| # taz.de -- Grüne lehnen sichere Herkunftsländer ab: Die Zweifel überwiegen | |
| > Die meisten Grünen meinen, dass es für Menschen aus den Maghreb-Staaten | |
| > gute Gründe gibt, politisches Asyl in Deutschland zu beantragen. | |
| Bild: Verbot der Homosexualität, Folter und Druck auf kritische Medien: So ist… | |
| Berlin taz | Marokko, Tunesien und Algerien werden wohl doch nicht zu | |
| „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt werden. Die Grünen, die in vielen | |
| Ländern mitregieren, wollen das Gesetz der Koalition am 17. Juni im | |
| Bundesrat stoppen. „Die Große Koalition hat für ihren Gesetzentwurf, Stand | |
| jetzt, im Bundesrat keine Mehrheit“, sagte Grünen-Bundesgeschäftsführer | |
| Michael Kellner am Donnerstag der taz. „Das halte ich für eine gute | |
| Nachricht. Das Gesetz ist verfassungsrechtlich hochproblematisch und | |
| karikiert menschenrechtliche Grundsätze.“ | |
| Die Grünen sind an zehn Landesregierungen beteiligt. Sie können deshalb | |
| zustimmungspflichtige Gesetze blockieren, wenn sie auf eine Enthaltung | |
| ihres Landes drängen. Aus mehreren Grünen-Landesverbänden ist nun zu hören, | |
| dass sie den Plan von Union, SPD und CSU ablehnen. Kanzlerin Angela Merkel | |
| (CDU) hatte schon vor einer Woche auf einem CDU-Landesparteitag in | |
| Mecklenburg-Vorpommern Zweifel geäußert, ob die Mehrheit im Bundesrat | |
| zustande kommt. | |
| Menschenrechtsorganisationen weisen seit Langem darauf hin, dass in | |
| Marokko, Tunesien und Algerien Homosexualität per Gesetz strafbar ist. Die | |
| Bundesregierung musste jüngst einräumen, dass es in Tunesien zudem Fälle | |
| von Folter gibt. In Algerien kommt es zu Einschüchterung und Verurteilung | |
| kritischer Journalisten [1][(die taz berichtete)]. | |
| Die Koalition bräuchte im Bundesrat für eine Mehrheit mindestens drei | |
| große, von Grünen mitregierte Länder – oder zwei große und zwei kleine. | |
| Dass diese mehr als wacklig ist, wurde in einer Grünen-internen | |
| Telefonschalte vergangene Woche deutlich. Darin stimmten Baden-Württembergs | |
| Ministerpräsident Winfried Kretschmann und grüne Vizeregierungschefs aus | |
| anderen Ländern ihre Strategie zu der Bundesratssitzung ab – und fragten | |
| noch mal nach den einzelnen Haltungen. Ergebnis: Die grüne Mehrheit für | |
| eine Blockade steht. | |
| „Das Gesetz der Bundesregierung war von Anfang an verfassungsrechtlich | |
| umstritten und mit heißer Nadel gestrickt“, so Nordrhein-Westfalens | |
| Landeschef Sven Lehmann. Katharina Binz, die Grünen-Vorsitzende in | |
| Rheinland-Pfalz erklärt: „Unsere Haltung zu sicheren Herkunftsländern ist | |
| eindeutig: Wir lehnen sie als Instrument in der Asylpolitik ab.“ Auch | |
| Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Robert Habeck plädiert für ein | |
| Nein: „Ich werde im Bundesrat nicht zustimmen.“ Ein Herkunftsland werde | |
| nicht sicher, weil viele Leute von dort kämen oder es Gewalt in der | |
| Silvesternacht gebe, betonte Habeck. Grüne in Niedersachsen, Bremen und | |
| Sachsen-Anhalt sehen das ähnlich. | |
| ## Die Antwort auf Köln | |
| Das Gesetz ist die Antwort der Koalition auf die sexuellen Attacken in | |
| Köln. Unter den Tätern waren Männer aus den drei nordafrikanischen | |
| Maghrebstaaten. Wenn ein Land als „sicherer Herkunftsstaat“ deklariert ist, | |
| können die deutschen Behörden Asylbewerber von dort schneller abschieben. | |
| Die Bundesregierung hatte ihr Gesetz auch damit begründet, dass die | |
| Anerkennungsquoten aus den drei Staaten sehr niedrig sind – also meistens | |
| kein Anspruch auf Asyl besteht. | |
| Die wahrscheinliche Blockade im Bundesrat steht auch für eine | |
| Machtverschiebung innerhalb der Grünen. Kretschmann hatte vor zwei Jahren | |
| die Partei gegen sich aufgebracht, als er im Bundesrat zustimmte, drei | |
| Balkanstaaten für sicher zu erklären – gegen die Mehrheitsmeinung bei den | |
| Grünen. Im September 2015 winkten dann mehrere von Grünen mitregierte | |
| Länder eine Ausweitung der Liste der „sicheren Herkunftsstaaten“ durch, im | |
| Gegenzug bekamen sie Milliardenhilfen vom Bund für die Versorgung der | |
| Flüchtlinge. | |
| Auch im Falle der Maghrebstaaten versuchte Kretschmann, seine | |
| Länderkollegen zur Zustimmung zu bewegen. Nach taz-Informationen sondierte | |
| er vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und | |
| Sachsen-Anhalt im März einen Deal mit dem Kanzleramt. Er – und die | |
| hessischen Grünen, die ebenfalls zusammen mit der CDU regieren – boten | |
| intern ihr Ja für Gegenleistungen an, etwa eine Altfallregelung für | |
| langjährig geduldete Asylbewerber. Nachdem die taz über die Offerte | |
| berichtete, wandte sich die CSU damals gegen einen Kompromiss. Seitdem | |
| halten sich Kretschmann und Hessens Grüne bedeckt. | |
| „Das ist eine schwierige Entscheidung für den Ministerpräsidenten“, sagte | |
| Kretschmanns Sprecher Rudi Hoogvliet am Donnerstag. „Das Gesetz ist weiter | |
| in der Prüfung.“ Die Entscheidung falle in der Kabinettssitzung am | |
| kommenden Dienstag. | |
| Neu ist seit den drei Wahlen, dass das Ja von Baden-Württemberg und Hessen | |
| im Bundesrat nicht mehr reicht, um der Großen Koalition im Bundesrat zu | |
| einer Mehrheit zu verhelfen. „Kretschmann konnte früher die Skeptiker | |
| einfach mitzerren, weil allen klar war, dass er und Hessen am Ende eh | |
| zustimmen“, sagte eine gut vernetzte Landespolitikerin. „Diese | |
| machtpolitische Dynamik gibt es nicht mehr.“ Die Grünen in | |
| Baden-Württemberg und Hessen, die sehr realpolitisch ticken, werden | |
| Entscheidungen also nicht mehr so dominieren können wie bisher. | |
| 9 Jun 2016 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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