| # taz.de -- Drohende Abschiebung nach Mazedonien: Der Traum vom Bleiben | |
| > Gamze B. hat ihren Schulabschluss an einer Hamburger Schule gemacht, eine | |
| > Lehrstelle hat sie auch. Doch die Familie ist von Abschiebung bedroht. | |
| Bild: Familie B. in Hamburg-Farmsen: „Ich will eine gute Zukunft, die habe ic… | |
| Hamburg / Stip taz | Gamze B. steht vor dem Wohnblock mit der Nummer 15 und | |
| beobachtet, wie ihre Schwester Delara Plakate malt. „Abschiebungen | |
| stoppen“, schreibt sie mit einem dicken Edding auf Pappe. Und: „Wir wollen | |
| eine Zukunft in Deutschland“. Die Plakate wollen die beiden beim | |
| [1][Protest der Roma tragen, den ihr Nachbar Isen Asanovski und ein paar | |
| andere organisiert] haben. An diesem Abend sind Gäste da, achtzig Vertreter | |
| anderer Roma-Familien, die für die Vorbereitungen des Protests nach | |
| Hamburg-Farmsen gekommen sind. | |
| „Azülheim“ hat jemand in den Eingang getaggt. Die Glastüren, der Flur – | |
| alles atmet noch den Charme einer Anstalt, früher war hier ein Pflegeheim. | |
| Auch in den anderen Wohnblöcken auf dem Gelände sind Flüchtlinge | |
| untergebracht. Insgesamt etwa 350 Menschen, Familien mit Kindern. 30 | |
| Menschen leben in zusätzlichen Containern zwischen den Häusern. | |
| Beim Treffen diskutiert die Roma-Gruppe, wo sie demonstrieren soll. Vor dem | |
| Rathaus? Vor der Ausländerbehörde? Die Zeit drängt. Die meisten haben | |
| Briefe von Behörden dabei, abgelehnte Asylanträge, Aufforderungen zur | |
| „freiwilligen Ausreise“. Einer lässt einen Zettel mit einer Meldeauflage | |
| herumgehen, so eine, wie sie hier viele bekommen haben. Er wird direkt zum | |
| Flughafen zitiert, auch ein Porträtfoto ist auf dem Brief zu sehen. Es ist | |
| ein Abschiebebescheid. Mit dem Protest muss es jetzt schnell gehen, sonst | |
| ist bald niemand mehr da. | |
| Aber ihnen geht es um mehr. Sie wollen Anerkennung, dass sie als Roma in | |
| ihren Herkunftsländern diskriminiert werden, sie wollen, dass Deutschland | |
| seiner historischen Verantwortung nachkommt und ihnen Asyl gewährt. | |
| Gemeinsam wollen sie diese Forderungen auf die Straße tragen, | |
| selbstorganisiert, ob sie nun aus Mazedonien kommen, Serbien, aus dem | |
| Kosovo oder Bosnien-Herzegowina. | |
| Gamze floh 2011 mit ihrer Schwester und ihrer Mutter aus Mazedonien nach | |
| Deutschland. Heute ist sie 15 Jahre alt, bis zu den Sommerferien geht sie | |
| noch in die Stadtteilschule Barmbeck. Sie hat ihren Abschluss gemacht und | |
| mit Unterstützung ihrer Lehrer auch eine Lehrstelle als Altenpflegerin | |
| bekommen. Ob daraus etwas wird, ist ungewiss: Seit Monaten droht auch ihrer | |
| Familie die Abschiebung, immer wieder wird die Duldung nur um einen Monat | |
| verlängert, die aktuelle läuft nur noch bis nächsten Donnerstag. Die | |
| Klassenlehrerin, ihre SchulfreundInnen – sie alle können nicht verstehen, | |
| warum Gamze nicht hier bleiben kann und haben eine Petition eingereicht. | |
| Jedes Mal, wenn der Abschiebetermin näher rückt, sind die Schwestern | |
| angespannt, ein enormer Stress lastet auf ihnen. Auch jetzt ist Gamzes | |
| Freude über den Schulabschluss und den Beginn der Sommerferien wieder von | |
| der Angst getrübt, dass die Abschiebung kommt. | |
| Gamzes Mutter Sermina sorgt allein für ihre Töchter, die beiden jüngsten | |
| wurden in Hamburg geboren. Barush, die kleinste, ist erst anderthalb. „In | |
| Mazedonien ist es gefährlich für uns“, sagt Sermina. „Die Leute greifen u… | |
| an, wir bekommen keine Arbeit, haben nichts zu essen.“ Der Hass, der Roma | |
| in Mazedonien wie in den anderen Balkanstaaten entgegenschlägt, ist für die | |
| Bundesregierung kein Grund, ihnen Asyl oder ein Bleiberecht zu gewähren. | |
| Auch eine Arbeitserlaubnis erhält die Mutter bis heute nicht, obwohl sie | |
| eine Stelle hätte: Sie könnte in der Stadtteilschule in der Kantine | |
| arbeiten. | |
| Sermina und Gamzes Vater Cengiz haben sich getrennt. Letztes Jahr im Juni | |
| wurde er wieder nach Mazedonien abgeschoben. Dort war er bis vor einer | |
| Woche. Sollte die Familie tatsächlich zurück müssen, würden sie wohl wieder | |
| alle zusammen wohnen. Wo und wie? Das weiß Cengiz auch noch nicht genau. | |
| Seit ein paar Tagen ist er wieder in Hamburg. | |
| ## Wo die Roma wohnen | |
| Ein paar Wochen zuvor lebte er noch in Štip, einem Ort im Osten | |
| Mazedoniens, am Rande des Hügellands Jurukluci. Ein steiler, verschlungener | |
| Weg führt von Štips Stadtzentrum am Ufer des Flusses Bregalnica zu dem | |
| Viertel auf der Hügelkuppe hinauf, wo die Roma wohnen. Fast 1.000 Familien | |
| leben hier. Es weht eine kühle Brise, die von dem süßlichen Rauch der | |
| Holzöfen durchzogen ist. | |
| Cengiz sitzt auf dem Boden der Hütte seines Schwiegervaters, Gamzes | |
| Großvater. Schimmel- und Wasserflecken überziehen die ansonsten kahlen | |
| Wände. Mehrere Teppiche liegen auf dem Betonboden, reichen aber nicht aus, | |
| um ihn ganz zu überdecken. Die Schaumstoffmatratze, die hinter zwei Sofas | |
| klemmt, wird nur zum Schlafen hervorgeholt. Neben einer Sperrholzkommode, | |
| deren Schubladen auseinanderfallen, steht ein Topf auf einer | |
| Elektrokochplatte. Cengiz zeigt in das kleine Regal: „Da ist Ketchup und | |
| Vegeta“, sagt er. „Nichts anderes.“ Einen Kühlschrank gibt es nicht. | |
| Der Fernseher läuft, irgendeine mazedonische Seifenoper. Cengiz wirkt | |
| angespannt, sein Kopf sinkt immer wieder nach unten. Mit belegter Stimme | |
| erzählt er vom Leben in dem kleinen Ort, von der Anstrengung, täglich etwas | |
| Essen zu haben, den Angriffen durch die Mehrheitsbevölkerung. | |
| Er spricht fließend Deutsch, das erste Mal kam er 1985 mit seinen Eltern | |
| nach Deutschland, aufgewachsen ist er direkt auf der Reeperbahn. Auch in | |
| dem berüchtigten Hamburger Heim in der Feuerbergstraße war er mal, als er | |
| zu Hause rausgeflogen war. | |
| ## „Ih, die Zigeunerkinder!“ | |
| Schlimm sei es dort gewesen. Aber hier in Mazedonien? Gamze sei gut in der | |
| Schule, das sage auch die deutsche Lehrerin. „Sie will lernen. Aber | |
| stattdessen muss sie nach Mazedonien kommen.“ Er weiß nicht, wie er die | |
| Familie hier überhaupt ernähren soll. „Wenn ich ihnen keine Schuhe kaufen | |
| kann, dann sagen die Leute: ‚Ih, die Zigeunerkinder haben nichts zum | |
| Anziehen, kommen dreckig zur Schule‘.“ Er will nicht, dass sie das erleben | |
| müssen. | |
| Wo man in Mazedonien auch fragt, berichten Roma von Ausgrenzung, davon, in | |
| Restaurants nicht bedient zu werden und dass sie keine Arbeit bekommen. | |
| Während die Arbeitslosenquote in Mazedonien insgesamt bei 40 Prozent liegt, | |
| wird sie für die Minderheit der Roma offiziell auf 70 Prozent geschätzt, | |
| vermutlich liegt sie noch höher. | |
| Cengiz erzählt, dass er und die anderen aus seinem Viertel sofort | |
| kontrolliert würden, wenn sie unten in der Stadt herumlaufen. „Nur wegen | |
| unserer Haut, also weil wir Roma sind“, sagt er. Bei Ärzten oder den | |
| Behörden würde er schikaniert, etwa, indem das Sozialamt ihm einen | |
| Krankenschein verweigert, den er für eine Behandlung benötigt. | |
| Dass „die Lage der Roma-Minderheit“ in der ehemaligen jugoslawischen | |
| Republik Mazedonien „schwierig“ sei, stand 2014 auch in dem Entwurf des | |
| deutschen Gesetzes, mit dem seit November Mazedonien zusammen mit Serbien | |
| und Bosnien-Herzegowina pauschal als „sicherer Herkunftsstaat“ eingestuft | |
| wurde. Es komme „vereinzelt vor“, so heißt es da über Mazedonien, „dass | |
| Angehörige von Minderheiten öfter als andere von schikanösem Verhalten von | |
| Polizisten oder anderen Vertretern der Verwaltung betroffen sind“. Das | |
| alles aber sei kein Grund, dass die Menschen in Deutschland Asyl bekommen | |
| müssten, schließlich stiegen die Flüchtlingszahlen drastisch an. Offenbar | |
| ist das Gesetz migrationspolitisch motiviert, es soll abschrecken und die | |
| Roma draußen halten. | |
| Cengiz erzählt, dass ihm nach seiner Abschiebung in Mazedonien der Pass | |
| abgenommen wurde. Bei anderen Roma wurde der Pass markiert, zwei Striche | |
| auf dem Einreisestempel sollen weitere Ausreisen verhindern – eine Praxis, | |
| die auch das mazedonische Verfassungsgericht verurteilt hat, die aber | |
| dennoch weitergeht. Auch bei der Ausreise werden die Menschen an der Grenze | |
| nach rassistischen Kriterien kontrolliert, Roma werden nicht aus dem Land | |
| gelassen. Rückkehrern ist der Zugang zur Sozialhilfe für ein Jahr verwehrt. | |
| Auch Cengiz bekommt kein Geld. | |
| Draußen führt eine selbstgemauerte Treppe zu einem Hinterhof, von dem ein | |
| weiteres, leeres Zimmer abgeht. Die Fenster sind zersplittert, ein Loch in | |
| der Decke ist groß wie ein Medizinball. „Hier müssten wir wohnen“, sagt | |
| Cengiz. Wohl oder übel. Der vielleicht zwölf Quadratmeter große Raum wäre | |
| alles: Schlafzimmer, Wohnzimmer, Küche. | |
| Auf dem Hof ist an einer Seite ein Trog aus Beton, der etwas schief an eine | |
| Wand gemauert wurde. Darüber ein Wasserhahn, rechts davon auf einer Stufe | |
| liegt ein Stück Seife in einem Plastikschälchen. „Das ist unser Bad“, sagt | |
| Cengiz. Das Plumpsklo in dem Verschlag daneben ist dreckig, es stinkt nach | |
| Fäkalien. „Keiner auf der Welt will solche Toiletten.“ | |
| 2.000 Kilometer weiter nördlich und ein paar Tage später sitzen Gamze und | |
| ihre drei Schwestern in dem Farmsener Wohnheim auf der Couch und schauen | |
| sich die Fotos von Cengiz und dem Haus des Großvaters an. Ihre Mutter | |
| Sermina kennt es noch, Gamze kann sich erinnern. Auf den Bildern scheint | |
| Mazedonien weit weg. Gamze schweigt. „Da gibt es keine Küche“, sagt ihre | |
| Mutter Sermina halb als Frage, halb als Feststellung. | |
| ## Blumen und Bilder auf dem Funktionsbord | |
| Hier hat sie eine Küche. Ihre Wohnung liegt im Erdgeschoss, durch die | |
| Fenster blickt man auf die Bäume der parkähnlichen Anlage. Die Front des | |
| Wohnzimmers ist mit einem beigen Einbauschrank verbaut, an den Seiten sind | |
| noch die Anschlussanlagen für Strom und Sauerstoff, die es in einem | |
| Pflegeheim brauchte. Sermina hat das Funktionsbord mit Blumen und gemalten | |
| Bildern der Töchter verziert und nutzt es wie ein Regal. Auf einem | |
| Glastisch und der Fensterbank liegen Kuscheltiere und Malbücher, davor | |
| steht ein Puppenwagen. Der Linoleumboden quietscht, wenn die Kleinste | |
| durchs Zimmer tobt. Der Heimathmosphäre zum Trotz haben es sich die Fünf | |
| hier gemütlich gemacht. „Ich will mich nicht von meinen Freunden trennen“, | |
| sagt Gamze. „Ich will eine gute Zukunft, die habe ich in Mazedonien nicht.“ | |
| In Mazedonien kraxelt Cengiz in seinem Schlappen den Berg hinauf, springt | |
| über Steine, macht einen Satz über die großen Matschpfützen, die den | |
| unbefestigten Pfad unterbrechen. Eine Meute aus wilden Hunden jagt | |
| zähnefletschend über die Hügelkuppe und lässt erst ab, als Cengiz einen | |
| Stein wirft und sie anbrüllt. Sie sind gefährlich, vor allem für Kinder. | |
| Cengiz will zu seinem Pferd, das auf der Kuppe grast. Es ist kaum größer | |
| als er und eher ein Pony. „Das ist alles, was ich besitze“, sagt Cengiz. | |
| Am gegenüberliegenden Hang schütteln drei Männer eine große Plane mit | |
| Plastikflaschen aus – Recyclingmaterial, das andere weggeschmissen haben | |
| und das man für sechs Cent pro Kilo eintauschen kann. Die Roma hier suchen | |
| sich die Nischen an Arbeitsmöglichkeiten, die ihnen zum Überleben bleiben. | |
| Cengiz und sein Cousin holen mit dem Pferdewagen manchmal Holz aus dem | |
| Wald, um damit zu heizen oder es zu verkaufen. | |
| Manchmal schläft Cengiz in der Hütte seines Cousins, gleich nebenan. Früher | |
| gehörte sie ihm, bis er sie verkauft hat, um Sermina und den Kindern die | |
| Reise nach Deutschland zu ermöglichen. Um sich die Reise nach Hamburg | |
| leisten zu können, wird Cengiz auch das Pferd verkaufen müssen. | |
| Als die Roma aus Farmsen Anfang der vorigen Woche vor der Hamburger | |
| Ausländerbehörde stehen, ist Cengiz auch dabei. Ein paar Kinder tragen | |
| Plakate auf dem Rücken: „Hupen für Bleiberecht. Sie stehen an einer Ampel, | |
| nur wenige Autofahrer reagieren. Cengiz hält ein Transparent, „Alle Roma | |
| bleiben hier“ steht darauf. Ob das auch für ihn, Gamze und ihre Familie | |
| gilt? „Hauptsache meine Kinder sind in Sicherheit“, sagt er. Ein Autofahrer | |
| hupt. | |
| 17 Jul 2015 | |
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| [1] /Roma-protestieren-in-Hamburg/!5211739 | |
| ## AUTOREN | |
| Jean-Philipp Baeck | |
| Allegra Schneider | |
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