| # taz.de -- Institutsleiter über Polizei und Vielfalt: „Verstehen, wie die a… | |
| > In Hamburg eröffnet das bundesweit erste Institut für transkulturelle | |
| > Kompetenz der Polizei. Leiter ist Wulf Köpke, bisher Chef des | |
| > Völkerkunde-Museums. | |
| Bild: Hamburgs Polizei kann beim Umgang mit Bürgern noch viel lernen | |
| taz: Herr Köpke, was tun Sie als Ethnologe bei der Polizei? | |
| Wulf Köpke: Ich helfe den Polizisten, Menschen aus anderen Kulturen besser | |
| zu verstehen und umgekehrt. | |
| Was ist daran „transkulturell“? | |
| Transkulturell bedeutet, dass wir einen intellektuellen Austausch haben, | |
| bei dem Neues entsteht, weil beide Seiten voneinander lernen. Es reicht | |
| also weiter als der interkulturelle Ansatz, der zunächst auf Verständigung | |
| zielt. | |
| Was heißt das für Ihre Arbeit? | |
| Konkret fragen meine Mitarbeiter und ich zunächst ab, was die Polizisten | |
| schon wissen. Dafür gehen wir von Polizeiwache zu Polizeiwache – und dann | |
| sagen uns etwa die Drogenfahnder am Hauptbahnhof: Was wir brauchen, kann | |
| man nicht erklären. Da müsst ihr mal zwölf Stunden mitgehen. | |
| Haben Sie das getan? | |
| Ja, natürlich – wobei ich nur gehe, wenn ich eingeladen werde, weil die | |
| Offenlegung von Schwächen immer Vertrauenssache ist. In St. Georg hinter | |
| dem Hauptbahnhof erfuhr ich, dass dort seit einem halben Jahr etliche | |
| afghanische Drogenhändler und -konsumenten leben. Sie könnten eigentlich in | |
| die Flüchtlings-Erstaufnahmen, aber dahin gehen sie nicht. Stattdessen | |
| schlafen sie auf der Straße, sind völlig heruntergekommen, und die | |
| Polizisten sagen: „Diese Leute sind doch nicht 5.000 Kilometer gereist, um | |
| hier zu verrecken. Was können wir tun? Mit Sozialarbeitern kommen wir da | |
| nicht ran.“ Deswegen entwickeln wir jetzt ein Projekt mit Muttersprachlern: | |
| Wenn sie auf Augenhöhe zu den Leuten sagen: „Haben sich eure Eltern euer | |
| neues Leben so vorgestellt?“ – dann könnte es helfen. | |
| Gibt es weitere Probleme? | |
| Im selben Stadtteil betrinken sich seit einigen Monaten freitagabends | |
| Hunderte Eritreer sinnlos, weil sie nicht mit Alkohol umgehen können. Auch | |
| sie rutschen allmählich ab, und man muss sie rechtzeitig von der Straße | |
| holen. Da wollen wir jetzt mit eritreischen Vereinen vermitteln. Hinzu | |
| kommt, dass die meisten Eritreer Analphabeten sind und die Deutschkurse gar | |
| nicht nutzen können – von der im Jobcenter geforderten E-Mail ganz zu | |
| schweigen. Es muss also erstmal eine Alphabetisierung in ihrer eigenen | |
| Sprache geben. | |
| Gehen Sie auch in die Flüchtlingsunterkünfte? | |
| Ja. Wir haben vor acht Wochen ein Pilotprojekt in einer Erstaufnahme in | |
| Rahlstedt gestartet, das wir später auf ganz Hamburg ausdehnen wollen. Da | |
| gehen wir mit bürgernahen Beamten und dolmetschenden Muttersprachlern – | |
| immer ein Mann und eine Frau – hinein. Wir erklären, wie unsere Polizei | |
| funktioniert und diskutieren mit den Bewohnern. | |
| Welche Fragen kommen da? | |
| Viele haben das Gefühl, dass wir das große Geschäft mit ihnen machen. | |
| Daraus entsteht eine Anspruchshaltung. Und jetzt sagen unsere | |
| Muttersprachler zu ihnen: „Leute, ihr kostet pro Nase pro Tag mehrere | |
| Tausend Euro.“ | |
| Wie reagieren sie? | |
| Dann sagen sie: „Warum zahlen die Deutschen das?“ Wenn ein Muttersprachler, | |
| ein Mensch aus der eigenen Kultur sagt: „Habt ihr mal überlegt, dass die | |
| Deutschen das aus Menschenfreundlichkeit tun?“ – dann entsteht eine | |
| Nachdenklichkeit. Der Leiter der Erstaufnahme hat uns gesagt, er hätte nach | |
| unserer Veranstaltung eine selten ruhige Nacht erlebt, weil die Bewohner so | |
| intensiv diskutiert hätten. | |
| Und wie erklären Sie die Arbeit der hiesigen Polizei? | |
| Wir erklären, dass wir – seit dem Allgemeinen Landfrieden von 1492 – alle | |
| Gewalt an den Staat abgegeben haben und darauf verzichten, uns selbst zu | |
| rächen. Im Gegenzug erwarten wir, dass mit diesem Vertrauen gut umgegangen | |
| wird, weswegen unsere Polizei besonders tolerant zu sein hat. | |
| Wie kommt das an? | |
| In vielen Ländern streckt die Polizei erst die Hand aus, dann kommt der | |
| Knüppel. Dass unsere Polizei erstmal redet, sind sie nicht gewohnt. Damit | |
| können viele nicht umgehen, das sehen sie als Schwäche. | |
| Wen erreichen Sie mit den Gesprächen in den Unterkünften? | |
| Es dürfen bis zu 50 Leute kommen, und die kommen auch. | |
| Nur Männer? | |
| Sogar mehr Frauen, die werden vorgeschickt. Inzwischen kommen auch Männer. | |
| Diskutieren Sie auch über Gleichberechtigung? | |
| Ja, und das ist sehr berührend. Flüchtlinge sagen zum Beispiel: „Ihr redet | |
| immer von Gleichberechtigung – was heißt das für uns?“ Die Männer sagen: | |
| „Wir haben bis jetzt versucht, unsere Familie zu schützen und zu ernähren: | |
| Dürfen wir das jetzt nicht mehr?“ Die Frauen sagen: „Was müssen wir denn | |
| jetzt tun?“ Diese Fragen bewegen sie, und bisher hat ihnen keiner | |
| geantwortet. | |
| Was raten Sie andererseits Polizisten für den Umgang etwa mit Muslimen? | |
| Wenn in einer türkischen oder kurdischen Familie zum Beispiel ein Mädchen | |
| entführt wurde, sage ich: Seht erstmal nach, ob der Pass des Mädchens da | |
| ist oder ob sie ihn mitgenommen hat. Dann fragt vorsichtig die Frauen. Wenn | |
| es eine geplante Entführung ist – weil das Mädchen jemand anderen heiraten | |
| will als vorgesehen –, wissen die Mütter das meist. Das werden sie vor dem | |
| Vater aber nicht sagen. Andere Muslime wiederum sagen den Polizisten: „In | |
| dieses Zimmer dürft ihr nicht, das ist nur für Frauen.“ In Wirklichkeit | |
| haben sie da ihre Drogen versteckt. Wie gehen Polizisten damit um? Oder | |
| wenn sie als Rassisten beschimpft werden? | |
| Was raten Sie? | |
| Patentrezepte haben wir nicht, es kommt auf den Einzelfall an. In jedem | |
| Fall können wir aber Grundlegendes über die islamische Welt vermitteln. | |
| Zum Beispiel? | |
| Die islamische Welt hat ein ausgeprägtes historisches Gedächtnis für | |
| Greueltaten des Westens. Kaum ein Europäer erinnert sich noch an den | |
| US-Folterskandal im irakischen Abu Ghraib von 2004. Die islamische Welt | |
| aber hat jede Enttäuschung gespeichert, von Laurence von Arabien bis zu | |
| Afghanistan vor 30 Jahren. Das ist noch ganz frisch. | |
| Man trägt in die Ewigkeit nach? | |
| Ja. | |
| Das ist problematisch. | |
| Die Wertung ist eine andere Sache. Erstmal geht es darum, diese Haltung zu | |
| begreifen und mit ihr zu rechnen. Die hat übrigens nichts mit islamischem | |
| Glauben zu tun, sondern mit dieser kulturellen Region. | |
| Und wie gehen Polizisten ganz konkret mit großen Flüchtlingsgruppen um, | |
| wenn sie sich bedroht fühlen? | |
| Auch da muss man differenzieren. Wenn Sie – etwa in einer Unterkunft – mit | |
| einem Eritreer sprechen, kommen gleich 20. Die Polizisten fühlen sich | |
| erstmal bedroht. Dabei sind die Eritreer nur neugierig. | |
| Aber wurden am Hamburger Jungfernstieg nicht wirklich Polizisten von | |
| Großgruppen bedroht, als sie einen Dealer festnehmen wollten? | |
| Wir arbeiten da an einer Lösung. Sie müssen die Situation analysieren. Sie | |
| müssen gucken, wo hat die Polizei falsch reagiert, wie hat das Gegenüber | |
| reagiert? Wie kann man entweder diese Menschen einbeziehen, wenn es | |
| wiederkehrende Konstellationen sind, oder andere Konstellationen schaffen? | |
| Sie klingen so begeistert. War Ihre jahrzehntelange Museumslaufbahn ein | |
| Irrtum? | |
| Nein. Das war sehr schön, und ich habe getan, was ich immer gern tat: mit | |
| Migranten zusammenarbeiten, den Objekten eine Stimme zu geben, das | |
| Völkerkundemuseum zu einem Begegnungsort zu machen. Aber diese Kunstform | |
| ist jetzt ausgereizt. Und da die Polizei, für die ich seit 20 Jahren | |
| interkulturelle Kurse anbiete, so darum gekämpft hat, dass ich das | |
| hauptberuflich tue, konnte ich nicht widerstehen. | |
| 8 Sep 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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