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# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Ist Merkel doch nicht okay?
> Den Flüchtlingen in Deutschland helfen weder Moralproduktion noch
> Empörung und Nazi-Aufregung. Sondern?
Bild: Die Realität lässt sich nicht durch Moralpredigten verändern, sondern …
Wenn die Worte „Menschlichkeit“, „unfassbar“ und „unerträglich“ in…
Tweets von Grünen-Politikerinnen noch öfter vorkommen als eh schon. Wenn
der Schoß angeblich noch fruchtbar ist. Wenn vom moralischen
Feldherrenhügel darüber geurteilt wird, welcher Politiker dem
rechtsextremistischem „Pack“ in der sächsischen Schweiz am richtigsten die
Meinung geigt.
Dann hilft das den Flüchtlingen in diesem Land überhaupt nicht.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Nazis sind nicht zu tolerieren,
sondern strafrechtlich zu verfolgen und gesellschaftlich zu ächten. Aber in
einer Aufregungsgesellschaft dient Empörung erst mal dem Empörten. Und das
Naziproblem wächst mit der produzierten Empörung mit. Auch der letzte
Land-Nazi im Osten hat genug Medienkompetenz, um zu wissen, dass er
loslegen muss, wenn die Tagesschau Bilder braucht.
Wie immer gibt es auch den Versuch, das Problem zu instrumentalisieren.
Etwa, um die lagerübergreifend solide Reputation von Kanzlerin Merkel (CDU)
anzukratzen. So befremdend diese sein mag, sie kommt zum großen Teil daher,
dass es eben keine Lager mehr gibt. Nun ergibt sich die Chance, die Welt,
die Politik, die Parteien wieder in die nutzlosen Sehnsuchtskategorien gut
(wir) und böse (die Union) einzuteilen. Also ruft man: Sie geht nicht in
Flüchtlingsheime, sie verurteilt Nazis nicht früh und laut genug, sie ist
unmoralisch. Andere in der Union sind es sowieso.
Ach, bitte. Vielleicht ist sie einfach nicht so aktionistisch-populistisch
wie der SPD-Kollege Vizekanzler. Vielleicht hat in der Flüchtlingspolitik,
so wie in der Klimapolitik, ihr Prinzip des möglichst langen Abwägens eine
Grenze überschritten. In jedem Fall ist den Flüchtlingen nicht mit
moralischer Politiker-Inquisition zu helfen, sondern prioritär politisch
und administrativ.
## Kein gelebter Kant
Da muss man zunächst über die sozialökologische Transformation sprechen,
deren Ausbleiben der Grund für die sich verschärfenden globalen Krisen ist.
Dann darüber, ob und wo die Flüchtlingspolitik der EU versagt, deren
Mitglied Deutschland ist. Dann sehen, was das Land im Vergleich leistet
(offenbar viel) und wie der Umgang mit Flüchtlingen ist (verhältnismäßig
okay). Auf der Grundlage kann man über die Flüchtlingspolitik streiten, die
die schwarzrote Koalition besser machen kann und daher machen sollte.
Ein Punkt ist die immer noch unzureichende Finanzierung der Infrastruktur
von Ländern und Kommunen. Der zweite Punkt: ein Einwanderungsgesetz und
Sofortmaßnahmen. Der grüne Ministerpräsident Kretschmann und
Schleswig-Holsteins grüner Vize Habeck erwägen, syrische Kriegsflüchtlinge
direkt aufzunehmen. Menschen vom Westbalkan müssen es dagegen nicht über
das Asylrecht versuchen, sondern können es über ein verändertes
Arbeitsrecht. Hier ist der Bundesrats-Dissens zwischen den Grünen und der
Regierungskoalition, die Armutsflüchtlinge auf keinen Fall motivieren will,
nach Deutschland zu kommen. Das ist nicht gelebter Kant, aber man kann es
auch nicht als moralisch Rechts kategorisieren.
In der komplizierten und nicht mit einem Hebel zu steuernden Realität geht
es jetzt darum, mehr Räumlichkeiten für Erstaufnahme zu schaffen – und
Bedingungen, damit Städte, Gemeinden, Beamte, glückliche Besitzer eines
deutschen Passes und die, die einen haben wollen, klarkommen können.
Zumindest nebeneinander. Hier, und nicht an ein paar Nazi-Orten,
entscheidet sich, wie Deutschland ist. Die positiven Anzeichen sind da.
Aber das gelebte Leben ist nicht per Heribert-Prantl-Videomoralpredigt zu
dekretieren. Es wird im Bus, am Gartenzaun, im Supermarkt täglich neu
justiert. Meine These: Die Praxis bestimmt die Moral, nicht umgekehrt.
29 Aug 2015
## AUTOREN
Peter Unfried
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