# taz.de -- Feministinnen nehmen sich die Bühne: „Eierschaukeln is over“ | |
> Bei der selbstorganisierten Flüchtlingskonferenz in Hamburg trafen sich | |
> 2.000 MigrantInnen und UnterstützerInnen. Es gab Workshops, Podien, Musik | |
> – und einen Eklat mit FeministInnen | |
Bild: International Meeting: Auf der Refugee-Conference in Hamburg trafen sich … | |
HAMBURG taz | Es ist laut im vegetarischen Essenssaal. Teller klappern, | |
Menschen reden auf Englisch, Französisch, Deutsch und in vielen Sprachen. | |
Sie sitzen sich auf Bierbänken gegenüber oder stehen in der Schlange an der | |
Essensausgabe, lernen sich kennen, tauschen sich aus. Auf einer Leinwand | |
wird das Podium übertragen, das gerade im Hauptsaal auf Kampnagel läuft. | |
Von Freitag bis Sonntag haben sich auf dem Gelände des Hamburger Theaters | |
2.000 Geflüchtete und UnterstützerInnen aus verschiedenen Ländern | |
getroffen, um sich zu vernetzen und über Asylgesetze, Rassismus, die | |
Lebensbedingungen der Geflüchteten in Europa zu diskutieren und | |
Möglichkeiten zu finden, ihre Kämpfe gemeinsam zu organisieren. Mitglieder | |
der Gruppen Lampedusa in Hamburg, Refugee-Protestcamp Hannover sowie | |
Berliner Refugee-AktivistInnen hatten die Konferenz initiiert. | |
An der Essensausgabe stehen HelferInnen hinter riesigen Töpfen und | |
klatschen im Akkord das Essen auf die Teller. Es gibt rote Linsen mit | |
Karotten, dazu Salat und zwei Stücke Fladenbrot: Vokü-Essen, aber gut | |
abgeschmeckt. | |
Hasan löffelt seinen Linsenbrei. Er kommt aus Syrien und ist mit zwei | |
Freunden am Freitag aus Winnenden bei Stuttgart angereist, 9 Stunden mit | |
dem Flixbus. Ein Freund von einem Freund bringt sie privat in Hamburg | |
unter. Andere Konferenz-TeilnehmerInnen schlafen direkt auf Kampnagel: Das | |
KünstlerInnen-Kollektiv „Raumlabor Berlin“ hat in einem Theatersaal das | |
„Hotel Blue Flamingo“ errichtet, ein hölzernes Dorf mit 100 Schlafkojen. | |
Die drei Syrer sind in Eile: „Wir wollen etwas von Hamburg sehen, wo wir | |
schon mal hier sind“, sagt Hasan. Er kramt einen Zettel aus seiner | |
Hosentasche. „Hafenrundfahrt“, steht darauf, „Hafencity“ und | |
„Speicherstadt“, das Standard-Touri-Programm in Hamburg. „Aber wir wissen | |
nicht, wann wir das machen sollen“, sagt er. Von 11 Uhr morgens bis 20 Uhr | |
finden auf Kampnagel Workshops und Diskussionen statt, es werden Filme | |
gezeigt, T-Shirts bedruckt und Banner bemalt und abends gibt es Musik. | |
Hasans Freund verteilt Taschentücher als Servietten an seine | |
TischnachbarInnen und Hasan erzählt, dass er als Anwalt gearbeitet hat, | |
bevor er aus Syrien floh. In der 30.000-EinwohnerInnen-Stadt Winnenden | |
machen die drei jetzt einen Deutschkurs. Demnächst werden sie „Bufdis“: Im | |
Dezember hat der Bundesfreiwilligendienst ein Sonderprogramm gestartet, bei | |
dem nun Flüchtlinge das machen, was früher Zivildienst hieß. In was für | |
einer Einrichtung die Syrer dann arbeiten, wissen sie noch nicht. | |
Im Hauptsaal sitzen 300 ZuschauerInnen in den Reihen und lauschen einem | |
Podium zu Willkommenskultur und deutschen Asylgesetzen. Die Mehrheit im | |
Publikum sind People of Color, Schwarze, MigrantInnen. Viele haben | |
Kopfhörer im Ohr und kleine Geräte in der Hand, mit denen man auf | |
verschiedenen Frequenzen Live-Übersetzungen hören kann. Unten, am Rand der | |
Bühne, sitzen 15 DolmetscherInnen dicht gedrängt an einem Tisch inmitten | |
von Kabelsträngen und Mehrfachsteckdosen. Sie übersetzen in sieben | |
Sprachen. Leise und hochkonzentriert sprechen sie in die Mikrofone. | |
## „This is not welcome culture“ | |
Auf der Bühne in den Ledersesseln sitzen zehn DiskutantInnen und eine | |
Moderatorin. Zwei Frauen der Gruppe „Romano Jekipe Ano Hamburg – Vereinigte | |
Roma Hamburg“ sind dabei, der Sprecher von „Lampedusa in Hamburg“ Abimbola | |
Odugbesan, zwei Bewohner des größten Hamburger Flüchtlingslagers in der | |
Schnackenburgallee und fünf weitere Refugee-AktivistInnen aus Afghanistan, | |
Frankreich und anderen Ländern. | |
Ein Refugee aus Berlin kritisiert die Unterbringung in Lagern. „This is not | |
welcome culture“, sagt er, „das ist keine Willkommenskultur“, und nennt d… | |
Flüchtlingscamps „psychological prisons“, psychologische Gefängnisse. Dann | |
spricht er über die öffentliche Debatte um die Vorkommnisse der | |
Silvesternacht in Köln. Darüber, wie Rechte die Ereignisse | |
instrumentalisiert haben, um ein Klima der Angst vor Flüchtlingen zu | |
verschärfen. | |
„Wir wollen einfach nur normal leben“, sagt Martina, eine der beiden | |
Roma-Frauen der Hamburger Gruppe „Romano Jekipe“. „Aber wir haben Angst, | |
abgeschoben zu werden, deshalb kämpfen wir – eine andere Wahl haben wir | |
nicht.“ | |
Adam, ein Aktivist des Flüchtlingscamps am Oranienplatz in Berlin sagt, | |
dass alle fliehen, weil sie keine andere Wahl haben, und dass er trotzdem | |
stolz ist, Teil einer so mächtigen Bewegung zu sein. | |
Während in anderen Räumen Workshops zu Themen wie dem NSU-Komplex, | |
Sexismus-Debatten, Gewalt an den Grenzen oder vermeintlich sicheren | |
Herkunftsländern laufen, dreht sich das nächste Panel im Hauptsaal um | |
Selbstorganisierung und Solidarität. Weit kommen die DiskutantInnen aber | |
nicht. Plötzlich stürmt eine aufgebrachten Gruppe in den Saal. Es sind 120 | |
Frauen, die die Bühne besetzen und „Womens space is everywhere“ ruft – �… | |
Raum für Frauen ist überall!“ | |
Der „Womens Space“ soll auf der Konferenz ein sicherer Raum für Frauen auf | |
dem Kampnagel-Gelände sein – viele AktivistInnen fühlen sich dort aber | |
nicht wohl. Der Frauenraum, ursprünglich ein Kunstobjekt mit 6 Zimmern, das | |
als „Eco Favela“ bekannt war und in dem Lampedusa-Flüchtlinge über den | |
letzten Winter Arbeitsräume hatten, sei zu klein, zu abgeschieden und | |
insgesamt unbequem, bemängeln die Frauen. Außerdem gebe es dort keinen | |
Strom. Als ein Demozug waren die Aktivistinnen von dort zum Hauptsaal | |
marschiert und hatten unterwegs Teilnehmerinnen der Workshops eingesammelt. | |
„Männer dominieren die Konferenz“, beschwert sich die | |
Black-Rights-Aktivistin Mamoushka, die aus London angereist war. „Uns | |
Frauen wird das Wort nicht erteilt, da haben wir es uns genommen“, sagt | |
sie. Eine andere Aktivistin, die aus dem Sudan nach Berlin geflohen ist, | |
nennt gar die Bezeichnung der Konferenz als selbstorganisierte | |
Flüchtlingskonferenz eine Lüge. „Was heißt hier selbstorganisiert?“, fra… | |
sie die ZuhörerInnen im Saal. „Bestimmt nicht, wenn jemand anderes die | |
Rahmenbestimmungen setzt!“ | |
## Wo Weiße entscheiden | |
Letztlich seien es immer die weißen UnterstützerInnen der | |
Flüchtlingskämpfe, die festlegten, welche Räume man nutze, was es zu essen | |
gäbe und wie alles drumherum ablaufe. „Es ist keine Flüchtlingskonferenz, | |
sondern eine Konferenz von Supportern, linken Aktivisten und Geflüchteten“, | |
urteilt sie. | |
Viel zu oft versteckten sich die UnterstützerInnen hinter der Bühne, um den | |
Anschein zu vermitteln, die Flüchtlinge seien die alleinigen | |
ProtagonistInnen, erklärt die Aktivistin. „Die Realität ist aber anders“, | |
sagt sie. „Ich will nicht, dass jemand meinen Kampf unterstützt. Ich will, | |
dass die linken Aktivisten ihre Kämpfe kämpfen und ich kämpfe meinen Kampf | |
und wenn wir uns auf Augenhöhe begegnen, kämpfen wir zusammen.“ | |
Die Kritik richte sich aber nicht pauschal gegen die Arbeit der | |
UnterstützerInnen, stellt sie klar – im Gegenteil. „Nur: Sie sollen sich | |
nicht hinter der Bühne und hinter uns Refugees verstecken.“ | |
Ohne die Hilfe vieler Frauen, die Tag und Nacht gearbeitet hätten, um die | |
Konferenz möglich zu machen, wäre der Austausch nicht zustande gekommen, | |
wirft eine Geflüchtete ein und bittet die Hamburger Aktivistin Tanja van de | |
Loo auf die Bühne. Van de Loo, die die Konferenz maßgeblich mitorganisiert | |
hat, bedankt sich für die Zusammenarbeit und sagt, sie sei froh, dass die | |
Frauen sich die Bühne genommen hätten. Dann wendet sie sich ans Publikum | |
und ruft: „Eierschaukeln is over!“ | |
Am Abend spielen im großen Saal Bands, während sich draußen vor den | |
Gebäuden 40 Menschen um eine Feuertonne versammeln. Funken steigen auf, die | |
Leute sitzen ums Feuer, trinken Bier, nicken im Takt der improvisierten | |
Musik. Fünf junge Männer rappen auf drei Sprachen, einer macht Beatbox, ein | |
anderer singt. | |
Ein paar Meter weiter stehen HelferInnen an einer Waschstraße vor dem | |
Vokü-Zelt und spülen die letzten Teller. Es ist kalt, Dampf steigt aus den | |
Eimern mit dem warmen Seifenwasser. Auf dem Boden unter der Spülstraße | |
breitet sich eine Pfütze aus, fast schon ein See, einige HelferInnen haben | |
nasse Füße und nasse Ärmel. Aber sie sehen zufrieden aus. | |
29 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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