# taz.de -- Die Angst vor Rechts: Das hässliche Land | |
> Ja, in kaum einem Land wurden Geflüchtete so herzlich empfangen wie hier. | |
> Aber es ist noch da, das rassistische Deutschland. Immer noch. | |
Bild: 23 August 2015, Heidenau: Nazis pöbeln mit Böllern und Bierflaschen vor… | |
Ich erinnere mich nur noch vage an verwackelte gelbe Bilder im Fernsehen, | |
an Feuer und wütende Menschen, irgendwann Anfang der Neunziger, und daran, | |
dass die Stirnen meiner Eltern in Falten lagen. Ich weiß nicht, was ihnen | |
alles durch den Kopf ging. Überlegten sie damals, ob es eine gute Idee war, | |
uns in diesem Land großzuziehen? | |
Vermutlich waren es die Bilder aus Rostock-Lichtenhagen, als mehrere | |
Tausend Menschen die Unterkünfte von Asylbewerbern belagerten und später in | |
Brand setzten, vielleicht waren es aber auch die Bilder aus Mölln, als | |
türkische Familien angegriffen wurden und eine Frau und zwei Kinder | |
ermordet wurden. Ich weiß es nicht so genau. Was ich aber genau weiß, ist, | |
dass die Angst vor „rechts“ schon in meiner Kindheit sehr präsent war. | |
Manchmal fürchtete ich mich nachts davor einzuschlafen, weil ich Angst | |
hatte, dass mich Nazis durch das Fenster im Schlaf erschießen könnten. | |
Dabei hatte ich keine Ahnung von deutscher Geschichte, keine Ahnung, wer | |
oder was Nazis waren – ich stellte sie mir als furchtbare Monster vor. | |
Bis heute stehen die Namen Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen synonym | |
für Höhepunkte rassistischer Gewalt im Nachkriegsdeutschland. Und die | |
neunziger Jahre haben insbesondere für viele Menschen of Color eine | |
besondere Bedeutung. Wenn ich unter nichtweißen Deutschen sage: „Du weißt, | |
damals in den Neunzigern“, brauche ich nichts mehr zu erklären. Es war eine | |
Zeit, die durch und durch von Fremdenhass geprägt war. Gelegentlich | |
beschimpft oder bespuckt zu werden, war völlig normal. Der Rassismus, er | |
hörte nie auf, aber irgendwie, ich weiß nicht wie, wurde es besser. | |
Aber jetzt, im Jahr 2014, im Jahr 2015, schreiben wieder neue Städtenamen | |
Geschichte und werden die Erinnerungen prägen. Vielleicht wird eine Frau | |
aus Eritrea in zwanzig Jahren sagen: „Du weißt, damals in den 2010er | |
Jahren.“ Wenn ich Bilder aus Heidenau sehe oder von anderen brennenden | |
Unterkünften – die Liste ist so verdammt lang –, dann denke ich daran, wie | |
viele Kinder abends wohl nicht mehr einschlafen können. Kinder, die ohnehin | |
aus dem Krieg kommen. Die Gewalt trifft ausgerechnet die Schutzlosesten in | |
der Gesellschaft, ausgerechnet die, die vor Gewalt geflohen sind. | |
## Deutschland ist ein gespaltenes Land | |
Ja, in keinem anderen europäischen Land wurden Geflüchtete mit so offenen | |
Armen begrüßt wie hier. Aber soweit ersichtlich, wurden auch in keinem | |
anderen europäischen Land so viele Asylbewerberheime angegriffen und | |
angezündet wie hier. Deutschland ist ein gespaltenes Land. Und so | |
verführerisch es sein mag, sich auf das helle Deutschland zu konzentrieren, | |
es ist immer noch da, das dunkle, hässliche, fremdenfeindliche, | |
rassistische Deutschland. Immer noch. | |
Und es zeigt sich nicht nur im NSU-Prozess, der nun fast schon in | |
Vergessenheit geraten ist. Fast jeden Tag brennt eine neue Unterkunft für | |
Geflüchtete, viele davon sind bewohnt. Das ist eine völlig neue Qualität. | |
Dass noch niemand ermordet wurde, nur Zufall. Wer macht so etwas? Die | |
Nazis, die Bösen, die anderen? | |
Ein Bericht des Bundeskriminalamts kommt zu dem Schluss, dass unter den | |
Tätern auch viele Menschen sind, die keine Anbindung an die rechte Szene | |
haben. „Besorgte Bürger“, die erstmalig eine Straftat begehen. Die | |
Aufklärungsrate ist deswegen auch verschwindend gering. Denn: Es könnte | |
theoretisch fast jeder sein. Das Profil hat sich inzwischen geändert. | |
## Der Finanzbeamte von nebenan | |
Die Täter sehen nicht aus wie furchtbare Monster. Sie tragen auch nicht | |
zwingend Glatze und Springerstiefel. Sie kommen wohl aus der sogenannten | |
Mitte der Gesellschaft und sorgen sich so sehr, dass sie es in Kauf nehmen, | |
Menschen, die sie als Bedrohung empfinden, zu töten. Der Finanzbeamte von | |
nebenan. Vielleicht auch eine Frau, die sonntags in die Kirche geht. | |
Menschen, die sich im Recht einer schweigenden Mehrheit wähnen und | |
plötzlich zu Terroristen werden. | |
Opferverbände und Initiativen, die sich gegen Rassismus engagieren, warnen | |
schon seit Jahren, dass Rassismus kein Phänomen des rechten Randes ist. | |
Rassismus muss man sich wie einen Schimmelpilz im Brot vorstellen: Wenn er | |
an Stellen sichtbar wird, hat er zuvor schon das ganze Brot durchzogen. | |
Giftige, unsichtbare Zusammenhänge. | |
Zwar stimmt es auf einer strukturellen Ebene, dass Deutschland keine so | |
starke rechte Partei wie Frankreich oder Österreich hat und dass die NPD | |
immer mehr an Einfluss verliert. Aber dennoch erlebt Deutschland gerade | |
einen Rechtsruck. Einfach weil sich die Zahl der rechtsextremistischen | |
Taten so vervielfacht hat. Und ist es nicht völlig egal, ob ein | |
Rechtsterrorist nun SPD oder die NPD wählt? Zudem ist ein Trend klar: | |
Offener Rassismus, Antisemitismus und Islamophobie wurden in den letzten | |
Jahren wieder salonfähiger. Das fing mit Sarrazin an, ging über die AfD bis | |
hin zu Pegida. Im Kern geht es dabei aber immer wieder um die gleiche | |
Frage: Wer ist wir? Und wer ist es nicht? | |
## Deutschsein und Weißsein | |
Die Angst vor rechts, die jetzt vielleicht auch viele erfahren, die sich | |
erstmals für Flüchtlinge einsetzen, ist eine Erfahrung, die Menschen of | |
Color in Deutschland seit jeher begleitet. Die Angst, in bestimmte Gegenden | |
zu fahren, beschimpft oder angegriffen zu werden, gehört für viele zum | |
Alltag. Genauso wie rassistische Kontrollen, schräge Blicke und | |
Diskriminierungen wegen Hautfarbe, einem fremd klingenden Namen oder | |
vermeintlicher Religionszugehörigkeit. Es fehlt eine ernsthafte | |
Auseinandersetzung mit Rassismus. | |
Jeder Mensch kann rassistisch sein, auch die, die selbst Rassismus | |
erfahren. Und auch die, die gar nicht rassistisch sein wollen. Denn | |
Rassismus zeigt sich beispielsweise dann, wenn Afrodeutsche, die sich | |
engagieren wollen, von weißen Helfern auf die „Flüchtlingsseite“ verwiesen | |
werden. Wenn Deutschtürken Kuscheltiere geschenkt bekommen und versucht | |
wird, sie ins Aufnahmelager zu bringen, nur weil sie zufällig am Bahnhof | |
stehen. Deutschsein ist immer noch mit Weißsein verknüpft. | |
Dabei hatte im Jahr 2014 jeder fünfte Mensch in Deutschland einen | |
„Migrationshintergrund“. Und viele Familienbiografien in Deutschland – | |
unabhängig von Religion oder Hautfarbe – erzählen von Migration, Krieg, | |
Flucht und Vertreibung. Diese vielschichtigen Geschichten hervorzukramen | |
und sich zu erinnern, das wäre wünschenswert. Denn Erinnern hilft gegen das | |
Vergessen. | |
10 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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