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# taz.de -- Kommentar Asylrechtsänderung: Es ging nur um Symbole
> Die Union wollte das Asylrecht im Grundgesetz ändern. Darauf verzichtet
> die Große Koalition jetzt. Das Grundrecht ist längst durchlöchert.
Bild: Asylrecht? Daumen runter.
Eine Grundgesetzänderung beim Asylrecht ist vorerst vom Tisch. Das
versicherten am Donnerstag einmütig SPD-Chef Gabriel (“mit der SPD nicht zu
machen“) und CDU-Fraktions-Chef Kauder (“Es gibt Null Veränderungen am
Asylrecht im Grundgesetz“). Überraschend schnell endete damit der jüngste
Akt in der Schmierenkomödie um die so genannten „sicheren
Herkunftsstaaten“.
Erst vor wenigen Tagen hatte CDU-Fraktions-Vize Thomas Strobl
vorgeschlagen, die Regelung der sicheren Herkunftsstaaten im Grundgesetz zu
ändern. Künftig sollten diese nicht mehr per Gesetz festgelegt werden.
Vielmehr sollte es einen Automatismus geben: Wenn die Anerkennungsquote von
Asylbewerbern aus einem bestimmten Land unter „ein bis zwei Prozent“ liegt,
dann solle dieser Staat automatisch als „sicherer Herkunftsstaat“ gelten.
Eine solche Grundgesetzänderung wäre sowohl für die Große Koalition als
auch für die Grünen praktisch gewesen. Denn derzeit erfordert die Show
„Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten“ ein Gesetz des Bundestags, dem
auch der Bundesrat zustimmen muss. Und da die Große Koalition in der
Länderkammer nicht genug Stimmen hat, sind für eine Mehrheit derzeit auch
mindestens zwei grün-mitregierte Länder erforderlich. Die damit verbundenen
Diskussionen sorgen für Zoff bei den Grünen. Und weil diese derzeit nicht
zustimmen wollen (“nur Symbolpolitik“), steht die Große Koalition mit ihrem
Aktionismus dumm da.
Es ist beruhigend, dass diese taktischen Bedürfnisse nun nicht so weit
führen, dass deshalb erneut das Grundgesetz geändert wird. Es gibt derzeit
wahrlich wichtigeres zu tun.
Vielleicht hört nun ja sogar die Fixierung der Politik auf die Einstufung
von Staaten als „sichere Herkunftsstaaten“ auf. Anders als oft behauptet,
führt dieses Label schließlich nicht zu schnelleren Asylverfahren und
schnelleren [1][Abschiebungen]. Das BAMF behandelt Asylanträge aus
Westbalkan-Staaten schon lange prioritär, ganz unabhängig vom Label
„sicherer Herkunftsstaat“. Das Etikett dient nur der innenpolitischen
Stimmungsmache und der Abschreckung in den Herkunftsländern.
So gesehen wäre auch die von CDU-Vize Strobl vorgeschlagene
Grundgesetzänderung kein Tabubruch. Ob ein symbolisches Konstrukt nun per
Gesetz oder automatisch vergeben wird, macht keinen großen Unterschied.
## Ja, das Grundgesetz
Wenn nun aber SPD-Vize Ralf Stegner betont: „Die Substanz unseres
individuellen Rechts, dass politisches Asyl geprüft wird, die dürfen wir
nicht einschränken“ ist das doppelt bemerkenswert. Immerhin war es die SPD,
die gemeinsam mit der CDU im Jahr 1993 die Möglichkeit, „sichere
Herkunftsstaaten“ zu benennen, überhaupt im Grundgesetz verankert hat
(Artikel 16a Absatz 3). Allerdings war die Festlegung „sicherer
Herkunftsstaaten“ immer schon symbolisch, denn auch bei Anträgen aus
„sicheren Herkunftsstaaten“ müssen Argumente und Beweise für eine
individuelle Verfolgung oder Notlage geprüft werden. Das ist im Grundgesetz
verankert und auch Strobl wollte das nicht ändern.
Die wirklich dramatische Grundgesetzänderung war 1993 die Festlegung
„sicherer Drittstaaten“. Wer durch einen sicheren Drittstaat nach
Deutschland einreiste, verlor sein Asylrecht - ohne Wenn und Aber. Deshalb
spielt das Grundrecht auf Asyl seit 1993 in der Praxis fast keine Rolle
mehr. Zum Glück gab es noch Völkerrecht. Die Asylberechtigung wird heute in
aller Regel nach der Genfer Flüchtlingskonvention geprüft und vergeben.
Was also ist davon zu halten, wenn Kanzlerin Merkel nun ein „klares
Bekenntnis zum Asylrecht“ ablegt, „wie es unser Grundgesetz vorsieht“. Man
kann nur hoffen, dass sie keine Ahnung hat, wie marginal das Asylrecht im
Grundgesetz nur noch ist. Ansonsten wäre ihr „Bekenntnis“ fast schon als
Drohung zu werten.
4 Sep 2015
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## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Herkunftsstaaten
Asylrecht
Schwerpunkt Grundgesetz
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CDU
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