# taz.de -- Roma in der Slowakei: Die Siedlung am Rande der Stadt | |
> Sollte die Romasiedlung Budulovská geräumt werden? Nein, heißt es in der | |
> slowakischen Stadt Moldava nad Bodvou – nur ein bisschen. Ein Besuch. | |
Bild: Die Romasiedlung Budulovská im Süden von Moldava nad Bodvou ist eine de… | |
MOLDAVA NAD BODVOU taz | Es gebe, so versichert die Gemeinde, einiges, was | |
einen Besuch in Moldava nad Bodvou wert ist. Die gotische Kirche, die | |
Häuschen an kopfsteingepflasterten Straßen, die alten Erzbergwerke. Zekeres | |
tauften deutsche Siedler den Ort, an dem sie im Mittelalter sesshaft | |
wurden, weit im Südosten der Slowakei, zwischen tiefen Wäldern, Hügeln und | |
Bächen. | |
Aber für all das interessiert sich keiner, der zu Nikola Kolozova kommt. | |
„Alle fragen nur nach Budulovská“, sagt sie, Anfang 20, blondes Haar. Eine | |
richtige Sprecherin hat die kleine Stadt nicht, Kolozova muss sich um | |
solche Anfragen kümmern. Letzten Monat kamen Briten, dann Franzosen, heute | |
Deutsche. | |
Es regnet in Strömen, etwas nervös, im weißen Blazer, den Schirm in der | |
Hand, steht sie vor der Rathaustür. „Damit Sie uns auch finden.“ Ganz | |
geheuer ist ihr die Aufmerksamkeit nicht. Sie bittet ins Zimmer des | |
Bürgermeisters, der ist gerade nicht da, sein Büro aber ist das schönste. | |
„Es ist uns wichtig, was Sie von uns denken.“ Sie legt den Schirm ab und | |
faltet die Hände. „Wir fragen uns schon, warum unsere Roma so berühmt | |
sind“, sagt sie dann und gestattet sich ein Lächeln. | |
Sie kennt die Antwort genau. 11.000 Menschen leben in Moldava, 2.000 sind | |
Roma, gut die Hälfte davon wohnt in Budulovská. Die Romasiedlung im Süden | |
der Stadt ist eine der größten der Slowakei. Wer begreifen will, welche | |
Probleme die Roma in Ostmitteleuropa haben, ist hier richtig: Ihre | |
Ausgrenzung ist in Budulovská total, die sozialen Verwerfungen sind enorm. | |
## Alarm auf Facebook | |
Mitte Mai tauchte Facebook-Posts auf, Gerüchte gingen in der Roma-Community | |
herum. Ungarische Zeitungen schrieben von einer „ethnischen Bombe“, | |
Antiziganismusforscher und EU-Abgeordnete von den Grünen waren alarmiert: | |
Die Roma von Budulovská, so hieß es, sollten ihre Siedlung räumen. | |
Verfolgung und Vertreibung der Volksgruppe sind im Osten der EU, in der | |
Slowakei, keine Seltenheit. | |
Gibt es Spannungen mit den anderen Bewohnern der Stadt? Kolozova überlegt | |
einen Augenblick, bevor sie antwortet. „Sie sind nicht an der Tagesordnung, | |
aber es gibt sie natürlich.“ Konkreter möchte sie nicht werden. Wie viele | |
Menschen in Budulovská leben, weiß sie nicht genau, wie viele einen | |
regulären Job haben, schon. „Zehn.“ Die, die als Wachleute oder | |
Sozialarbeiter bei der Stadt angestellt sind. „Sobald jemand sonst einen | |
Job hat, ist er mit seinem ersten Gehalt da weg“, sagt sie. Doch das | |
gelinge so gut wie keinem. Und das kommt nicht von ungefähr. Jobprogramme, | |
Projekte zur Alphabetisierung oder zur Fortbildung gibt es praktisch keine. | |
Dabei ist die Region wegen der Diskriminierung der Roma verschrien. Nicht | |
weit von hier wurde im November 2013 der militante NS-Verherrlicher und | |
Romahasser Marian Kotleba zum Regionalpräsidenten gewählt. Vor fünf Wochen | |
stürmten Polizisten eine Romasiedlung weiter östlich und verprügelten die | |
Bewohner, 15 krankenhausreif. Bei einem ähnlichen Vorfall in Budulovská war | |
die Polizei so brutal vorgegangen, dass 2013 die UNO die Polizeiaktion | |
verurteilte und eine Untersuchung forderte. Die Lage drohte derart zu | |
eskalieren, dass die US-Botschaft in Bratislava Geld springen ließ für ein | |
Versöhnungsfest. „Vorurteile verhindern leider die Begegnungen zwischen den | |
Roma und der Mehrheitsbevölkerung“, sagte die Botschaftssprecherin. Die | |
Behörden jedoch verboten das Fest. | |
Nun will die sozialdemokratische Regierungspartei offenbar gegensteuern. | |
Mit EU-Geld hat sie ein Programm aufgelegt, um die Lebensbedingungen in den | |
Romasiedlungen zu verbessern. Einige hunderttausend Euro davon hat Moldava | |
bekommen. „Wir bauen ein Gemeindezentrum, eine Schule, Wasserleitung, | |
Straßenbeleuchtung und eine Straße“, sagt Kolozova. Früher sei die | |
Müllabfuhr nur „unregelmäßig“ gekommen. „Dann haben wir 16 Tonnen Müll | |
rausgeholt, jetzt können die Baumaschinen rein.“ | |
## Druck aus Bratislawa | |
Im September soll alles fertig sein, ihr nächstes Schuljahr sollen die | |
Romakinder nicht mehr in der Schule in der Stadt verbringen. Wird das | |
Ghetto so nicht perfekt? „Die Siedlung liegt weit außerhalb“, sagt | |
Kolozova, „die Kinder müssen über die Schienen laufen und oft kommen sie | |
nicht zum Unterricht.“ | |
Wollen die Bewohner von Moldava, dass die Behörden die Siedlung räumen? | |
„Nicht die meisten“, sagt sie. „Aber es gibt Druck aus Bratislava, die | |
Siedlungen zu legalisieren.“ Legalisieren – das kann bedeuten, die | |
Schwarzbauten nachträglich zu genehmigen, es kann auch heißen, sie | |
abzureißen. Soll die Siedlung also verschwinden? Kolozova schüttelt den | |
Kopf. Nur „ein paar der illegalen Häuser“ mussten weg – „wegen der Str… | |
Zwei Kilometer Luftlinie, eine Hauptstraße und eine Bahnschneise trennen | |
das Stadtzentrum von der Siedlung. Auf der Straße laufen ihre Bewohner in | |
Richtung Stadt, in der Hand Tüten, manche tragen Besen oder Schaufeln, | |
andere orangefarbene Warnwesten. Berufspendler der Schattenwirtschaft. Der | |
Eingang liegt versteckt zwischen blühenden Hagebutten, ein unbefestigter | |
Weg, an der Seite ein neuer, silberner Kombi, die Männer darin sehen aus | |
wie Zivilpolizisten. Der Regen hat den Grund durchtränkt, die Füße sinken | |
ein. Es riecht nach verbranntem Plastik, in der Ferne tuten die Züge. | |
Bagger haben Erd- und Müllhaufen aufgeschüttet, auf denen Dutzende Kinder | |
spielen. | |
Budulovská wirkt wie ein Fremdkörper in diesem Teil der Welt, es erinnert | |
an Armutsviertel in Bombay oder Nairobi. Kleine Hütten aus Holz und Planen | |
stehen dicht an dicht, sie sehen aus wie Schuppen, manche haben neue | |
Dächer, in andere dringen Regen und Kälte an diesem Morgen zweifellos ein. | |
Aus der Mitte ragt eine Zeile unverputzter Betonbauten empor, mehr Ruinen | |
als Wohnhäuser, an deren Fassaden die Graffiti wie Schmuck wirken, die | |
Fenster schwarze Löcher ohne Scheiben. Das Gebäude in der Mitte der Zeile | |
ist ausgebrannt. | |
## Kredit von der NGO | |
Budulovská liegt auf städtischem Grund. In den neunziger Jahren wurden die | |
Betonhäuser legal errichtet. Die Siedlung wuchs schnell, sechs Kinder pro | |
Familie sind keine Seltenheit. Die Hütten kamen hinzu, für sie gab es keine | |
Genehmigung, ihr Status ist unsicher. Eine NGO hat den Bewohnern kleine | |
Kredite gegeben. Nun zahlen sie die Kosten für ihre Unterkünfte Stück für | |
Stück ab. | |
An diesem Morgen stehen überall Männer, Frauen, Kinder auf den schlammigen | |
Wegen und betrachten die Baumaschinen. Bagger haben eine Grube ausgehoben, | |
an einem kleinen Kran senken die Bauarbeiter Kanalsegmente hinab. Ihre | |
Namen möchten die Menschen nicht in der Zeitung lesen, was mit ihren | |
Nachbarn geschehen ist, schon: Etwa zwanzig Familien, über 100 Menschen, | |
mussten im März und April ihre Häuser verlassen, damit die Straße gebaut | |
werden kann. Die Bagger haben die Häuser, die ohne Genehmigung errichtet | |
wurden, abgerissen. Die Nachbarn seien zum Auszug gezwungen worden, Geld | |
für neue Häuser oder Baugrund habe niemand bekommen. Wo sie jetzt leben, | |
wissen sie nicht. | |
Dass Misstrauen sitzt tief. Die Roma haben lange Erfahrung damit, verjagt | |
zu werden. Viele hier fürchten, die letzte Räumung könnte nur der Anfang | |
gewesen sein sein. Politik und Verwaltung agieren für viele hier | |
undurchsichtig. Wenig Gutes hatten sie in der Vergangenheit von den | |
Behörden zu erwarten. Der eigentlich längst überfälligen EU-finanzierten | |
Infrastrukturoffensive trauen viele deshalb nicht. | |
## Kein Strom, kein Wasser | |
Das neue Fußballfeld ist noch eine planierte Fläche, daneben ein | |
türkisfarbener, noch leerer Bau. Er soll die Schule beherbergen. Am Rand | |
steht ein weißer Container. Dort, wo die Tür ist, haben Bagger den Boden | |
abgefressen. Wer hineinwill, muss springen. Es ist das Büro von Irma | |
Horvathóva. Die Romni ist Ende dreißig, trägt eine große Brille, und als | |
eine der wenigen hier ist sie länger zur Schule gegangen. | |
Andernorts würde Irma Horvathóva als Quartiersmanagerin durchgehen, hier | |
ist sie für alles zuständig – bis hin zum Trinkwasser, das die Bewohner in | |
großen Kanistern aus dem Hahn ihrer kleinen Spüle abfüllen, denn alle | |
anderen Wasserleitungen wurden ebenso abgestellt wie der Strom. | |
Ein Jugendlicher mit akkurat rasierter Frisur ist ihr Gehilfe. Er gießt | |
Limonade ein. Nach kurzer Zeit kommt er mit einem der tschechischen | |
Bauarbeiter zurück, der Englisch übersetzen kann. „Natürlich sind wir | |
glücklich mit der neuen Straße und den anderen Dingen“, sagt Horvathóva. | |
„Das war schon lange nötig. Die Leute bleiben sehr lange hier, kaum einer | |
kommt raus“, sagt sie. Diskriminierung und Rassismus seien hart. Es sei | |
fast unmöglich, an Jobs zu kommen. 62 Euro Sozialhilfe gibt es pro | |
Erwachsenen, eine Familie mit vier Kinder lebt von etwa 300 Euro im Monat. | |
„Die Jungen sehen die Alten, die nicht arbeiten. Sie haben keine | |
Vorbilder“, sagt Horvathóva. Über die abgerissenen Häuser möchte sie nicht | |
reden. | |
„Die Straße musste an der Stelle entlangführen“, sagt die | |
Gemeindesprecherin Kolozova. Es habe keine Alternative zum Abriss gegeben. | |
Der Umgang mit der Siedlung sei eine Gratwanderung zwischen den Interessen | |
der Bewohner und der Stimmung in der Stadt. „Wir wissen nicht, wie es mit | |
den illegalen Häusern weitergeht“, räumt Kolozova ein. „Der Stadtrat | |
diskutiert das gerade.“ Das Problem gebe es im ganzen Land. | |
Der Versuch, nach Jahrzehnten der Indifferenz und Vernachlässigung die | |
Lebensbedingungen der Roma zu verbessern, ist kompliziert. Gibt es neue | |
Schulen und die Straßenlaternen nur um den Preis von Vertreibung? Es müsse | |
„fair bleiben“, meint sie. „Andere können ja auch nicht einfach so irgen… | |
bauen.“ Und schließlich wüssten sich die Roma ja zu helfen, meint Kolozova: | |
„Sie haben einfach woanders neue illegale Häuser gebaut.“ | |
14 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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