Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neues Buch von Alice Schwarzer: Sexismus vs. Rassismus
> In „Schock“ beschreibt Schwarzer die Gewalt an Silvester in Köln als ein
> muslimisches „Inferno“. FeministInnen werfen ihr Rassismus vor.
Bild: Alarmstimmungen in der feministischen Szene
„Du kannst mich einfach nicht verstehen“, heißt ein Weltbestseller der
amerikanischen Linguistin Deborah Tannen aus den Neunzigern. Sie versucht
darin, zu erklären, warum Männer und Frauen oft aneinander vorbeireden.
Weil sie auf zwei verschiedenen Wellen funken, glaubt Tannen. Die Signale
kommen einfach nicht an.
Wenn man derzeit beobachtet, wie FeministInnen noch immer über die Gewalt
in der Silvesternacht in Köln streiten, drängt sich der Vergleich mit
diesem Buch unweigerlich auf. Es geht dabei um die Frage, wer hier wen und
wie diskriminiert. Die Vorwürfe: Sexismus und Rassismus. Und zwar auf
beiden Seiten. Weil aber doch niemand von den ProtagonistInnen rassistisch
oder sexistisch sein will, fragt man sich, ob da nicht auch auf zwei
verschiedenen Wellen gefunkt wird, die beide ihre Berechtigung haben. Du
kannst mich einfach nicht verstehen.
Die eine Seite wird vertreten von dem feministischen Magazin Emma: Wer die
Tatbeteiligung von Einwanderern relativiert und sie etwa mit Sexualgewalt
von Inländern vergleicht, sei sexistisch, weil er oder sie die sexistischen
Taten dieser Männergruppe verharmlost. Nachzulesen ist diese Position ab
heute in Alice Schwarzers Sammelband „Der Schock – Die Silvesternacht von
Köln“, der allerdings zum Großteil aus einer Sammlung von Texten besteht,
die in der Emma bereits erschienen sind. Der Duktus: Silvester war „die
Horrornacht“, ein „Inferno“, die sexuelle Gewalt eine „Kriegswaffe“.
Dass die Täter Muslime waren, gilt als Hauptursache der Ausschreitungen:
„Sie waren Nordafrikaner oder Araber, also Muslime. Und das wird auch die
Basis gewesen sein, auf der sie sich verständigt haben“, schreibt Alice
Schwarzer in dem Band. Sie betrieben eine Art „Dschihadismus von unten“.
Und die eher rhetorische Frage lautet dann: „Versuchen diese
Scharia-Muslime jetzt, auch mitten in Europa Frauen aus dem öffentlichen
Raum zu vertreiben?“ Wer diese Ursachen leugne, sei eigentlich auch
rassistisch, denn „Fremdenhass und Fremdenliebe sind nur zwei Seiten ein
und derselben Medaille. In beiden Fällen bleibt der ‚Fremde‘ immer der
‚Andere‘, wird mit anderem Maß gemessen. […] ‚Die‘ sind eben so“.
## Dämonisieren und verharmlosen
Die andere Seite, das sind jüngere Feministinnen aus dem Umfeld des Missy
Magazins, die einen Aufruf mitsamt Twitterkampagne starteten, unter dem
Titel „Ausnahmslos“: Sie sehen es genau umgekehrt: Die Emma sei es, die
zusammen mit einigen Mainstreammedien und –politikerInnen das „Othering“
betreibe: „Sexualisierte Gewalt darf nicht nur dann thematisiert werden,
wenn die Täter die vermeintlich „Anderen“ sind: die muslimischen,
arabischen, schwarzen oder nordafrikanischen Männer – kurzum, all jene, die
rechte Populist_innen als „nicht deutsch“ verstehen. Sie darf auch nicht
nur dann Aufmerksamkeit finden, wenn die Opfer (vermeintlich) weiße
Cis-Frauen sind“. „Cis“ meint Personen, deren Geschlechtsidentität mit d…
ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.
Die „Ausnahmlos“-Frauen können selbstverständlich punkten, wenn sie darauf
aufmerksam machen, dass das bisher wenig hilfreiche Sexualstrafrecht
merkwürdigerweise erst in dem Moment verschärft werden soll, in dem die
„Anderen“ die „Deutschen Frauen“ angreifen. Und doch trifft das nun ger…
auf Alice Schwarzer nicht zu, denn sie und die Emma waren
selbstverständlich von jeher für eine Verschärfung des Sexualstrafrechts
und nicht erst „nach Köln“.
Schwarzer fühlt sich deshalb vollständig im Recht und bescheinigt den
„Ausnahmslos“-VertreterInnen „falsche Toleranz“. Mehr noch, Menschen wie
sie seien für den Aufstieg des Rechtspopulismus verantwortlich: „Ich bin
übrigens davon überzeugt, dass es die AfD […] gar nicht gäbe, hätten die
etablierten Parteien nicht über Jahrzehnte die steigende Malaise der
Menschen mit dem Scharia-Islam ignoriert beziehungsweise verharmlost“,
schreibt Schwarzer im Einführungstext ihres neuen Buches.
Die Gretchenfrage lautet, ob dämonisieren besser ist als verharmlosen: Ganz
bildlich spielt sich dieser Konflikt im Moment noch einmal anhand der
Illustrierung der Kölner Vorfälle ab. Mehrere Zeitungen und Zeitschriften
wie der Focus, die SZ und auch der österreichische Falter hatten die Kölner
Vorfälle mit schwarzhaarigen Männermassen, die nach blonden weißen Frauen
greifen, illustriert. Die Presseräte in beiden Ländern rügten: Die Frauen
verdinglicht, die sexuelle Gewalt ausschließlich ausgehend von Menschen
dunkler Haut- beziehungsweise Haarfarbe, das reiht sich ein in eine
rassistische Tradition von der Kolonialzeit bis zum Nationalsozialismus.
Das Problem: Die Illustratorin des Bildes auf der Titelseite des Falters,
Bianca Tschaikner, zeichnet auch für die feministischen An.schläge. Deren
Redaktion stornierte nach dem Falter-Titel zwei Illustrationen zum Thema,
die sie bei Tschaikner in Auftrag gegeben hatten und beendeten nach einem
unbefriedigend verlaufenen Gespräch die Zusammenarbeit. Tschaikner dazu in
der aktuellen Emma: „Ich hätte nie gedacht, dass Feministinnen sich
schützend vor die Täter stellen würden.“
## Die Schwächen beider Seiten
Das alte Problem: Tschaikner meint, sie illustriere einen realen Skandal.
Schließlich hat es eine solche Szene wirklich gegeben. Und doch bewegt sie
sich damit in einem Raum, der nun wirklich vollgestellt ist mit Rassismen,
und tut so, als wisse sie nichts davon.
Man kann beide Haltungen nachvollziehen, doch haben auch beide ihre
Schwächen. Die „Ausnahmslos“-Menschen müssen sich fragen lassen, wie man
denn Sexismus in bestimmten Einwanderermilieus, die von einem reaktionären
Frauenbild geprägt sind, überhaupt benennen kann und wie man ihm so
begegnen kann, dass Frauen, die darunter vor allem zu leiden haben,
geschützt sind. Die Antwort bleiben sie bisher schuldig. Aber dass Alice
Schwarzer bei den bisher kaum bekannten Angreifern plötzlich einen
„Scharia-Islam“ ausmacht, ist natürlich reine Spekulation. Patriarchale
Traditionen in Nordafrika sind sicher nicht erst mit dem Aufkommen der
Islamisten entstanden. Und sie beantwortet die Frage nicht, wie sie
vermeiden will, dass sämtliche Muslime unter den Generalverdacht des
„Scharia-Islam“, der für sie offenbar Gewalt gegen Frauen beinhaltet,
gestellt werden.
Beide sind ein bisschen blind für die Tatsache, dass die Nichtmuslime in
Deutschland und Österreich die Mehrheit stellen: Den „Ausnahmslos“-Menschen
ist nicht klar, dass die Mehrheit auch eine Verantwortung gegenüber einer
Minderheit hat: nämlich den Frauen gegenüber, die unter patriarchalen
Strukturen innerhalb ihrer Minderheit leben müssen. Und Schwarzer sieht
nicht, dass die Minderheit der Muslime ohnehin schon rassistisch
ausgegrenzt wird und man daher sehr sehr vorsichtig mit seiner
(Bild-)Sprache sein sollte.
Du kannst mich einfach nicht verstehen? Wenn man das Pingpong der beiden
Gruppen von außen betrachtet, kann man beide ganz gut verstehen. Sie
benennen zwei reale Probleme. Die schließen sich allerdings überhaupt nicht
gegenseitig aus: Wir haben ein Rassismusproblem. Aber zugleich haben wir
ein Problem mit nicht oder desintegrierten Männern mit patriarchalem
Selbstverständnis.
Mit beiden Probleme könnte ähnlich umgegangen werden: Es wird Zeit, dass
die Programme für Demokratie und Toleranz nicht nur die Rassisten, sondern
auch die Sexisten als Zielgruppe ernst nehmen. Denn die gibt es nicht nur
unter Einwanderern mit patriarchalem Frauenbild.
11 May 2016
## AUTOREN
Heide Oestreich
## TAGS
Lesestück Meinung und Analyse
Schwerpunkt Rassismus
Feminismus
Köln
Alice Schwarzer
Silvester
Schwerpunkt Rassismus
Conne Island
Feminismus
Köln
Schwerpunkt Rassismus
Ausweisung
Schwerpunkt Rassismus
Feminismus
Schwerpunkt Rassismus
Sexuelle Gewalt
Schwerpunkt Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Berichterstattung über Chemnitz: Tendenzjournalismus bei „Emma“
Die „Emma“ lässt Chemnitzer Frauen erzählen, wie bedrohlich arabische
Männer sind – und verzichtet auf Recherche.
Kommentar Sexismus im Conne Island: Wir müssen reden
Rassismus und Sexismus können nicht gegeneinander ausgespielt werden. Eine
freie Diskussionkultur ist wichtig, sonst wird man handlungsunfähig.
Vortrag von Alice Schwarzer: Frau als Hauptfeind des Islamismus
Auf der Jahrestagung der PsychoanalytikerInnen spricht die Feministin über
Frauen, Männer und Grenzen. Leider verfällt sie dabei dem Populismus.
Sexuelle Übergriffe von Köln: Ein halbes Jahr nach Silvester
Köln wurde zum Symbol für Ängste und eine gescheiterte Willkommenskultur.
Was wissen wir heute darüber, was dort passiert ist?
Kommentar Kampf gegen Rassismus: Hand in Hand gegen den Hass
Tausende Menschen haben ein deutliches Signal an Fremdenfeinde geschickt:
Rassistisches Verhalten bleibt nicht unwidersprochen.
Amtsrichter über Ausweisungen: „Nicht auf die Gerichte abwälzen“
Die Bundesregierung hat ein Gesetz „zur erleichterten Ausweisung von
straffälligen Ausländern“ auf den Weg gebracht. Was bedeutet das in der
Praxis?
Demo gegen Sexismus und Rassismus: 4.000 holen den Feminismus zurück
Mit dem Slogan „Reclaim Feminism“ haben tausende Menschen am Samstag gegen
Sexismus und Rassismus demonstriert. Sexismus sei nicht importiert, sagten
sie.
Islamische Frauenbilder und Feminismus: „Wir müssen Rassismus mitdenken“
Die muslimische Feministin Kübra Gümüşay über die Schockstarre nach
Silvester, Frauenbilder im Islam und darüber, was in der Sexismus-Debatte
falschläuft.
Debatte Neuer Feminismus: Auf der Kippe
Seltsame Allianzen gibt es nach der Kölner Silvesternacht. Gegen
(antimuslimischen) Frauenhass hilft aber nur ein neuer Feminismus.
Der muslimische Mann: Legende vom triebhaften Orientalen
In der Debatte über die Silvesternacht in Köln trüben antimuslimische
Ressentiments den Blick auf ein globales Problem.
Debatte Flüchtlinge: Das Frauenbild mancher Rassisten
Wenn Frauenrechte zur Flüchtlingsabwehr herhalten, mischen sich Sexismus
und Rassismus. Gefahren für Flüchtlingsfrauen werden nicht beachtet.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.