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# taz.de -- Rassistische Broschüre gegen Flüchtlinge: Hans Mutig aus Musterdo…
> In ihrem Leitfaden erklärt die rechte Partei „Der III. Weg“, wie Anwohner
> verhindern, dass Flüchtlinge in ihre Nachbarschaft ziehen.
Bild: In Musterdorf ist alles schön ruhig
In Musterdorf ist es schön. Am Ortsrand wogt der Ähren güldene Frisur.
Durch braune Krume tollt tugendhaft der Mümmelmann. Auch eine leere
Turnhalle gibt es. Geturnt wird dort schon lang nicht mehr. Zu Fuß ist hier
nicht so das Ding. Aber der unorganisierte Motorsport ist schwer im Kommen.
Ein ehemaliges Traktor-Kombinat vermietet seine Räume an Satanisten, die
dort ihre Rituale einstudieren, bevor sie auf den Friedhof weiterziehen.
Der Friedhof liegt still. Über den Himmel streicht der Bussard. Der
Deutsche Bussard. Alle sind froh.
Doch dann kommen Fremde. Sie kommen von ganz weit her. Die meisten sind
Menschenfresser oder haben einen Mitgliedsausweis bei al-Qaida. Sie
schänden unser Vieh. Sie stehlen unsere Töchter und, schlimmer noch, die
Arbeitsplätze. Die Westzecken von der Kreis-CDU öffnen für sie die alte
Turnhalle. Daneben soll das Kombinat zu einem festen Wohnheim umgebaut
werden. Das ist das Ende von Musterdorf!
Fast schon möchte man sich entleiben und zu Odin gehen. Doch zum Glück gibt
es ja jetzt diesen „Leitfaden“ der Partei Der III. Weg, einer Bande noch
rechts der NPD, nach Ketten, Blut und Verwesung stinkend. Und nach Feuer:
„Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft!“ Untertitel: „Wie be-, bzw.
verhindere ich die Errichtung eines Asylantenheims in meiner
Nachbarschaft.“
Auch wenn der Verfasser die Punkte anders nennt, unterteilt sich die
Broschüre doch grob in die Stichworte Allgemeine Hetze I, Allgemeine Hetze
II, Protestorganisation, Allgemeine Hetze III und Rechtsmittelkunde.
Eingebettet ist die einleitende Hetze in Diagramme: Lesen wir diese nur
zwei Sekunden lang mit beiden Augen, stellen wir fest, dass in vielen
deutschen Städten die Arbeitslosigkeit von Rumänen unter der der
Gesamtbevölkerung liegt, und es in Schweden auf die Einwohnerzahl gerechnet
viermal mehr Asylbewerber gibt. Doch Angst will geschürt sein, damit sie
bzw. es ordentlich brennt.
## Dienstagabend: Saufen
Direkt im Anschluss an „Zigeunerclans“, die die „soziale Hängematte des
Systems auskosten“ und „ihre Kinder auf den Straßenstrich schicken“ hei�…
es, auf perfide Weise den Bezug herstellend: „Auch andere
Schwerstkriminelle können nunmehr ohne Hürde in die Bundesrepublik
einreisen.“ Als Folgen eines „Asylantenheims“, wie die durchgängige
Terminologie lautet, konstatieren die Macher u. a. „erhöhte
Lärmbelästigung“, „zunehmende Vermüllung“ und einen „Anstieg der
Kriminalität“.
Das Kapitel „Protestorganisation“ beginnt mit Tipps zur Gründung einer
Bürgerinitiative: „Der Wirt verdient am Getränkeverzehr“, heißt es da
schlicht. „Legen Sie die Gründungsversammlung nicht auf einen spannenden
Fernsehtermin (Länderspiel!). Günstige Tage sind: Dienstag und Donnerstag.“
So saufen die Musterdorfer an einem Dienstagabend im „Heimathof“ und reden
über das geplante Flugblatt. Der Leitfaden liegt aufgeschlagen vor ihnen:
„Nicht mehr als ein Nebensatz. Am besten nur Hauptsätze. Kein gestelzter
Stil. Dem Volk ‚aufs Maul‘ schauen (die Volksprache ist prima!). Plastische
Worte wählen. Viele Absätze …“
## Landserromane als Klopapier
Die Botschaft soll auch für Menschen mit Bildungsschwerpunkt im eher
hemdsärmeligen Bereich gut lesbar sein, denn nicht zuletzt aus diesem
Personenkreis lässt sich schon mal der eine oder andere Jünger anwerben.
Der Landserroman. Kann ein Vorbild sein. Klare Sprache. Den versteht man.
„Kein Asylantenheim in Musterdorf.“ „Wir wehren uns.“ Als Verantwortlic…
im Sinne des Presserechts taucht erstmals ein gewisser „Hans Mutig“ auf.
So. Nun hat man das Flugblatt. Zur Vervielfältigung wird gleich die
passende Druckerei empfohlen: „Der Tradition & Moderne Vertrieb ist ein
junges und nationales Druckportal, das von Aktivisten für Aktivisten
betrieben wird – Qualität ist somit garantiert“, steht auf deren Website.
Weiter heißt es dort: „Mit unserem Druckportal wollen wir der nationalen
Bewegung die Möglichkeit bieten, ihre autarken Strukturen weiter
auszubauen. […] Somit bleiben wir unserem Firmenmotto treu: ‚Von der
Bewegung für die Bewegung.‘“
Doch wie und wo verteilt man Flugblätter: Tapeziert man damit den
Führerbunker? Säubert sich das Rektum? Wirft sie, zu (Kriegs-)Schiffchen
gefaltet, in den Fluss? Das ist doch superkompliziert. Ohne den Leitfaden
wäre man aufgeschmissen: „An jedem Haus klingeln und dem Hausbewohner das
Flugblatt mit einigen freundlichen kurzen Sätzen in die Hand drücken.“
Leider fehlen kurze, freundliche Mustersätze. „Heil Hitler, Kamerad. Mein
Name ist Hans Mutig. Kein Asylantenheim in Musterdorf. Wir wehren uns.“ So
könnte es gehen.
## Die Täter: Otto und Max
Aber der Leitfaden versucht ja auch, und gerade den „besorgten Bürger“
mitzunehmen, wie man den unorganisierten Halbnazi gerne nennt, ohne den man
quantitativ nichts ausrichten kann. Daher formuliert man tendenziell im
Sinne der erweiterten Klientel aus ganz normalen, xenophoben Angsthasen.
Die braucht man nämlich zum Mitmarschieren bei Demonstrationen (3.5.:
„Musteranmeldung von Max Mustermann“) und für die Party danach: „Wenn die
Veranstaltung schließlich beendet wird, ist dies noch lange kein Grund, um
sofort nach Hause zu gehen.“ Schließlich sieht die brennende Turnhalle im
Dunkeln so viel schöner aus.
Daneben sammelt man weiter „Argumente“. Einmal mehr Hans Mutig steht im
Adresskopf eines Musters für eine „Strafanzeige gegen Unbekannt“: „Am
01.01.2015 um etwa 11.00 Uhr sah ich vom Fenster meiner Wohnung aus, dass
eine männliche, dunkelhäutige Person aus dem Asylantenheim in der Neuen
Straße, Oberstadt, auf die Straße trat und dort einer Fußgängerin die
Handtasche entriss und in Richtung Stadtmitte flüchtete. Bitte teilen Sie
mir das Ergebnis des Strafverfahrens mit.“
In Oberstadt hat man die Dinge offenbar laufen lassen. Deshalb ist Hans
Mutig da inzwischen weggezogen. In Musterdorf passiert so etwas nicht. Da
sei der Leitfaden vor. Der in einem natürlich Recht hat: In der Umgebung
der Heime kommt es tatsächlich zu mehr Straftaten. Körperverletzung.
Landfriedensbruch. Brandstiftung. Beleidigung. Volksverhetzung. Widerstand.
Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die Täter
heißen Max Mustermann, Otto Normalverbraucher und natürlich good old Hans
Mutig, immer mittenmang dabei.
## Sind die schwul?
Doch bleiben wir unsachlich im Geiste des Pamphlets: Die Affinität
dunkelhäutiger Männer zu Handtaschen irritiert uns. Sind die schwul? Das
mögen wir ja ebenfalls gar nicht. Thor sei Dank, kam so etwas in Musterdorf
seit Michael Kühnen nicht mehr vor. Aber wer weiß: Vielleicht setzen sie
uns als nächstes ein Schwulenheim ins Dorf, direkt neben die Schule, damit
sie den Kindern bequemer Drogen und so Genderzubehör verkaufen können.
Der organisatorische Block endet mit einem Vernetzungsaufruf: „Nur
gemeinsam können wir in diesen anhaltend schweren Zeiten für unsere
Lebensqualität, unseren Lebensstandard und unseren kulturellen Kreis
einstehen.“ Schwere Zeiten. Bier zu warm. Hund krank. Auto läuft nur noch
auf sieben Zylindern. Sämtliche Anzünder beim letzten Grillabend verbraten.
Doch damit alles nicht noch schlimmer wird, kann man Rechtsmittel gegen den
Bau und die Umwidmung von Wohnheimen einlegen. Der Leitfaden bietet Muster
für Maßnahmen vom einfachen Widerspruch bis hin zum Eilverfahren, erneut
sehr einfach gehalten und doch recht trockene Materie. Da wünscht sich
mancher Leser zur Auflockerung ein paar ausländerfeindliche Anekdoten oder
Bilder von brennenden Wohnheimen. Der Bussard schreit und stürzt sich auf
den Hasen.
6 Sep 2015
## AUTOREN
Uli Hannemann
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