# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Ein weißer Tag für die Grünen | |
> Nach dem Flüchtlingskompromiss: Was macht die Grüne Partei aus der | |
> historischen Situation? Sie übernimmt gesellschaftspolitische | |
> Verantwortung. | |
Bild: Eine Krise mit Anfang und Ende? Nein, eine Zeit fortlaufender Prozesse. | |
Man möchte gar nicht wissen, wie viele Telefonate usw. der | |
flüchtlingspolitische Notplan des Bund-Länder-Gipfels die Spitzengrünen aus | |
den Ländern gekostet hat. Und zwar nicht nur mit anderen Politikern, | |
sondern vor allem in der eigenen Partei. Als der Realitätspolitiker Boris | |
Palmer [1][in der taz Klartext geredet hatte], ging es noch mal richtig ab. | |
Aber nun steht im Ergebnis eine in der Öffentlichkeit geschlossen | |
erscheinende Grünen-Partei und eine Flüchtlingspolitik, mit der alle drei | |
verantwortlichen Parteien versuchen, mit den Bedürfnissen und Grenzen der | |
Realität (und ihrer Wähler) zu Rande zu kommen. Man arbeitet im | |
„Krisenmodus“ und „auf Sicht“, wie Winfried Kretschmann am Donnerstag in | |
seiner Regierungserklärung sagte. Heißt: Man muss täglich strampeln, dass | |
man es irgendwie hinkriegt. | |
Dass Landespolitiker und Beamte das trotz des mutmaßlichen | |
Planungsversagens der Bundesregierung (Union und SPD) bisher hingekriegt | |
haben, verdanken wir einer sich selbst ermächtigt habenden | |
Bürgergesellschaft. Das ist eine grandiose Leistung, die man sich von | |
Hippie- und Hyperkompensationsanalysen nicht schlechtreden lassen muss. | |
Für die Verstetigung muss man sich eines klar machen: Es handelt sich nicht | |
um eine „Krise“ mit Anfang und Ende. Wir leben in einem Zeitalter | |
„fortlaufender Prozesse“, wie der Klimakulturforscher Harald Welzer zu | |
sagen pflegt. Klimawandel, Ressourcenübernutzung, Bevölkerungswachstum, | |
Hunger, versagende Staaten, Völkerwanderung: All das schreitet voran und | |
hat kumulative Wirkung. Würde man da sagen, „Kommt alle zu uns“: Das wäre | |
unmöglich und unsinnig. | |
Vielleicht überlegt sich mal jeder für seine echte Welt, wie weit er gehen | |
kann. Nehmen wir an, Sie seien Journalist und immer mehr FAZ-Redakteure | |
fliehen in Ihre Redaktion, weil die FAZ sich als Failed State herausstellt; | |
die heißen Sie willkommen und geben Ihnen etwas ab. Das versteht sich von | |
selbst. | |
## Klug und sozial | |
Aber was, wenn die Möglichkeiten erschöpft sind, die Büros bersten, der | |
Stern auch noch einrückt und das eigene Gehalt geteilt werden muss? Die | |
sind viel mehr als Sie. Kulturell anders. Und dann auch noch Jasper von | |
Altenbockum. Sollte man nicht die Situation in Frankfurt und Hamburg vor | |
Ort verbessern? | |
Es scheint mir überhaupt nicht egoistisch, sondern klug und sozial, wenn | |
man so viele Menschen integriert, wie man kann, damit es in der Summe | |
nutzt: den Geflüchteten und denen, die bereits EU-Bürger sind. Man kann | |
nicht die sich zart entwickelnde Bürgergesellschaft vor eine unlösbare | |
moralische Aufgabe stellen und dann sagen: Hab’s ja gleich gewusst, dass | |
das hier alles schlimm endet. Letztlich steckt dahinter ein genauso | |
negatives Menschenbild wie in den Teilen der Union, die mit den | |
Beschwörungen, dass die „gute Stimmung kippen“ könnte, daran arbeiten, da… | |
sie kippt. | |
Wenn im Kern der Bürgergesellschaft auch in dieser Frage zunehmend „grüne | |
Werte“ gelebt werden, dann ist die Frage für die Union: Mitgehen wie | |
Merkel? Oder nicht. Und die Frage für die Grünen ist: Was machen sie | |
diesmal draus, nachdem sie die Volkspartei nach Fukushima mit Kretschmann | |
manifestiert und mit Trittin ausgetrieben haben? | |
Ich sehe das so: Die Grünen Protagonisten haben in einer womöglich | |
historischen Situation ihre gesellschaftspolitische Verantwortung nicht für | |
selbstgefälliges Moralwachstum verdealt. Sie sind mit der Mitgestaltung des | |
flüchtlingspolitischen Notplans ihrer Regierungsverantwortung in neun | |
Bundesländern gerecht geworden. | |
Es war ein weißer Tag für die Grünen, aber vor allem für die Flüchtlinge | |
und für unser Gemeinwesen. | |
2 Oct 2015 | |
## LINKS | |
[1] /Boris-Palmer-zu-Fluechtlingen/!5234269/ | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
## TAGS | |
Flüchtlinge | |
Grüne | |
Krise | |
Schwerpunkt Flucht | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
Familie | |
Deutschland | |
Schwerpunkt Flucht | |
Baden-Württemberg | |
Flüchtlinge | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kolumne Die eine Frage: Keine Moral durch Raushalten mehr | |
Wir Deutschen stehen in diesem Herbst vor einer Zäsur. Müssen die Grünen | |
deswegen Kanzlerin Merkel verteidigen oder angreifen? | |
Kolumne Die eine Frage: Es gibt ein richtiges Leben: deines | |
Was macht Kim Kardashian, den US-Reality-Star, so großartig, was können | |
Adorno-Leser von ihr lernen? Kleiner Tipp: Es ist kein Körperteil. | |
Kolumne Die eine Frage: Sechs deutsche Vorurteile | |
Ist in der Flüchtlingsfrage nach der Euphorie plötzlich „die Stimmung | |
gekippt“? Viele reden jetzt so. Also, meine Stimmung ist nicht gekippt. Und | |
Ihre? | |
Flüchtlinge in Deutschland: De Maizière will Dank und Gehorsam | |
Der Innenminister findet, Flüchtlingen in Deutschland stehe es nicht zu, | |
sich zu beschweren. Wer Asyl will, müsse sich auch verteilen lassen, so | |
Thomas de Maizière. | |
Regierungserklärung in Stuttgart: „Wir arbeiten alle im Krisenmodus“ | |
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann rechtfertigt im | |
Landtag Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels. | |
Kommentar zum Asylgesetz: Was wir schaffen | |
Die Vorschläge zur verschärften Asylpolitik reichen von populistisch bis | |
potenziell verfassungswidrig. Der Debatte fehlt es an Prioritätensetzung. | |
Die eine Frage: Dann ist das mein Land | |
Es ist an der Zeit, sich die Hände schmutzig zu machen: Wessen Land ist | |
Deutschland? Linker Patriotismus muss her. | |
Kolumne Die eine Frage: Ist Merkel doch nicht okay? | |
Den Flüchtlingen in Deutschland helfen weder Moralproduktion noch Empörung | |
und Nazi-Aufregung. Sondern? |