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# taz.de -- Rechter setzt freies Radio unter Druck: Mundtot machen
> Ein NPD-Funktionär will per Unterlassungserklärung einen Beitrag
> verbieten. Es ist nicht der einzige Sender, der sich juristisch mit
> Rechten streitet.
Bild: Sieht sich verunglimpft: NPD-Mann Tobias Kammler
Buttlar ist ein Dorf im Südosten von Thüringen. 700 Einwohner leben dort,
im September 2015 kommen 50 dazu: Flüchtlinge, vor allem aus Syrien. Ein
Teil der Buttlaer engagiert sich, bäckt Kuchen, sammelt Kleidung, betreut
die Geflüchteten Tag und Nacht. Es dauert nicht lange, bis die ersten
Neonazis der vor Ort gut organisierten rechten Szene vor der Unterkunft
stehen.
Ein ehrenamtlicher Journalist hat die Geschichte von Buttlar für das
Erfurter Radio F.R.E.I. recherchiert und vergangenen November in einer
viertelstündigen Reportage erzählt. Dafür hat er am Freitag in Halle den
Rundfunkpreis Mitteldeutschland bekommen – eine Ehrung, die den Sender
gleich doppelt freut. Denn seit fast einem Jahr versucht der
NPD-Landesvorsitzende von Thüringen, Tobias Kammler, Teile des Beitrags zu
verbieten.
Konkret geht es um eine kurze Passage, in der der Radioreporter sagt,
Kammler hätte Angst vor Asylsuchenden geschürt. Eine der
Flüchtlingsunterstützerinnen erzählt, wie sich die Ehrenamtlichen den
Neonazis gegenübergestellt hätten. Im O-Ton sagt sie: „Okay, wir müssen da
noch ein paar Männer organisieren, die dann halt einfach mit da sind, damit
die sehen, Herr Kammler und Co, es sind einfach Leute auch da.“ Der Beitrag
läuft im Programm des Senders und steht danach in der Mediathek.
Mitte Dezember erhält die Redaktion eine Mail von der Rechtsanwaltskanzlei
Hohnstädter aus Leipzig. Deren Anwalt hat unter anderem die Organisatoren
der Leipziger Legida-Demonstrationen beraten und immer wieder NPDler
vertreten, [1][berichtet die Welt]. Er sieht die Persönlichkeitsrechte von
Tobias Kammler verletzt und fordert Radio F.R.E.I auf, eine
Unterlassungserklärung abzugeben und Kammlers Namen aus dem Beitrag zu
streichen. Die Redaktion weigert und wendet sich selbst an das Gericht.
Durch eine „negative Feststellungsklage“ sollen die Erfurter Richter nun
überprüfen, ob Kammler tatsächlich Unterlassungsanspruch hat.
„Wir lassen uns nicht mundtot machen“, sagt Carsten Rose, Mitbegründer und
Redakteur von Radio F.R.E.I. „Vor Gericht ziehen wir auch deshalb, weil wir
die Rechtslage für die Zukunft geklärt haben wollen.“ Besonders absurd
findet er den Vorwurf von Kammlers Anwalt, der Beitrag würde die
journalistische Sorgfaltspflicht nicht erfüllen. „Die Jury des
Rundfunkpreises Mitteldeutschland hat uns ja gerade erst attestiert, wie
qualitativ hochwertig der Beitrag ist.“
Am 12. Dezember soll das Landgericht Erfurt verhandeln. Radio F.R.E.I.
bittet dafür auf seiner Webseite um Spenden. Es ist ein unabhängiger
Sender, die meisten Mitarbeiter sind ehrenamtlich beschäftigt. Die
Rechtsschutzversicherung deckt die Kosten für den Prozess nicht. Rose
schätzt, dass er für das Verfahren rund 3.000 Euro braucht. Doch bislang
sei die Spendenbereitschaft eher mau, sagt Rose.
## Ein Thema für viele
Radio F.R.E.I. ist nicht der einzige freie Sender, der sich wegen seiner
Flüchtlingsberichterstattung juristisch mit Rechten oder Rechtspopulisten
streitet. Im Juni bekam Radio Dreyeckland aus Freiburg eine
Unterlassungsaufforderung von einem AfD-Mitglied, das sich unter anderem
dagegen wehrte, von dem Sender als „rassistischer Anwaltsredner“ betitelt
zu werden. Ein Gericht bewertete die Bezeichnung als rechtens, gab dem
AfDler aber in anderen Punkten recht. Das Verfahren geht nun in die zweite
Instanz.
Im Oktober will sich der Bundeskongress der freien Radios in Halle mit den
juristischen Auseinandersetzungen beschäftigen. Sie seien vermehrt Thema
geworden in der nach rechts rückenden Gesellschaft, sagt auch der
Geschäftsführer des freien Radio Corax aus Halle, Mark Westhusen.
20 Sep 2016
## LINKS
[1] https://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_politik/article136592556/Niede…
## AUTOREN
Anne Fromm
## TAGS
Erfurt
Radio
NPD
US-Medien
Kulturkampf
Deutschlandradio
Verfassungsschutz
Schwerpunkt Flucht
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