# taz.de -- Immer mehr Abschiebungen im Norden: Alles andere als „freiwillige… | |
> Die meisten Bundesländer schieben 2016 doppelt so viele Menschen wie im | |
> Vorjahr ab. Das liegt an verschärften Gesetzen. | |
Bild: Kein seltener Anblick: Die Göttinger Polizei setzt eine Abschiebung durch | |
BREMEN taz | Möglichst schnell die Flüchtlinge loswerden – das ist offenbar | |
die Devise bei den Innenministerien der Bundesländer. Deutschlandweit ist | |
die Zahl der Abschiebungen im ersten Halbjahr 2016 deutlich angestiegen, | |
vergleicht man die Zahlen mit dem Zeitraum des Vorjahres. | |
So auch in den norddeutschen Bundesländern: In Niedersachsen ist die Zahl | |
der Abschiebungen, die zwischen Januar und Juni 2016 durchgeführt wurden, | |
mehr als doppelt so hoch wie im ersten Halbjahr 2015. Sie stieg von 410 auf | |
1.032. In Hamburg erhöhte sich die Anzahl von 227 auf 435. | |
In den anderen Nord-Bundesländern ist das Verhältnis ähnlich: In | |
Schleswig-Holstein waren es in der ersten Hälfte des letzten Jahres 115 und | |
in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 436 Abschiebungen. In | |
Mecklenburg-Vorpommern stieg die Zahl von 180 auf 416. Nur Bremen fällt aus | |
der Reihe, dort ging die Zahl zurück – von 17 Abschiebungen auf 14. | |
Man setze dort eben mehr auf eine „freiwillige“ Ausreise – Abschiebungen | |
kämen nur als letztes Mittel infrage, sagte die Sprecherin des Bremer | |
Innensenators Rose Gerdts-Schiffler. Und räumte dann aber ein, dass auch | |
„freiwillige“ Ausreisen alles andere als freiwillig seien. „Die Menschen | |
hätten alles dafür gegeben, hier bleiben zu können.“ | |
Rechnet man die Zahl dieser „freiwilligen“ Ausreisen dazu, ist der Anstieg | |
noch drastischer – in Hamburg kommt man dann auf die vierfache Zahl im | |
Vergleich zum Vorjahreszeitraum. 2.066 Menschen mussten den Stadtstaat | |
gegen ihren Willen verlassen. | |
## Verschärfte Gesetzeslage | |
Im Unterschied zu Abschiebungen beteiligt sich bei „freiwilligen“ Ausreisen | |
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge an den Kosten und die | |
Geflüchteten bekommen keinen entsprechenden Vermerk in ihren Pass. So ist | |
ihnen die Wiedereinreise eher möglich. „Vor allem aber ist die so genannte | |
freiwillige Ausreise etwas weniger demütigend“, sagte Kai Weber vom | |
Niedersächsischen Flüchtlingsrat. | |
Die Gründe für den Abschiebeeifer der Behörden sind vielfältig, ihn als | |
logische Folge der erhöhten Anzahl an AsylbewerberInnen zu verstehen, | |
greift zu kurz. „Die Flüchtlinge, die jetzt abgeschoben werden, sind nicht | |
die, die mit dem großen Schwung im letzten Sommer gekommen sind“, sagte der | |
Sprecher der Hamburger Innenbehörde, Frank Reschreiter. | |
„Ein Asylverfahren dauert – die, die jetzt abgeschoben werden, sind | |
teilweise schon Jahre hier.“ Er machte die verschärfte Gesetzeslage für die | |
vielen Abschiebungen verantwortlich – also die von der Bundesregierung | |
verabschiedeten Asylpakete I und II und die Regelung über die „sicheren | |
Herkunftsstaaten“. Zudem hat die rot-grüne Koalition in Hamburg das | |
Abschiebe-Personal in der Ausländerbehörde im letzten Jahr von 10 auf 30 | |
BeamtInnen aufgestockt. | |
## Fehlende Rechtsberatung | |
Ähnliche Gründe sieht Kai Weber, der die Entwicklungen „alarmierend“ nenn… | |
Neben den Gesetzesverschärfungen spiele die Schließung der Balkanroute und | |
der innereuropäischen Grenzen eine große Rolle, sagte er. „Aber auch ein | |
rigideres Abschieberegime der Behörden.“ Als Beispiel nannte er die | |
Rückkehr zu unangekündigten Abschiebungen sowie die Durchsetzung der | |
Ausreisepflicht bei kranken Flüchtlingen. | |
Ein weiteres Problem sei die fehlende Rechtsberatung für Flüchtlinge, deren | |
Asylanträge abgelehnt würden. Bei eilig errichteten Erstaufnahmelagern | |
dauere es, bis sich Beratungsstrukturen etabliert hätten. „Da laufen | |
tausende Verfahren ohne vernünftige Beratung, das ist eine Katastrophe“, | |
sagte Weber. | |
Die Hamburger Abgeordnete der Linkspartei Christiane Schneider verurteilte | |
insbesondere die Abschiebung von Schulkindern. Wie aus einer Kleinen | |
Anfrage der Linkspartei hervorgeht, mussten allein im letzten Quartal 154 | |
Hamburger Schulkinder ausreisen. Schneider sagte: „Zurück bleiben | |
MitschülerInnen, bei denen immer, wenn jemand aus ihrer Mitte verschwindet, | |
die Angst vor der eigenen Abschiebung unerträglich wird.“ | |
27 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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