| # taz.de -- Kommentar Tunesien: Opportune Stabilität | |
| > Lange lag das Mittel der „sicheren Herkunftsstaaten“ im asylpolitischen | |
| > Giftschrank. Mittlerweile begründet es ein Zwei-Klassen-Asylrecht. | |
| Bild: Es ist auch nach Ben Ali nicht alles gut in Tunesien. Hier demonstrieren … | |
| Tunesien war nicht umsonst der Ausgangspunkt des Arabischen Frühlings. Der | |
| gestürzte Herrscher Ben Ali war ein übler Despot. Er ist weg, aber die | |
| politische Kultur, die er geprägt hat, ist noch da. | |
| So werden weiter Menschenrechte verletzt, es wird gefoltert, Homosexuelle | |
| und Oppositionelle werden drangsaliert. Und trotzdem soll das Land nun als | |
| „sicher“ geadelt werden, um den Weg für schnellere Abschiebungen | |
| freizumachen – genau wie seine Nachbarn Marokko und Algerien, in denen die | |
| Lage nicht besser ist. | |
| Was in der Asylpolitik richtig ist, bestimmen nicht Vernunft und Moral, | |
| sondern das je aktuelle politische Interesse. Das gilt für die | |
| Anerkennungspraxis bei den Asylverfahren genauso wie für die Aussichten, | |
| bei Gericht Schutz einklagen zu können. Geschützt werden nicht alle, die es | |
| nötig haben, sondern nur jene, deren Schutz gerade opportun erscheint. Und | |
| deshalb sind „sichere Herkunftsstaaten“ auch nicht solche, in denen es | |
| sicher ist, sondern solche, deren Bürger hierzulande nicht mehr in die | |
| asylpolitische Gesamtkalkulation passen. | |
| Viele Jahre lag das Instrument der „sicheren Herkunftsstaaten“ im | |
| asylpolitischen Giftschank. Solange die Flüchtlingszahlen niedrig waren, | |
| hielt die Regierung es nicht für nötig, davon Gebrauch zu machen. | |
| Diese Zeit ist vorbei. Seit Anfang des Jahrzehnts die Zahl der Ankommenden | |
| immer größer wurde, geriet es wieder in den Blick. Heute ist es das | |
| zentrale Element, um Flüchtlinge wieder loszuwerden. Mittlerweile begründet | |
| es ein Zwei-Klassen-Asylrecht. Wer aus „sicheren Herkunftsstaaten“ stammt, | |
| wird heute grundlegend anders behandelt als andere Flüchtlinge. Und die | |
| Liste dieser Staaten wird nun immer länger. | |
| Im Falle Tunesiens geht es allerdings nicht nur um die abzuschiebenden | |
| TunesierInnen selbst. Das Land ist seit langem Partner der europäischen | |
| Migrationskontrolle. Anders als der Diktator Ben Ali hat diese | |
| Zusammenarbeit die Revolution schadlos überstanden. | |
| Tunesien werden dabei nun wachsende Aufgaben zugedacht: Es soll nicht nur | |
| eigene und fremde Staatsbürger auf dem Weg nach Europa aufhalten und | |
| zurücknehmen. Das relativ stabile Land gilt auch als wahrscheinlichster | |
| Standort für die Auffanglager, die die EU seit langem in Nordafrika | |
| errichten will, um Asylverfahren dorthin auszulagern. | |
| Wenn Tunesien nun offiziell als „sicher“ gilt, wird der Bau europäischer | |
| Internierungslager dort umso leichter. | |
| 9 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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