# taz.de -- BaWü-Grüne und sichere Herkunftsländer: Ende der Symbolpolitik? | |
> Ministerpräsident Kretschmann will das Konzept der „sicheren | |
> Herkunftsstaaten“ aufgeben – und den Grünen damit schwierige | |
> Entscheidungen ersparen. | |
Bild: Die Abschaffung der „sicheren Herkunftsstaaten“ würde auch den Grün… | |
BERLIN taz | Winfried Kretschmann will die „sicheren Herkunftsstaaten“ | |
abschaffen. In einem Interview mit der Zeitung Welt am Sonntag schlägt er | |
stattdessen einen Mechanismus vor, wonach Asylsuchende aus Ländern mit sehr | |
niedriger Anerkennungsquote automatisch ein verkürztes Asylverfahren | |
bekommen. | |
Bisher wird die Liste der „sicheren Herkunftsstaaten“ per Gesetz | |
festgelegt, dem der Bundesrat zustimmen muss. Die Folge dieser Einstufung | |
ist eher symbolisch. Es wird vermutet, dass Antragssteller aus solchen | |
Staaten nicht verfolgt werden. Sie können die Vermutung allerdings | |
widerlegen. Das heißt, sie können – wie bisher – ihre Fluchtgründe und | |
Beweise vorbringen und diese werden – wie bisher – individuell geprüft. | |
Mit dem Asylpaket II, das im März in Kraft trat, kamen für Asylsuchende aus | |
„sicheren Herkunftsstaaten“ allerdings neue Verschlechterungen hinzu. Ihre | |
Asylverfahren sollen nun in der Regel binnen sieben Tagen abgewickelt | |
werden. Und sie müssen – wenn die Verfahren doch länger dauern – bis zum | |
Abschluss in der Erstaufnahmeeinrichtung wohnen bleiben. | |
Kretschmann schlägt nun vor: „Grundsätzlich sollten wir die | |
Anerkennungsquoten zum Maßstab nehmen und zu einem Automatismus übergehen: | |
Fallen die Anerkennungsquoten für Asylanträge aus einem Staat unter eine | |
bestimmte Schwelle, gelten für diese Staatsbürger generell verkürzte | |
Asylverfahren“. | |
Das hätte auf der politischen Ebene vor allem zwei Folgen: Erstens wäre | |
kein Gesetzgebungsverfahren mehr erforderlich. Die Koalition könnte also | |
nicht mehr Pseudotatkraft demonstrieren, indem sie bestimmte Staaten als | |
„sichere Herkunftsstaaten“ einstuft. Zweitens müsste der Bundesrat nicht | |
mehr zustimmen. Die derzeit in der Länderkammer starken Grünen hätten also | |
auch kein Vetorecht mehr. Sie müssten aber auch nicht mehr zermürbende | |
Diskussionen führen, unter welchen Bedingungen sie der Koalition zu einer | |
Mehrheit im Bundesrat verhelfen. | |
## Irreführenden Begriff ganz aufgeben | |
Das grün-rot regierte Baden-Württemberg hatte bereits zweimal der | |
Einstufung von Westbalkanländern als „sichere Herkunftsstaaten“ zugestimmt | |
und dafür innerhalb der Grünen, aber auch aus Asylinitiativen viel Kritik | |
erhalten. | |
Der Vorschlag Kretschmanns erinnert an einen Vorstoß des Kieler | |
Umweltministers Robert Habeck, der im August 2015 einen ähnlichen | |
Automatismus vorgeschlagen hat. Anders als Habeck ist Kretschmann aber | |
konsequent und sucht nicht nur einen anderen Weg zur Einstufung als | |
„sichere Herkunftsstaaten“, sondern will den irreführenden Begriff ganz | |
aufgeben: „Dann können wir auf das Instrument der sogenannten sicheren | |
Herkunftsstaaten verzichten“, sagte Kretschmann im Interview. | |
Bisher hat Kretschmann allerdings noch kein ausformuliertes Konzept | |
vorgelegt. Wie die verkürzten Asylverfahren konkret aussehen sollen, ist | |
ebenso noch offen wie die Schwelle, ab der geringe Anerkennungsquoten den | |
Mechanismus auslösen sollen. Auch mit der inzwischen mitregierenden CDU ist | |
der Vorstoß noch nicht abgestimmt, räumt man in Stuttgarter | |
Regierungskreisen ein. Es geht offensichtlich erst einmal darum, die | |
Akzeptanz der neuen Idee zu testen. | |
Noch allerdings steht die Frage im Raum, ob Algerien, Marokko und Tunesien | |
zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt werden sollen. Der Bundestag hat dem | |
Gesetz Mitte Mai gegen die Stimmen von Grünen und Linken zugestimmt. Am 17. | |
Juni soll der Bundesrat über das Gesetz beraten. Wie Baden-Württemberg | |
abstimmt, ist immer noch offen. Im grün-schwarzen Koalitionsvertrag heißt | |
es, man werde das Gesetz „unterstützen, falls die entsprechenden hohen | |
verfassungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen.“ | |
Die Zustimmung von Baden-Württemberg allein genügt aber nicht. Die Große | |
Koalition hat derzeit nur 20 Stimmen in der Länderkammer, bräuchte aber 35. | |
Sie benötigt also die Stimmen von mindestens drei grün mitregierten | |
Ländern. Gut möglich, dass die Einstufung der Maghrebstaaten am Ende | |
scheitert. Die Union würde dann versuchen, die Grünen als unverantwortliche | |
Blockierer hinzustellen. Kretschmann könnte dann mit seinem Gegenmodell | |
kontern und darauf hinweisen, dass es der Union nur um martialische | |
Symbolpolitik geht. | |
22 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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