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# taz.de -- Berichterstattung über Chemnitz: Tendenzjournalismus bei „Emma“
> Die „Emma“ lässt Chemnitzer Frauen erzählen, wie bedrohlich arabische
> Männer sind – und verzichtet auf Recherche.
Bild: Straße: Unsicheres Terrain für Chemnitzer Frauen?
Berlin taz | [1][Der Text], der am Freitag für die Zeitschrift Emma online
ging, wird ganz harmlos anmoderiert. Eine Reporterin sei nach Chemnitz
gefahren und habe „Frauen auf der Straße befragt“, heißt es im Vorspann.
„Denen sollten wir alle öfter zuhören.“
Was folgt, ist Kampagnenjournalismus. Der Text des Magazins, das sich seit
1977 auf die Flaggen schreibt, für Frauenrechte einzutreten, ist schon vom
Format her zumindest ungewöhnlich: Er besteht im Wesentlichen aus der
Wiedergabe eines einzigen Gesprächs. Fünf Frauen, die offenbar zufällig
aufeinandertreffen, sagen anonym ihre Meinung – und die hat es in sich.
Empört sind die Frauen nicht etwa wegen des rechten Mobs, der zeitweilig
die Straßen der Stadt übernommen hatte. Nein, das eigentliche Problem seien
„die 20- bis 30-jährigen jungen Männer! Vor allem die aus Nordafrika, aus
Syrien und dem Irak.“ Vergangenes Jahr sei eine ihrer Schülerinnen fast
vergewaltigt worden, sagt Frau W., die erste Ansprechpartnerin – von „genau
diesen jungen Männern.“
Eine andere Frau schaltet sich ein. „Wissen Sie, wer eigentlich für den
Rechtsruck im Land verantwortlich ist? Die Linken!“, beantwortet sie ihre
Frage selbst. „Die Linksintellektuellen, die alle Menschen als rechts
hinstellen, sobald Probleme mit Flüchtlingen thematisiert werden.“
## Schuld am Rechtsruck: Die Linken
Diese Position lässt sich schon [2][in Alice Schwarzers Buch „Der Schock“
lesen], das sie 2016 nach der Kölner Silvesternacht veröffentlicht hat.
„Vor allem Linke und Liberale müssen sich fragen lassen, welche
Verantwortung sie mit ihrer falschen Toleranz dafür tragen“, heißt es da.
Und auch die übrigen Meinungen, die die Chemnitzer Frauen im aktuellen
Emma-Text äußern, entsprechen denen der Blattmacherinnen: Kopftuch
verbieten, zum Beispiel. Als Kronzeugin dafür hält im aktuellen Text die
Türkin Nesrin her. Sie ist Muslima, aber nur „hin und wieder“. Das Kopftuch
hat sie „schon immer gehasst!“. Damit müsse sie auch „keine Angst haben,…
die Nazi-Ecke geschoben zu werden“, heißt es im Text.
Deshalb holzt Nesrin so richtig los: Von Syrern werde sie als „Judenhure“
beschimpft. „Es mag komisch klingen“, sagt sie unter Verweis auf die
Ereignisse in Chemnitz: „aber die meiste Angst habe ich zurzeit vor
Ausländern.“
## Journalistisches Handwerk? Fehlt.
Was die Autorin Annika Ross da einholt, heißt in Redaktionen Vox Pops oder
Straßenumfrage. Nur kommt der Emma-Text nicht als solche daher, sondern
wird präsentiert wie ein Bericht. Wäre es einer, hätte Ross allerdings
journalistisches Handwerk anwenden müssen.
Sie hätte zum Beispiel die Polizei anrufen können, um die Kriminalitätsrate
der Stadt zu erfragen. Sie hätte [3][recherchieren] können, dass die Zahl
der Straftaten in Chemnitz rückläufig ist, genauso wie die Zahl der
nichtdeutschen Tatverdächtigen. Sie hätte einordnen können, dass die Zahl
der angezeigten sexuellen Übergriffe in Chemnitz zwar gestiegen ist. Dass
das aber laut Polizei darauf zurück zu führen ist, dass neue Tatbestände in
das Strafgesetzbuch aufgenommen wurden.
Sie hätte aufschreiben können, wie viele MigrantInnen in Chemnitz wohnen.
Sie hätte bei Flüchtlingsorganisationen nachhören können, ob es tatsächlich
vermehrt Probleme mit Irakern oder Syrern gibt. All das aber macht sie
nicht. So wird der Text zum Tendenzjournalismus.
Es ist nicht der erste Text der Emma, der einen rechten Sound anschlägt.
Schon nach der Kölner Silvesternacht veröffentlichte die Redaktion mehrere
Artikel, in denen sie unter anderem behauptete, „[4][Männer in großen
Rudeln]“ seien über Frauen hergefallen, die Gewalt habe der auf dem Kairoer
Tahir-Platz geglichen – auch wenn [5][ägyptische FrauenrechtlerInnen]
[6][das bestritten]. Alice Schwarzer brüstete sich damit, als eine der
wenigen die „[7][Realität zu benennen]“ und kritisierte den angeblichen
Hohn von Politik und Medien, die die Realität verschweigen würden. Schon
damals bekam sie dafür vor allem Applaus von Rechts.
## Erfolg in rechten Internetblasen
Dass sich der verfestigt hat, zeigt auch eine Analyse des
Kommunikationswissenschaftlers Luca Hammer. [8][Für einen Text im Magazin
Übermedien] im Auftrag des Vereins Fearless Democracy analysierte Hammer
kürzlich knapp 27.000 Tweets, die zwischen Januar 2008 und Juni 2018 einen
Link auf emma.de enthielten. Von den beteiligten Accounts ließen sich laut
Studie rund 24 Prozent dem rechten Spektrum zuordnen. Und, so Hammer zur
taz: Das Interesse wachse. Seit 2015 hätten die Accounts aus dem rechten
Umfeld stärker begonnen, Emma-Artikel zu teilen.
Die Emma wehrt sich offiziell dagegen, Beifall von rechts zu bekommen. Als
Replik auf Hammers Studie etwa schrieb Schwarzer unter dem Titel „[9][Die
rassistische Emma“]: Die Studie arbeite mit „vielen falschen
Unterstellungen.“ Emma schiele „weder auf Anzeigen noch auf Beifall“. Luca
Hammer bleibt gegenüber der taz dennoch dabei, dass seine Daten eine klare
Tendenz zeigten.
Auch der Chemnitz-Text finden in den sozialen Medien wieder bei rechten
LeserInnen Anklang. Auf Twitter ist der Artikel kurz nach Erscheinen
[10][einer der meistgelesenen unter Rechten]. Der ehemalige Bild am Sonntag
Vizechefredakteur und heutiges AfD-Mitglied Nicolaus Fest empfahl den Text
bei Facebook als „Gute Reportage“.
Auf dem rechtspopulistischen Blog Achse des Guten von Henryk M. Broder wird
er ebenso als „lesenswerter Beitrag“ angekündigt wie auf dem Blog
Einzelfallinfos, auf dem „Meldungen zu Straftaten durch Flüchtlinge,
Migranten und mutmaßliche Migranten“ zu lesen sind.
## Toxischer Feminismus
Die Position der Emma zum Kopftuch ist, das zumindest lässt sich sagen,
seit den 70er Jahren nahezu unverändert. Doch spätestens seit der Kölner
Silvesternacht ist der Resonanzraum ein anderer: Der [11][Antisexismus der
Zeitschrift] wird, [12][wie beispielsweise die Feministin und Soziologin
Sabine Hark beschrieb], rassistisch und nationalistisch aufgeladen.
„Toxischen Feminismus“ nennt Hark das.
Auch im Chemnitz-Text konstruiert die Emma-Autorin ein „Wir“ der deutschen
Frauen und ein „die“ der anderen. Ein Stereotyp nach dem anderen muss
herhalten, um diese zu beschreiben: „Die“ sind nicht in der Lage, ihr
sexuelles Begehren zu zügeln, „die“ entwenden „mit gezogenem Messer das
Handy, den Geldbeutel oder Markenkleidung“, „die“ tanzen Frauen an, „di…
sind Vergewaltiger. Belegt sind diese Behauptungen durch nichts – im
Gegenteil. Woher will Nesrin wissen, dass die Männer, die ihr auf der
Straße „Judenhure“ hinterherrufen, Syrer sind? Gefragt hat sie wohl kaum.
Trotzdem werden die Frauen als diejenigen gekennzeichnet, die die Wahrheit
sagen. Die eine wählt SPD (und kann deshalb keine Rassistin sein), die
andre arbeitet in einer Kanzlei (und kann deshalb keine Rassistin sein).
Die dritte ist ein bisschen Muslima und kennt sich also aus mit dem
Problem. Sie alle sind „empörte Bürgerinnen“ – und ganz bestimmt keine
Rechten.
Und nur für den Fall, dass doch irgendwer auf diese Idee kommen könnte,
wird diese gleich widerlegt: „Dass Menschen mit einer anderen Hautfarbe als
Weiß jetzt Angst vor Übergriffen haben müssen“, finden die vier deutschen
Frauen „‚schrecklich‘. Nein, sagen sie einstimmig: ‚So sind wir Chemnit…
nicht!‘“.
Und die Emma, die ist bestimmt auch nicht so.
Update 06.09.: In einer früheren Version des Textes hatte es geheißen, der
Text fände vor allem bei rechten LeserInnen Anklang. Das haben wir nun
präziser auf die Resonanz in den sozialen Medien bezogen.
5 Sep 2018
## LINKS
[1] https://www.emma.de/artikel/frau-w-und-nesrin-chemnitz-336085
[2] /Neues-Buch-von-Alice-Schwarzer/!5301400
[3] https://www.polizei.sachsen.de/de/dokumente/PDC/fertigeXFassungXGesamtX2017…
[4] https://www.emma.de/artikel/koeln-frauen-berichten-emma-vom-terror-331129
[5] http://www.faz.net/aktuell/politik/silvesternacht-in-koeln-hatten-die-taten…
[6] https://missy-magazine.de/blog/2016/08/18/hatespeech-im-feminismus-mantel/
[7] https://www.emma.de/artikel/silvester-geht-ideologie-vor-realitaet-333975
[8] https://uebermedien.de/29269/emma-und-der-beifall-von-rechts/
[9] https://www.emma.de/artikel/die-rassistische-emma-335919
[10] https://twitter.com/DieRechteBlase/status/1036487453547347968
[11] /Medientheoretikerin-ueber-40-Jahre-Emma/!5375078
[12] https://www.tagesspiegel.de/wissen/koeln-und-die-folgen-toxischer-feminism…
## AUTOREN
Patricia Hecht
Anne Fromm
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