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# taz.de -- Essay „Emma“ und Gender Studies: Das Unbehagen am Gender
> Die feministische Zeitschrift „Emma“ kritisiert Denkverbote in den
> Genderstudies, sucht aber nicht den Dialog. Hat sie damit recht?
Bild: Wenn es um die „Emma“ geht, geht es auch immer um sie: Alice Schwarzer
Andersdenkende werden niedergebrüllt und aus Seminaren geworfen.
Islamist*innen verherrlicht. Genitalverstümmelung verharmlost. Und jede
Menge Sprechverbote erteilt, von Menschen, die man nur noch „Studierx“
nennen darf.
Immer mehr Kritik wird an den Genderstudies laut. Verschiedene
Journalist*innen fragen sich, ob es sich eher um „Gendergaga“ handele, etwa
der Kolumnist Harald Martenstein oder zuletzt Zeit-Autorin Julia
Friedrichs, die von einem „gewaltigen Umerziehungsexperiment“ berichtete.
Nun bestätigt mit der Emma eine feministische Zeitschrift quasi bei ihrer
eigenen wissenschaftlichen Grundlage Denkverbote und Psychoterror. Zeit,
sich die Kritik näher anzuschauen.
Dabei ist nicht verwunderlich, dass es Differenzen zwischen Feministinnen
gibt. Wie hat eine Feministin auszusehen, was hat sie zu fordern? Das ist
eine uralte Frage, die verschiedene Strömungen stets voneinander
unterschied. Heute äußert sie sich etwa in der Prostitutions- oder der
Kopftuchdebatte. Ist es Diskriminierung, muslimischen Frauen das Kopftuch
zu verbieten? Oder ist es ignorant, sie mit ihrem patriarchalen Erbe
alleinzulassen? Allerdings ist die Frage, ob man sich in solchen
Auseinandersetzungen gegenseitig leben lässt oder ob Demagogie und
Diffamierung Oberhand gewinnen. Diskreditiert man nämlich einen wichtigen
Teil seiner eigenen Bewegung, dann spielt man denen in die Hände, denen der
ganze Feminismus nicht passt – mal ganz grob gesagt: dem Patriarchat.
Wie sehen die Vorwürfe im Einzelnen aus? In Genderseminaren werde die
Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt, lautet einer. Bebildert wird das mit
zwei Beispielen: Eine Tutorin der HU Berlin befand, man müsse einen Text
des Philosophen Roland Barthes aus den Sechzigern nicht lesen, weil darin
das Wort Neger vorkomme. Als eine Studentin widersprach, sei diese von der
Tutorin „niedergebrüllt“ worden. Zweiter Fall: Studierende machen eine
„Klatschintervention“ (will sagen, sie klatschen ausdauernd) in einem
erziehungswissenschaftlichen Seminar, weil der Professor den Frauenfeind
und Rassisten Immanuel Kant nicht von der Leseliste genommen hat, wie sie
es gefordert hatten.
## Waren Feminist*innen in den Neunzigern auch schlimm?
Die Frage ist zunächst: Müssen sich die Genderstudies überhaupt zurechnen
lassen, dass aktivistische Studierende Seminare sprengen und in
Diskussionen ausfällig werden? Eine brüllende studentische Hilfskraft ist
natürlich in keinem Fach der Welt akzeptabel. Der ungenannte Professor wird
diese ja wohl sanktioniert haben, sobald der Vorfall bekannt wurde. Hat er?
Wird nicht mitgeteilt.
Im zweiten Fall handelte es sich laut Emma um ein
erziehungswissenschaftliches Seminar. Hatte das überhaupt etwas mit
Genderstudies zu tun? Wird nicht berichtet. Interventionen von
aktivistischen Studierenden dürften vorrangig in den Fächern stattfinden,
in denen man sich gerade nicht sensibel für Diskriminierungen aller Art
zeigt. Die Genderstudies haben dagegen den Vorteil, dass ein Konflikt
zwischen Diskriminierungsfreiheit und Wissenschaftsfreiheit gerade ihr
Thema sein kann.
Aber es gehe ja um die gesamte Atmosphäre, das informelle „Regime“, das
diese Studierenden an der Uni bestimmten, hält einer der Emma-Texte
entgegen. Die Studierenden fordern Grundrechte ein. Sie wollen nicht, dass
man sich diskriminierend, etwa homophob, transphob, sexistisch oder
rassistisch äußert. Und einige von ihnen ertragen es nicht, dass andere
über solche Themen diskutieren wollen. Denn es geht aus ihrer Sicht nicht
um Meinungen, sondern um Rechtsverletzungen. Aus ihrer Sicht kann man nicht
„meinen“, ein bisschen homophob sei doch nicht schlimm. Deshalb halten sie
Interventionen für legitim. Ähnlich wie die Feminist*innen in den
Neunzigern, die bei jeder männlichen Form, die in der Vorlesung auftauchte,
ein „-Innen!“ in den Saal schmetterten – ob die Emma das auch schlecht
fand?
## Intersektionalität ist vielseitiger
Die Grenzen zwischen Intervention und situativer Dominanz sind dabei
tatsächlich heikel. Interventionen sind sinnvoll, wenn sie Raum für eine
Debatte schaffen. Aber auch wenn man meint, eine Debatte sei unnötig, weil
es eben um Rechte gehe: Es nützt nichts, nur recht zu haben. Es nützt rein
gar nichts. Der Großteil unserer Gesellschaft meint, man müsse über
Frauen-, Menschen- und Minderheitenrechte diskutieren, anstatt sie einfach
zu gewähren, siehe „Ehe für alle“. Wer klarmachen möchte, dass das anders
laufen sollte, muss mitdiskutieren, anstatt zu diktieren, vor allem an
einem diskursiven Ort wie der Uni. Einen anderen Weg gibt es in der
Demokratie nicht. Mit anderen Worten: Der Punkt geht an die Emma.
Nun kann man aber mangelnde Kommunikation und Diskussion den Genderstudies
als Wissenschaft nicht vorwerfen. Sie produzieren und debattieren, was das
Zeug hält. Jetzt aber präsentiert einer der Emma-Autor*innen eine bunte
Mischung an Vorwürfen: Er bemängelt etwa den unverständlichen Jargon des
Fachs. Oder dass es irrelevante, nämlich „kulturelle“ Themen wähle. Und m…
der „Intersektionalität“ einen problematischen Ansatz verfolge, der zu
absurden Thesen führe. Das aber sind nun größtenteils einfache Meinungen
des Autors, die nicht zur Diskreditierung eines ganzen Faches taugen. Der
Jargon, nun ja. Lesen Sie mal Luhmann. Und dass es nur um „Kulturelles“
gehe, stimmt nicht, wie ein Blick in die Vorlesungsverzeichnisse zeigt.
Auch Politikwissenschaften, Jura und Wirtschaft sind Teil der
Genderstudies.
Theoretische Ansätze werden gewählt, wenn sie als gewinnbringend für ein
Thema eingeschätzt werden. Daraus folgt, dass Intersektionalität nur dann
angebracht erscheint, wenn verschiedene „Sektionen“ sich in einem Thema
berühren. Intersektionalität heißt: Man betrachtet nicht nur eine Dimension
im Sozialgefüge, sondern mehrere: Rasse, Klasse, Geschlecht zum Beispiel.
Man sieht nicht nur, dass einige Muslim*innen in Deutschland ein
problematisches Frauenbild haben, sondern auch, dass Muslim*innen in
Deutschland massiv diskriminiert werden. Oder dass die Rede von weiblicher
„Genitalverstümmelung“ zugleich auch ein rassistisches Bild vom „grausam…
Schwarzen“ transportieren könnte.
## Die Emma will keinen Dialog
Und hier liegt das eigentliche Problem, das die Emma mit den Genderstudies
hat: Ihr passt nicht, was bei intersektionalen Analysen herauskommen kann.
Denn wer beide Dimensionen, Rassismus und Sexismus, im Auge behalten
möchte, formuliert unendlich viel vorsichtiger als jemand, der nur eine
Dimension skandalisieren möchte. So kommt es, dass es in den Genderstudies
die Debatte gibt, ob das Wort Verstümmelung für die Genitalbeschneidung
nicht zu drastisch sein könnte. Oder ob die Rede vom „problematischen
muslimischen Mann“ nicht auch einen Rassismus beinhalte.
Die Emma aber will nur eine Dimension benennen: die Frauenunterdrückung.
Alles andere erscheint ihr als kontraproduktiver Relativismus. Für sie
offenbar ein Grund, den Ansatz nicht zu diskutieren. Denn das hieße, seine
Intention ernst zu nehmen und seine Protagonist*innen zu Wort kommen zu
lassen. Die Emma will ihn nur bekämpfen.
In dieser Hinsicht liegt die Ignoranz ganz aufseiten der Emma. Die
Einladung der Genderstudies zur Debatte hat die Zeitschrift in ihrem
Dossier mit einem lauten Knall ausgeschlagen: Auf keiner der 17 Seiten
kommt auch nur eine einzige der angegriffenen Vertreter*innen des Fachs zu
Wort. Einfachste Recherchen wie der Blick in ein Vorlesungsverzeichnis
wurden nicht durchgeführt. Unüberprüfte Geschichten werden erzählt.
## 1 Psychologx
Emma hätte es anders machen können. Sie hätte ihre Befürchtungen
artikulieren können. Es sind legitime Befürchtungen. Was sagt eine
Afrikanerin, die sich gegen Genitalverstümmelung einsetzt, wenn eine
deutsche Wissenschaftlerin ihr vorschlägt, man solle doch einen
wertneutralen Begriff für die Sache finden? Wie können AktivistInnen ihre
Sache kommunizieren, ohne diktatorische Sprech- und Denkverbote zu
erteilen?
Die Art, wie Emma ihre legitimen Anliegen verpackt, ist befremdlich. Sie
bedient sich dabei des Stils der Antifeminist*innen: Ungenauigkeit,
Einseitigkeit und Diskreditierung des emanzipatorischen Anliegens. Genau so
wurden und werden Feminist*innen in Deutschland des Öfteren behandelt,
Alice Schwarzer allen voran. Warum sie die gleichen Methoden gegen die
anwendet, die ihr nicht genehm sind, könnte mal 1 Psychologx erkunden.
Ein frommer Wunsch zum Abschied: In der nächsten Emma erscheint ein
17-Seiten-Dossier mit dem Titel „Gendertrouble – jetzt antworten die
Professxe“.
9 Jul 2017
## AUTOREN
Heide Oestreich
## TAGS
Emma
Alice Schwarzer
Gender Studies
Feminismus
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Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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