# taz.de -- 2016 in Hamburg: Refugee Conference: „Uns wird nichts geschenkt“ | |
> Abimbola Odugbesan ist Sprecher der Gruppe Lampedusa in Hamburg. Mit | |
> anderen Geflüchteten organisiert er eine Konferenz, die im Februar in | |
> Hamburg stattfinden soll. | |
Bild: Glaubt im Kampf für die Rechte von Geflüchteten an Kontinuität: Abimbo… | |
taz: Herr Odugbesan, mittlerweile ist es fast drei Jahre her, dass 300 | |
Menschen über Lampedusa nach Hamburg kamen, politische Forderungen stellten | |
und öffentlichkeitswirksamen Protest organisierten. Wie ist Ihre Lage | |
heute? | |
Abimbola Odugbesan: Unsere Situation hat sich nicht wirklich verändert. Wir | |
fordern immer noch das Gleiche: Dass wir eine Gruppenlösung nach Paragraf | |
23 des Aufenthaltsgesetzes bekommen. | |
Sie meinen, dass der Hamburger Senat Ihnen in Ausnahmefällen ein | |
Bleiberecht aus humanitären Gründen gewähren kann. | |
Das ist von Beginn an unsere zentrale Forderung gewesen. Aber der Senat | |
will das nicht. Wir bekommen von ihm keinerlei Unterstützung, kein Signal, | |
nichts. | |
Wie geht die Gruppe damit um? | |
Die meisten gucken, wie sie eine individuelle Lösung für sich finden | |
können. Aber es gibt uns noch als Gruppe. Wir sind immer noch um die 300 | |
Leute in Hamburg. Unser Infozelt am Steindamm steht noch und einige von uns | |
sind auch noch sehr aktiv, andere wiederum nicht mehr. Das ist total | |
verständlich: Wenn du über zwei Jahre kämpfst und es kommt kein Signal von | |
der Politik, dass sich etwas tut, dann ist das sehr enttäuschend. | |
Aber Sie machen weiter? | |
Ja, der Kampf ist so wichtig, dass Politik unser Lebensinhalt geworden ist. | |
Manche sind in verschiedene Projekte involviert. | |
Der Senat wollte kein Exempel statuieren – nach dem Motto: Dann kommen noch | |
mehr und berufen sich auf diese Gruppenlösung. Wird es nicht mit der Zeit | |
immer unwahrscheinlicher, dass der Senat noch einlenkt? | |
Das kann sein, aber es ist auch das gute Recht der anderen Flüchtlinge, das | |
Gleiche für sich zu verlangen. Aber wir müssen eben für uns gucken: Wir | |
haben diese gemeinsame Geschichte, wir sind zusammen gekommen, unsere Leben | |
in der Heimat sind zerstört. Die Gruppenlösung wäre die angebrachteste für | |
uns. Deshalb halten wir auch daran fest. | |
Hätte die europäische Politik mit der Ankunft der Lampedusa-Geflüchteten, | |
denen Italien Reisepapiere für die Mitgliedstaaten des Schengener Abkommens | |
ausgestellt hatte, schon erkennen müssen, dass das europäische Grenzregime | |
kollabiert? | |
Die europäischen Politiker wissen sowieso, dass es nicht funktioniert. Sie | |
verstecken sich nur hinter dem Gesetz. Manchmal arbeiten sie sogar gegen | |
sich selbst. Warum sonst sollte der hiesige Senat uns | |
Lampedusa-Flüchtlingen sagen, dass wir ein zweites Asylverfahren in Hamburg | |
beginnen sollten? Nach der Dublin-Regelung ist das nicht möglich. Wir haben | |
ja schon in Italien Asyl bekommen. Der Hamburger Senat unterwandert damit | |
die europäischen Gesetze. Daran sieht man, dass das System nicht | |
funktioniert. Die Politiker sind auch sehr verwirrt und wissen nicht mit | |
der Situation umzugehen. Aber sie halten dennoch am System fest. Hat sich | |
für die Mitglieder Ihrer Gruppe etwas verändert, als im Sommer so viele | |
Flüchtlinge kamen? | |
Die Situation bestätigt, wie wichtig es ist, unsere Kämpfe zu verbinden. In | |
mancher Hinsicht haben wir alle die gleichen Probleme. Natürlich | |
unterscheidet sich die persönliche Situation jeweils. Aber der Hauptgrund, | |
weshalb wir alle geflohen sind, ist Krieg. Eine Vernetzung der Geflüchteten | |
ist auch gut für unseren Kampf. | |
Ist es nicht auch von Nachteil, dass Ihre Forderungen aus dem Blick geraten | |
sind? | |
Es gibt diese Teilung zwischen den neuen und den alten Refugees: Die neuen | |
werden als Kriegsflüchtlinge und als gute Flüchtlinge, wir dagegen werden | |
als Armutsflüchtlinge, also als schlechte Flüchtlinge behandelt. Diese | |
Teilung ist nicht gut für uns. Aber man kann nicht über die ökonomische | |
Situation in unseren Ländern reden und die Verantwortung Europas | |
ausblenden. Die Folgen des Kolonialismus sind immer noch die Hauptgründe | |
für Flucht. | |
Sie machten den selbst organisierten Protest sichtbar. Der Hype um die | |
Willkommenskultur kam dann viel später. Wie haben Sie den erlebt? | |
Es haben sich viele Leute engagiert, die humanitäre Hilfe leisten wollten. | |
Das ist sehr verständlich. Sie fühlen, dass sie etwas machen müssen, | |
aufgrund der aktuellen Situation. Selbst die Bundesregierung verbreitet | |
eine Art Willkommenskultur. Das gibt den Menschen Motivation, auch was zu | |
tun. Als wir kamen, haben wir davon noch nichts mitbekommen. | |
Was bewirkt die Stimmung für die Geflüchteten ? | |
Die Menschen leisten Unterstützung auf Basis dessen, was sie verstanden | |
haben. Und das hat auch einen negativen Effekt. Die meisten haben keinen | |
politischen Hintergrund. Was mich betroffen macht: Ich habe mal eine Rede | |
vor 500 Leuten gehalten, das war auf einem Vernetzungstreffen von | |
Refugee-Welcome-Initiativen im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Die waren | |
alle hoch motiviert, humanitäre Hilfe zu leisten, aber das macht noch keine | |
politische Basis. | |
Woran denken Sie? | |
Es gibt trotz dieser Hilfsbereitschaft viele Anschläge auf | |
Flüchtlingshäuser, viele rassistische Kontrollen, Refugees werden ermordet | |
und man weiß nicht, wer dafür verantwortlich ist. | |
Haben Sie über die Zeit, in der sich politisch für Sie nichts bewegt hat, | |
die Hoffnung verloren? | |
Ja, dieses gleichgültige Verhalten des Senats hat zumindest sehr viel | |
Schaden verursacht. Es erlaubt vielen unserer Gruppe nicht, sich auf ihr | |
privates Leben zu konzentrieren. Uns wird oft vorgeworfen, kaum Deutsch zu | |
können, obwohl wir schon lange hier sind. Die neuen Refugees lernen die | |
Sprache innerhalb von sechs Monaten. Aber unsere Situation ist anders: Die | |
neuen bekommen auch vergleichsweise schnell die nötigen Dokumente. | |
Sie haben es leichter? | |
Sie haben die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, also lernen sie schnell | |
Deutsch. Wir hingegen mussten auf der Straße schlafen, in der Kirche – wir | |
haben keine Stabilität, konnten keine gute Perspektive entwickeln. Da kann | |
man sich nicht darauf konzentrieren, die Sprache zu lernen. | |
Was entgegnen Sie den Menschen, die Sie dafür kritisieren? | |
Ich sage: Wenn du so etwas durchmachen würdest, den Stress, die Bedrohung, | |
das Trauma, dann wärst du vielleicht in der Psychiatrie gelandet oder sogar | |
gestorben. Wir kriegen keinerlei Hilfe von der öffentlichen Hand. Wo sollen | |
wir den Deutschkurs überhaupt hernehmen? Aber ich mache den Leuten auch | |
keinen Vorwurf. Sie verstehen unsere Situation eben nicht und sie wissen | |
nicht, was es bedeutet, in Unsicherheit zu leben, ohne regelmäßiges Essen, | |
ohne ein Zuhause. Sie sind ja an ein luxuriöses Leben gewöhnt. | |
Sie organisieren eine Konferenz, die im Februar stattfinden soll, um den | |
Kampf der Flüchtlinge besser zu vernetzen. | |
Richtig. Die „International Conference of Refugees and Migrants“ findet vom | |
26. bis zum 28. Februar auf Kampnagel in Hamburg statt. | |
Was wollen Sie mit dieser Konferenz erreichen? | |
Das Ziel ist, den Kampf der Geflüchteten zu stärken. Es geht im Großen und | |
Ganzen um die Fragen, wie es weitergehen soll, was passieren muss, und wie | |
wir mit den Asylgesetzen umgehen wollen. | |
Aber die Situation der Flüchtlinge ist doch verschieden – je nachdem, wo | |
sie herkommen und wo sie unterkommen? | |
Die Bestimmungen in den Bundesländern sind verschieden, aber auch, wie sie | |
dort von den Menschen behandelt werden, unterscheidet sich sehr. In den | |
kleinen Städten gibt es häufig keinen politischen Support. Gerade deshalb | |
ist es sehr wichtig, sich zu verbinden, um den Kampf auch dort zu | |
unterstützen. Die Geflüchteten haben oft nicht genug Orientierung, um sich | |
selbst zu organisieren. Wir wollen unsere Erfahrungen teilen. | |
Was sind die inhaltlichen Schwerpunkte? | |
Es wird zum Beispiel um das verschärfte Asylrecht gehen, um die Übergriffe | |
auf MigrantInnen und Flüchtlingsheime, um die Spaltung in gute und | |
schlechte Flüchtlinge, die Situation an den EU-Außengrenzen, um Gewalt | |
gegen Frauen und um Krieg. Speziellere Themen werden in Workshops | |
bearbeitet. Es soll auch eine Law Clinic geben, wo Geflüchtete | |
Face-to-Face-Beratung bekommen. Aber die Feinheiten des Programms arbeiten | |
wir gerade noch aus. Auf jeden Fall soll eine familiäre, angenehme | |
Atmosphäre herrschen, wir wollen auch zusammen essen und einen angenehmen | |
kulturellen Austausch schaffen. | |
Es gab ja schon eine Refugee-Konferenz im August in Hannover. Was hat die | |
ergeben? | |
Wir haben uns vernetzt und uns über die Situationen in den verschiedenen | |
Städten ausgetauscht. Es sind viele Kontakte entstanden und wir haben | |
beschlossen, eine zweite, größere Konferenz zu organisieren. | |
Wie viele TeilnehmerInnen waren da? | |
An die 200 Menschen aus verschiedenen deutschen Städten und ein paar aus | |
Dänemark. Im Februar erwarten wir 800 Menschen aus verschiedenen | |
europäischen Ländern. | |
Geht es Ihnen eher um ein Symbol für den gemeinsamen Kampf oder um reale | |
Konsequenzen? | |
Das ist durchaus etwas Reales, wenn die Verbindungen zwischen den Menschen | |
dazu führen, dass jeder einzelne mehr Kraft hat, gegen unmenschliche | |
Gesetze zu überleben. Es macht einen großen Unterschied, ob man vernetzt | |
ist oder nicht. | |
Es soll also eine dauerhafte Struktur daraus hervorgehen? | |
Es kann sein, dass es nur einmal im Jahr ein solches Treffen gibt, aber die | |
Informationen und das Wissen, das die Leute dort bekommen, wirken sich | |
dauerhaft auf den Alltag der Leute aus. Für die Einzelnen ist es dann viel | |
leichter, im Alltag klarzukommen, obwohl das System gegen sie ist. | |
Ist es nicht gefährlich für diejenigen, die kein Asyl und keine Papiere | |
haben, zur Konferenz anzureisen? | |
Das kommt drauf an, wie wir das organisieren. | |
Wie denn? | |
Das kann ich nicht verraten, aber wir tragen schon Sorge dafür, dass die | |
Menschen sicher an- und abreisen. In Hannover haben wir das auch | |
hingekriegt. | |
Wie finanzieren Sie das? | |
Wir sind noch in der Phase, Gelder zu organisieren, von Stiftungen, | |
Einzelpersonen, UnterstützerInnen – von allen, die wollen, dass die | |
Konferenz ein Erfolg wird. | |
Sind Sie zuversichtlich, dass genug Geld dafür zusammenkommt? | |
Es ist Dezember, kurz nach Weihnachten. Um diese Jahreszeit passiert hier | |
ja nicht viel. Aber wir sind optimistisch, dass es im Januar gut | |
weitergeht. | |
Wie kann man sich einbringen? | |
Es ist für jeden offen. Jeder, der will, kann sich beteiligen, finanziell, | |
organisatorisch oder inhaltlich. Es wäre gut, wenn sich Interessierte auf | |
der Website anmelden, um teilzunehmen. So können wir besser planen. Der | |
Eintritt ist frei. | |
Gab es selbst organisierte Konferenzen früher schon? | |
Es gab ähnliche Vernetzungstreffen, nur viel kleiner, und sie waren nicht | |
selbst organisiert, sondern von Initiativen oder Stiftungen ausgerichtet. | |
Was gibt Ihnen die Kraft, weiterzumachen? | |
Ich glaube an Kontinuität. Auch wenn es jetzt nicht klappt, wird unsere | |
Arbeit in der Zukunft einen Effekt für andere Flüchtlinge haben. Ich hoffe, | |
dass die meisten Leute mit ihren Forderungen und ihrem politischen Kampf | |
weitermachen. Eines Tages werden wir Erfolg haben. Wir werden einen | |
positiven Effekt auf anderen Ebenen haben, auch wenn sich jetzt nichts | |
verändert. Lampedusa in Hamburg ist ein Symbol für den Protest von | |
Geflüchteten geworden. Weiterzumachen, obwohl uns nichts geschenkt wird, | |
ist an sich schon ein gutes Symbol. Das gibt mir Kraft. | |
30 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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