Grübeln gekommen oder gar verzweifelt. Sie wissen nur,
dass das grün-individualistische Gedöns nicht mehr ihre Kultur wird. Aber
wer sind sie? Wer schätzt sie? Was bleibt von ihnen? Dieses fehlende
Narrativ, sagt der Soziologe Armin Nassehi, erzeuge Ängste.
Am nächsten Tag kommt Post, in der Antje Hermenau erneut aufgefordert wird,
sich dafür zu schämen, mit der AfD geredet zu haben. Da ist sie, freie
Unternehmerin, gerade auf dem Weg nach Budapest. Es sei ein schweres, aber
anständiges Gespräch gewesen. „Ich habe versucht, Respekt zu zeigen“, sagt
sie. Aber was ist gewonnen, wenn man anständig geredet hat, und am Ende
fühlen sich Rechtspopulisten in ihrem Denken womöglich sogar bestätigt?
„Alles, was ich tun kann, ist Gesprächsbereitschaft herstellen“, sagt
Hermenau. „Ich sehe keine Alternative zur Diskussion.“
Nicht hingehen kann jeder. Und wer hingeht, muss nicht bloß den Arsch in
der Hose haben, wie Antje Hermenau ein paar Tage zuvor gesagt hat. Er muss
zuhören und verstehen wollen.
Das ist nicht leicht und das nicht schön. Aber es ist ein Anfang.
24 Sep 2016
## AUTOREN
Peter Unfried
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