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# taz.de -- Gewalt gegen Flüchtlingshelfer: Entflammter Hass
> Im brandenburgischen Neuhardenberg zünden Unbekannte Autos von Einwohnern
> an, die Flüchtlingen helfen. Mit der Idylle ist es vorbei.
Bild: Vom VW-Bus der Helfer blieb nicht viel übrig.
Der Rosenstrauch müsste jetzt, da die Herbstsonne den Giebel so leuchten
lässt, kräftig duften. Doch davon ist nichts zu riechen. Stattdessen steigt
von der ausgebrannten Karosse in der Einfahrt immer noch der Gestank von
verbranntem Plastik, Gummi und Lack auf. Überhaupt ist es ein Glück, dass
die Rosen das vorvergangene Wochenende überlebt haben.
Der VW-Camper brannte in der Nacht zum Sonnabend wie eine Fackel, und wenn
die zwei Gasflaschen im Bus explodiert wären, hätten es wohl Giebel, Rosen
und manches andere nicht überlebt. Und was, wenn jemand im Bus übernachtet
hätte? Sophia Bloch* blickt immer noch fassungslos.
Sie habe in der Nacht etwas gehört, den Feuerschein wahrgenommen und ihren
Mann geweckt, erzählt sie. Als beide vors Haus traten, brannte der Bus
lichterloh und am Bulli nebenan verschmorte das Heck. Der Notruf bei der
Feuerwehr Neuhardenberg bescherte die nächste böse Überraschung. Man müsse
sich gedulden, hieß es, die Wehr sei bereits ausgerückt. Im Dorf brenne
schon ein Auto.
Vier Tage ist das her. Sophia Bloch und ihr Mann Martin, beide in den
Sechzigern, sitzen in einer rustikalen Laube und blicken auf den Garten mit
Birken, Obstbäumen und Sträuchern. Ein Pflasterweg scheint sich schier
endlos in dieses Arkadien hineinzuwinden – kurzum: ein Idyll. Deswegen ist
das Ehepaar vor drei Jahren aus Baden-Württemberg hierhergezogen. Doch wenn
sie über die Brandnacht reden, scheint es, als wäre ein Hexensabbat über
den beschaulichen Ort 70 Kilometer östlich von Berlin hereingebrochen.
## „Refugees not welcome“
Es begann mit einer Einwohnerversammlung im Nachbardorf Gusow-Platkow. Dort
sollen ab Oktober in eine alte Kaserne Flüchtlinge einziehen. Extrem
feindselig sei die Stimmung gewesen, berichten Anwesende, die schon einige
hitzige Abende erlebt haben.
Zur selben Zeit tauchen überall in Neuhardenberg Aufkleber auf: „Refugees
not welcome“. Und in den Postkästen steckten Flugblätter: „Liebe
Landsleute, schwere Zeiten stehen uns bevor.“ Die Ortschaften würden
„vollgestopft mit Kulturfremden“. Es würde wegen der Fremden zu
Drogenhandel, Messerstechereien und Raubüberfällen kommen. Krankheiten wie
Tuberkulose würden ausbrechen. „Wir sind das Volk!“, ruft das anonyme
Hetzblatt und schließt mit dem Appell: „Zeigt euren Unmut“. Stunden später
brannten die Autos.
Wann ahnten sie, dass der Anschlag mit ihrem Engagement im Willkommenskreis
zu tun haben könnte? „Mir war das sofort klar!“, bricht es aus Sophia Bloch
heraus. Auch die Polizei hat wenig Zweifel. Vom Vorderrad fraßen sich die
Flammen durch den Bus, das war kein Kurzschluss, das war Brandstiftung.
„Eine politische Motivation liegt nach Lage der Dinge auf der Hand“, heißt
es einen Tag später aus dem Potsdamer Innenministerium. Um die Ermittlungen
nicht zu gefährden, hat die Polizei das Ehepaar inzwischen gebeten, dass
ihre wahren Namen nicht mehr in der Presse zu lesen sein sollen.
Verletzlich wirkt Sophia Bloch. Ihre Stimme ist leise, aber doch fest, ihr
Mann Martin scheint robuster. Von ruhigem Schlaf kann man bei beiden
derzeit nicht ausgehen. Hätte ihnen jemand vor zwei Jahren prophezeit, dass
wegen des Willkommenskreises einmal Autos brennen würden, hätten sie den
Schwarzseher vom Hof gejagt. Oder ausgelacht.
## Sachspenden und gemeinsame Feste
Im Dezember 2013 kamen die ersten Asylsuchenden ins Dorf. Die Ängste, die
damals von den Einheimischen geäußert wurden, waren verständlich, erinnert
sich Martin Bloch. Dass es im Ort rechtsgerichtete Jugendliche gab, war
auch bekannt. Umso wichtiger also, den Asylsuchenden zu helfen und sie mit
den Einheimischen zusammenzubringen. Der Willkommenskreis war gegründet. Am
Anfang waren es acht, jetzt sind es achtzehn Mitglieder. Es geht um
Sachspenden, gemeinsame Feste, Begleitung zu Arztterminen, um Fahrdienste.
Um Hilfe im Alltag für die Menschen im „Pentagon“.
Pentagon – so heißen die fünf Plattenbauten hier im Dorf, die in etwa so
angeordnet sind wie das berühmte Pendant in Washington. Dort leben neben
den Alteingesessenen die inzwischen rund 260 Flüchtlinge. Der
Willkommenskreis hat bald mächtig zu tun. Zeitungs- und Fernsehberichte
loben seine Arbeit. Diese Idealisierung war schon immer ein wenig
problematisch, sagt Martin Bloch. Denn für die Verwaltung scheinen die
Ehrenamtlichen oft genug nur Störenfriede zu sein. Und nicht nur die
Medien, auch die Rechten beobachteten den Verein genau.
„Trotzdem blieb es relativ ruhig“, sagt Martin Bloch. Bis zum
Fußballturnier zu Himmelfahrt. Die Flüchtlinge traten gegen Vereine aus der
Umgebung an. An dem Tag wurde ein Somali in den Hintern getreten, ein Serbe
beschimpft, Jugendliche warfen Bananenschalen auf Flüchtlinge und
intonierten das Horst-Wessel-Lied – ohne Text. Der Willkommenskreis rief
die Polizei.
## „Wir machen weiter“
„Die Schwarzen“ nennt Sophia Bloch die jungen Männer, die hier im Dorf als
Rechte bekannt sind. Nicht organisiert, eher eine Art „Kameradschaft“,
schätzt sie ein. Dass es im 2.000-Einwohner-Dorf zu offener Feindseligkeit
kommen könnte, das ahnten Blochs vielleicht. Aber ein Brandanschlag auf
ehrenamtliche Helfer? Sophia Bloch seufzt. „Besser, der Brandsatz ist auf
das Auto geflogen als in die Gemeinschaftsunterkunft.“
Eines macht die Blochs bei alldem besonders zu schaffen. Jetzt kommen
Flüchtlinge, die zu Freunden geworden sind, und haben ein schier unfassbare
Bitte: Hört auf, uns zu unterstützen, sagen sie. Es geht um euer Leben!
Viele von ihnen kennen die Sprache der Gewalt aus ihrer Heimat nur zu gut.
Jetzt wollen sie die Blochs schützen. Nein, nein, Sophia Bloch schüttelt
langsam den Kopf. „Wir machen weiter.“
Am anderen Ende des Dorfes, in der Karl-Marx-Allee, glänzt der Brandfleck
auf dem Asphalt, als hätte ihn jemand lackiert. Am Abend vor der Brandnacht
war Petra Schlögel* in jener vergifteten Versammlung im Nachbardorf und gab
sich als Mitglied des Willkommenskreises zu erkennen. Dann brannte ihr
Corsa. Jetzt steht er hinter dem kleinen Haus. Schlögels Mann geht um das
verkohlte Auto herum und überlegt, wie er den Motor noch retten und
verkaufen kann. „Die kriegen sie“, sagt er immer wieder. Und wenn nicht?
Ein Freund habe ihm zwei Rauchmelder vorbeigebracht. Für alle Fälle.
* Namen geändert
28 Sep 2015
## AUTOREN
Thomas Gerlach
## TAGS
Rechte Gewalt
Brandstiftung
Schwerpunkt Flucht
Nauen
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