# taz.de -- Nach den Krawallen in Heidenau: In Dunkeldeutschland | |
> In Heidenau vereinen sich Pegida und die NPD. Nirgendwo sitzt braunes | |
> Gedankengut so fest wie südlich von Dresden. | |
Bild: Flüchtlinge vor dem ehemaligen Baumarkt in Heidenau | |
HEIDENAU/PIRNA taz | Nach dem Gewaltausbruch vor dem ehemaligen Baumarkt | |
versammelt sich am Montagabend das friedliche Heidenau. Mehr als | |
zweihundert sind dem Aufruf zum „Gebet für unsere Stadt“ gefolgt. Die | |
Reihen in der Christus-Kirche, ein Bau wie eine Turnhalle, sind dicht | |
besetzt. Alte und Junge, Kinder, Jugendliche, Heidenauer und Leute aus der | |
Umgebung. „Wie Stein liegt uns manches auf dem Herzen!“ Es sind | |
therapeutische Worte, die Pastorin Erdmute Gustke wählt. „Statements“ werde | |
es nicht geben, versichert sie. Dafür umso mehr Einkehr. | |
Die Gebete, anonym auf Zettel geschrieben, gleichen verzweifelten Fragen: | |
Warum greift Verblendung um sich? Woher dieser Hass? Woher diese Wut? Einer | |
hat sich schon an Antworten versucht. Hinten in der letzten Bank hockt | |
Jürgen Opitz, immer noch in Schlips und Anzug, nur die Haare sind etwas | |
verschwitzt. Seit Montagfrüh hat der Bürgermeister von Heidenau Interviews | |
gegeben, hat versucht zu erklären, warum in seiner Stadt, ein Vorort | |
südöstlich von Dresden, der rechte Mob gewütet hat. Er hat eingeräumt, dass | |
auch Heidenauer mit gebrüllt haben als Steine und Pyrotechnik flogen, hat | |
auch von „vielen Auswärtigen“ geredet, die als Einpeitscher agierten. Jetzt | |
wirkt er erleichtert, dass das Telefon für eine Stunde schweigt. | |
Will nicht auch sie ein Gebet niederschreiben? Christl Bialluch winkt ab. | |
„Ich rede selber mit Gott.“ Die Rentnerin hat eine direkte und friedfertige | |
Art. Im Kofferraum ihres Autos liegt schon ein Kochtopf, den sie heute | |
Abend fünf jungen Männern aus Pakistan schenken wird, die hier in Heidenau | |
untergekommen sind. Dann können sie endlich ausreichend Reis zubereiten. | |
Sie sind erst seit zwei Wochen hier, nennen Bialluch aber schon „Mama“. | |
Wenn nur alle so wären wie Christl Bialluch. Woher kommt der Hass? Auf | |
diese Frage lässt sie sich gar nicht erst ein. Es gebe so viel Gutes, so | |
viele gute Menschen, in Heidenau, im benachbarten Pirna, wo die 76-Jährige | |
mit ihrem Mann wohnt, in der ganzen Region. Da ist der Pfarrer Dimitri | |
Mierau von der Freien evangelischen Gemeinde aus Pirna, da sind die Helfer | |
von der AG Asylsuchende, die vielen Freiwilligen, die Deutschkurse geben | |
und natürlich all die Menschen, die sich hier versammelt haben. Zählt das | |
nicht viel mehr? Nur einmal entfährt ihr ein Seufzer, wie aus Versehen. | |
„Ach, wir sind Christen. Alle anderen sind dagegen.“ | |
## Viele gute Menschen | |
Pfarrer Dimitri Mierau, Sohn russlanddeutscher Einwanderer, ist ein agiler | |
junger Mann. Eben hat er in morgendlicher Gebetsgemeinschaft mit den | |
Bialluchs zusammengesessen. Auch er hat gestern vor der Kirche das | |
Engagement der vielen Menschen gelobt. Ob es Widerstände gebe? Nein, davon | |
wisse er nichts. Aber von irgendwoher müssen die Einpeitscher und Claqueure | |
von Heidenau doch kommen? Ein angestrengtes Lächeln huscht über sein | |
Gesicht. Eine Ursache sei wohl die Arbeit der NPD weiter oben im Elbtal. | |
Jetzt spricht er als Hausherr im Gottesdienstraum das Tischgebet. André | |
Hahn, Bundestagsabgeordneter der Linkspartei, und sein Tross hören | |
andächtig zu. Selten kommen die Genossen mit dem Häuflein entschiedener | |
Christen zusammen. Spontan hatte die sächsische Linke ihre Sommertour nach | |
den Heidenauer Ausschreitungen in das Neubaugebiet Pirna-Sonnenstein | |
gelenkt, um auch hier mit Flüchtlingen zu reden. | |
Die Flüchtlingsarbeit der Freien evangelischen Gemeinde von Dimitri Mierau | |
ist vorbildlich. Obwohl Sonnenstein ein sozialer Brennpunkt ist, sind 250 | |
Flüchtlinge dezentral untergebracht, berichtet Mierau. Insgesamt laufe es | |
gut. Die vier jungen Frauen, die mit Familienangehörigen das | |
syrisch-libanesische Frühstück vorbereitet haben, finden zunächst auch nur | |
freundliche Worte. Pirna sei sehr schön und es gebe viele gute Menschen. | |
## „Scheiß Moslems!“ | |
Wissen die vier auch von den Ausschreitungen? Aber natürlich! Ihre Mienen | |
verdunkeln sich. Arabische Fernsehsender haben davon berichtet. Auf | |
Facebook haben sie sich informiert. Und sie haben große Probleme. | |
Insbesondere wegen ihrer Kopftücher. Viel Deutsch können sie noch nicht, | |
aber Sprüche wie „Scheiß Kopftuch!“ und „Scheiß Moslems!“ verstehen … | |
ohne Sprachkurs. Ausgespuckt habe man vor ihnen. Als sie beim Einkaufen | |
schüchtern mit „Hallo“ grüßten, seien sie angeblafft worden: In Deutschl… | |
grüßt man mit „Guten Tag“! Ramia aus dem Libanon gibt zu, dass sie | |
inzwischen das Kopftuch abgelegt hat und auch nicht mehr zum Deutschkurs | |
nach Dresden fährt. „Abends gehen wir nie raus“, versichert Neamat. Die | |
drei anderen nicken. „Wir haben Angst.“ | |
In Heidenau hat sich am letzten Wochenende die NPD mit Pegida vereinigt, | |
schätzt Petra Schickert. Die schlanke Frau vom Mobilen Beratungsteam Pirna, | |
das Kommunen und Vereine zum Thema Rechtsextremismus und Rassismus berät, | |
hat in der Frühstücksrunde gesessen, nun steht sie etwas abseits. Die | |
christliche Zurückhaltung ihrer Mitstreiter entspricht nicht ihrem | |
Naturell. | |
Die Proteste in Freital gegen die Unterbringung von Flüchtlingen Ende Juni | |
waren noch von Pegida organisiert, ist sie sich sicher. Lutz Bachmann, der | |
Pegida-Gründer, wohne schließlich in Freital. Dort, vor den Toren Dresdens, | |
sei die Pegida-Hochburg. Anders verhalte es sich in der Sächsischen | |
Schweiz. Von Pirna über Bad Schandau bis Sebnitz sei die NPD fest | |
verankert, getragen von Einheimischen. Proteste gegen Flüchtlinge werden | |
von Einheimischen angemeldet, erzählt sie. Kundgebungen, die sich für das | |
Recht auf Asyl aussprechen, melden hingegen oft Auswärtige an. Bei Wahlen | |
kandidiert der Handwerksmeister und der Landarzt – rechtschaffene Bürger. | |
So hetzt die NPD gegen Flüchtlinge. | |
## Eine Protestdemo wegen zwölf Flüchtlingen | |
Es müssen nicht immer Hunderte sein. Anfang des Jahres demonstrierte sie in | |
Bad Schandau – wegen zwölf Flüchtlingen. In Heidenau hat der 27 Jahre alte | |
NPD-Stadtrat Rico Rentzsch die Demo angemeldet. NPD-Mandatsträger waren am | |
Lautsprecherwagen aktiv. Alte Kader haben neue Aufgaben. Als die NPD 2014 | |
aus dem sächsischen Landtag flog, mag es ruhiger um sie geworden sein. | |
Verschwunden war sie nie. | |
Wenn im August 2014 alle so gewählt hätten wie zwischen Heidenau und | |
tschechischer Grenze, wäre die NPD immer noch im Landtag: 8,7 Prozent. Die | |
NPD hat die Strukturen, Pegida das Potenzial und in Heidenau, das auch | |
geografisch zwischen beiden Zentren liegt, haben sich die Fronten vereint – | |
mit verheerenden Folgen. Petra Schickert redet nachdrücklich. Es klingt | |
unerbittlich für diese christliche Oase mit dem Holzkreuz an der Wand. | |
Christl und Horst Bialluch stehen kurz daneben, hören hinein, gehen wieder. | |
Die Worte schmerzen. | |
Am anderen Ende von Pirna in der Hauptstraße fällt ein eingeschossiger | |
Anbau auf. Er ist karminrot gestrichen, das Schaufenster verhangen. Es ist | |
das „Haus Montag“, die Parteizentrale der NPD. Kreisvorsitzender ist Thomas | |
Sattelberg, verurteilter Rädelsführer der „Skinheads Sächsische Schweiz“ | |
(SSS). Bis vor einem Jahr hatte der NPD-Landtagsabgeordnete Johannes | |
Müller, Allgemeinmediziner in Sebnitz, hier sein Büro. Das Wort Heimat ist | |
der NPD zur beliebten Chiffre geworden: Heimat im Herzen! – Heimat | |
schützen! – Asylmissbrauch bekämpfen! Plakate sucht man an der Baracke | |
vergebens, die Propaganda läuft auf Facebook: „Refugees, go home!“. | |
## Drei Polizisten beobachten | |
Shadi aus Syrien hat sich in seinem Heimatland mehrere Jahre politisch | |
engagiert. Als er deswegen verfolgt wurde, flüchtete er und ließ Eltern und | |
Geschwister zurück. Auf diese Geschichte könnten Passanten auf dem | |
Marktplatz von Pirna stoßen. Die Genossen der Linkspartei, die am Morgen in | |
Sonnenstein frühstückten, haben Pavillon, Tische, Aufsteller | |
herbeigeschafft. Broschüren liegen bereit über Asylverfahren, | |
Flüchtlingsschicksale, Fakten. Allerdings ohne Resonanz. Der parteilose | |
Oberbürgermeister ist aus dem Rathaus gekommen. Das schon. Urlauber hocken | |
in den Straßencafés, viele sind mit dem Rad an der Elbe unterwegs. Drei | |
Zuschauer interessieren sich wirklich – aber aus der Ferne. Die | |
Streifenbeamten lehnen am Marktbrunnen und beobachten. | |
„Die haben Angst, dass noch was passiert“, mutmaßt Lutz Richter, seit 2014 | |
Landtagsabgeordneter der Linken. Richter führt in die Kirchgasse. Im | |
Erdgeschoss der Nummer 2 ist das Alternative Kultur- und Bildungszentrum | |
untergekommen. Im Schaufenster ist einiges über das einstige jüdische Leben | |
in Pirna zu erfahren, auch über Flüchtlingsarbeit. Im Juli wurden die | |
Scheiben eingeschmissen. „Das war ein Nazi-Angriff“ steht auf einem Zettel. | |
Die Scherben, die noch dort liegen, sollen Mahnung bleiben, erzählt | |
Richter. | |
Während Richter redet, kommen zwei Männer vom DGB herein. Thomas | |
Dißelmeyer, der DGB-Kreisvorsitzende, hat im Januar beim NPD-Protest in Bad | |
Schandau die Gegendemo organisiert. Dißelmayer ist ein erfahrener | |
Organisator, der schon lange in der Region lebt. Mit der politischen Kultur | |
hat der Mann aus NRW aber noch Probleme. Bei wesentlichen Fragen stehen | |
anderswo alle demokratischen Kräfte beieinander, sagt Dißelmeyer – | |
Parteien, Kirchen Gewerkschaften. „Dat is hier nich!“ Dißelmeyer ist aber | |
wegen was anderem gekommen. | |
Leute aus Berlin und Dresden wollen am Freitag vor dem Baumarkt in Heidenau | |
ein Willkommensfest feiern, erzählt Richter. Man suche noch Unterstützer. | |
„Macht ihr mit?“, fragt Richter. Dißelmeyer zögert. Personell sei man am | |
Limit. Wegen eines bandagierten Fußes stützt er sich auf Krücken, schwankt | |
hinaus. Etwas später hat er sich entschieden. Der DGB ist mit dabei. Das | |
Fest findet trotzdem nicht statt. Am Donnerstagabend hat der Landrat für | |
Heidenau ein Versammlungsverbot verhängt, das von Freitagnachmittag an gilt | |
– aus Sicherheitsgründen. | |
28 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Thomas Gerlach | |
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