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# taz.de -- Amtsrichter über Ausweisungen: „Nicht auf die Gerichte abwälzen…
> Die Bundesregierung hat ein Gesetz „zur erleichterten Ausweisung von
> straffälligen Ausländern“ auf den Weg gebracht. Was bedeutet das in der
> Praxis?
Bild: Silvester in Köln: Schärfere Gesetze im Eiltempo
taz: Herr Bornemann, angenommen, vor Ihnen sitzt ein Flüchtling aus Syrien
und ein Deutscher. Sie haben die gleiche Straftat begangen. Bekommen beide
das gleiche Urteil?
Frank Bornemann: Nein. Wir Richter müssen verschiedene Faktoren
miteinbeziehen, die sowohl die Schuld als auch die Wirkung der Strafe auf
das künftige Leben des Täters berücksichtigen. Wir wägen bei unserem Urteil
ab, welche individuellen Umstände für und gegen den Angeklagten sprechen,
und diese sind bei jedem Menschen andere.
Die Strafzumessung.
Genau. Dazu zählen die Motive, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, das
Maß der Pflichtwidrigkeit, die Ausführung, die Auswirkung, aber auch das
Vorleben, die persönlichen und geschäftlichen Verhältnisse sowie das
Verhalten nach der Tat.
Nach dem neuen Gesetz kann schon eine Freiheitsstrafe von einem Jahr eine
Abschiebung nach sich ziehen. Ändert sich damit für Sie als Richter etwas?
Eine drohende Abschiebung spielt bei der Strafzumessung nicht grundsätzlich
eine Rolle. Wir müssen abwägen, ob eine etwaige Ausweisung einer von den
genannten „Strafzumessungsgründen“ ist, also das Urteil beeinflussen
sollte. Dass die frühere Grenze von drei Jahren jetzt herabgesetzt ist,
muss man als Richter natürlich im Blick haben. Wenn der Angeklagte eine
ausländische Person ist, die in Deutschland geboren und aufgewachsen ist
und über keine sozialen Kontakte mehr ins Herkunftsland der Eltern verfügt,
müssen ausländerrechtliche Folgen definitiv berücksichtigt werden. Wenn
eine Strafe verhängt werden soll, die zu einer Ausweisung führen kann, wäre
das hier eine „besondere Härte“ und muss bei der Urteilsbegründung
ausdrücklich abgewogen werden.
Eine drohende Abschiebung wird also bei der Strafzumessung miteinbezogen?
Ja. Allerdings muss ein zwingender Ausweisungsgrund als Folge eines Urteils
zum Beispiel dann keine „besondere Härte“ sein, wenn der Angeklagte sich
erst seit kurzer Zeit in Deutschland aufhält und noch Bindungen zu seinem
Heimatland hat.
Bedeutet die Gesetzesänderung einen höheren bürokratischen Aufwand für die
Richter?
Um die drei Jahre Freiheitsstrafe zu bekommen, die früher ein starkes
Ausweisungsinteresse bedingten, muss ein Täter eine ganze Menge
veranstalten. Durch die Absenkung der Schwelle gibt es jetzt natürlich mehr
Fälle, die intensiver geprüft werden müssen, weil schon bei geringeren
Strafen eine Ausweisung in Betracht kommen kann.
Welche ist die geringste Straftat, nach der es jetzt zu einer Abschiebung
kommen kann?
Ein Jahr Freiheitsstrafe kann man etwa bei sexuellem Missbrauch, Raub oder
gefährlicher Körperverletzung bekommen, nicht bei einfachen Diebstählen,
bei einfachen Betrugsdelikten, Schwarzfahren, Ladendiebstahl oder
Hausfriedensbruch.
Wie geht es jetzt mit dem Syrer und dem Deutschen weiter, über die Sie ein
Urteil fällen sollen?
Es kommt da immer auf den Schuldgehalt der Tat an. Es liegt im
Grenzbereich, ob man schon eine bestimmte Strafe verhängt oder noch nicht –
besonders dann, wenn das Überschreiten der Einjahresschwelle eine bestimmte
Folge auslöst. Eine solche Überlegung muss in der Tat bei einem deutschen
Staatsbürger nicht gemacht werden. Dass per se unterschiedliche Strafen
herauskommen, ist aber trotzdem nicht gesagt. Außerdem darf in ein
Bürgerkriegsland nicht abgeschoben werden.
Kann man sagen, dass durch Urteile an Amtsgerichten indirekt Weichen für
Abschiebungen gestellt werden?
Ich halte es für schwierig, die gesamte gesellschaftspolitische Arbeit in
dem Bereich auf die Gerichte abzuwälzen. Ein Amtsrichter ist nicht dazu da,
um zu entscheiden, ob jemand ausgewiesen werden soll oder nicht. Er muss es
mitberücksichtigen bei seiner Strafzumessung, aber die sollte sich primär
an der Tat orientieren und erst dann an den Konsequenzen des Urteils für
den Täter. Erst klären wir die Schuldfrage, dann in der Strafzumessung die
Strafhöhe.
Ergibt das neue Gesetz aus Ihrer Sicht denn Sinn?
Nur bedingt. Man hat hier auf die Ereignisse von Köln sehr schnell
reagiert. Der ewige Ruf nach Gesetzesverschärfungen bewirkt aber nicht
viel.
Was schlagen Sie denn dann vor?
Ich glaube, dass wir uns entscheiden müssen, wen wir dabehalten wollen und
wen nicht. Es ist dann Aufgabe der Ausländerbehörden, in einem
demokratischen Prozess geschaffene Regelungen durchzusetzen. Es gibt
derzeit viele Fälle, bei denen Abschiebungsgründe etwa durch eine verhängte
Freiheitsstrafe vorliegen. Gleichzeitig stehen dem Vollzug aber
Abschiebungshindernisse entgegen oder die Abschiebung erfolgt aus anderen
Gründen nicht. Es nützt nichts, Gesetze zu verschärfen, wenn sie zum
Beispiel aus politischen Gründen nicht vollzogen werden. Nicht mal bei den
Straftätern von Köln ist klar, ob sie nach dem neuen Gesetz ausgewiesen
werden würden.
25 May 2016
## AUTOREN
Hannah Weiner
## TAGS
Ausweisung
Köln
Strafrecht
Ausländerbehörde
Amtsgericht
Flüchtlinge
Kölner Dom
Lesestück Meinung und Analyse
Ralf Jäger
Köln
Jens Spahn
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