# taz.de -- Drohende Abschiebung Richtung Kosovo: Der Unrechtsstaat wohnt in Le… | |
> Nachdem ein Familienvater ohne Rechtsgrundlage elf Tage lang in | |
> Abschiebehaft saß, soll er am Donnerstag mit seiner Frau und sechs | |
> Kindern das Land verlassen. | |
Bild: „Ich war hier… nach 12 Jahren Deutschland“: in einer Abschiebezelle. | |
BREMEN taz | Der Landkreis Leer schiebt eine Familie ab – vorausichtlich am | |
Donnerstag müssen Eltern und sechs Kinder ausreisen in Richtung Kosovo. | |
Zuvor hatte die Leeraner Ausländerbehörde den Vater elf Tage lang | |
rechtswidrig in Abschiebehaft gesperrt. Auf Antrag des Landkreises nahm die | |
Polizei den Mann am 18. Juli fest, obwohl die Familie da noch zehn Tage | |
lang Zeit hatte, Deutschland zu verlassen – so stand es in der | |
„Grenzübertrittsbescheinigung“. | |
Die Behörde begründete den Antrag auf Inhaftierung mit einer Fluchtgefahr. | |
Aus Sicht des niedersächsischen Flüchtlingsrats war das Vorgehen | |
„rechtswidrig“: Von Fluchtgefahr „kann nicht die Rede sein, wenn der Mann | |
sich behördlich gemeldet hatte“, sagt Sprecher Kai Weber. Der Familienvater | |
„wurde festgenommen, während er beim Sozialamt war“. | |
Das Amtsgericht hatte trotz der Frist von zehn Tagen und der behördlichen | |
Meldung des Mannes dem Haftantrag des Landkreises entsprochen. Aus Sicht | |
des Flüchtlingsrats handelten Gericht und Landkreis damit entgegen der | |
einschlägigen Erlasslage sowie der geltenden Rechtssprechung des | |
Bundesgerichtshofes. | |
## Innenministerium bestätigt: Haft war rechtswidrig | |
Bei einem Besuch am 12. Juli sei „nur noch der Kühlschrank vorgefunden“ | |
worden, sagte Jens Stöter, Sprecher des Landkreises Leer, zum Hintergrund. | |
„Somit war davon auszugehen, dass die Familie untergetaucht ist.“ Der | |
Flüchtlingsrat kritisiert das: Solange ein Betroffener behördlich gemeldet | |
sei, könne man nicht von Fluchtgefahr ausgehen. Wöchentlich sei der später | |
Inhaftierte beim Sozialamt erschienen – so auch am 18. Juli. Der | |
Flüchtlingsrat hat sich wegen des Vorgangs das niedersächsische | |
Innenministerium gewandt. Dieses bestätigte – auch gegenüber der taz – die | |
Auffassung, wonach die Inhaftierung „wegen der erst am 28.07.2016 endenden | |
Frist zur freiwilligen Ausreise rechtswidrig ist“. | |
Weiterhin empfahl das Ministerium der Ausländerbehörde in Leer, „nach | |
erneuter eigener Prüfung“ zu entscheiden, „ob die Haft aufzuheben ist“. … | |
29. Juli, nach elf Tagen Freiheitsentzug, wurde der Familienvater dann | |
tatsächlich aus der Abschiebehaft entlassen. „Ob das sinnvoll war, wird | |
sich am 4. 8. zeigen“, so Landkreis-Sprecher Stöter. „Dann steht nämlich | |
die Abschiebung an.“ | |
Tatsächlich hatte der Landkreis zuvor sogar die Verlängerung der | |
Abschiebehaft beantragt: Den ursprünglichen Termin habe die beteiligte | |
Fluggesellschaft nicht einhalten können. Unklar ist, ob der Landkreis sogar | |
geplant hatte, den Vater getrennt von seiner Familie abzuschieben. Das | |
allerdings würde gegen die Richtlinien des sogenannten | |
„Rückführungserlasses“ der rot-grünen Landesregierung verstoßen. | |
## Mitarbeiter des Sozialamt soll spioniert haben | |
Am 12. Juli, als das Amt die Familie nicht vorgefunden haben will, sei | |
diese zu Besuch bei einem Bruder in Bremerhaven gewesen, versichert die | |
Schwester des Familienvaters der taz. Schlaf- und Spielsachen der Kinder | |
hätten die Eltern zwar tatsächlich dorthin mitgenommen, aber es seien noch | |
Wertsachen in der heimischen Wohnung geblieben. | |
Die Schwester gibt sich überzeugt davon, dass die Familie auch zum | |
Zeitpunkt der Festnahme zuhause gewesen sei. Dafür gebe es Zeugen, die | |
Nachbarn etwa. Die Mutter soll gar einen Mitarbeiter des Sozialamtes | |
erkannt haben, der am Tag der Festnahme durch das Fenster gesehen habe, um | |
zu überprüfen, ob jemand zuhause ist. Demnach erschreckten sich die Kinder | |
vor dem fremden Mann, der auch telefoniert haben soll – in etwa zu dem | |
Zeitpunkt, als der später festgenommene Vater beim Amt war. Kurz darauf | |
nahm die Polizei den Vater fest. Als die Familie davon erfuhr, brach sie in | |
Panik aus. Die vierjährige Tochter bekam Angst, die Mutter war allein mit | |
einjährigen Zwillingen und vier weiteren Kindern. Zehn Tage vor ihrer | |
Abschiebung. | |
Muzaffer Öztürkyilmaz ist Jurist und tätig bei einer neuen Rechtsberatung | |
für Menschen in Abschiebehaft. „Das ist leider keine Seltenheit“, sagt er | |
über den Fall in Leer: „Die Erfahrung zeigt, dass Abschiebehaft in über 50 | |
Prozent der Fälle rechtswidrig ist.“ Umso erschreckender sei, dass die | |
Anträge zur Inhaftierung sogar noch durch das Amtsgericht bestätigt worden | |
seien. „Viele Amtsrichter kennen sich damit nicht aus“, sagt Öztürkyilmaz. | |
Das liege neben Überlastung vielleicht auch an einer Art falsch | |
verstandener Loyalität den Behörden gegenüber – „Haftbeschlüsse“, sag… | |
Jurist, „lesen sich zu 80 Prozent wie die Anträge der Ausländerbehörde“. | |
3 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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