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# taz.de -- Lampedusa-Flüchtling über Bleiberecht: „Ich wollte selbstbestim…
> Andreas Listowell war Sprecher der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“, die ein
> kollektives Bleiberecht fordert. Er entschied sich für einen anderen Weg
Bild: Darf erst einmal in Deutschland bleiben: Andreas Listowell.
taz: Herr Listowell, seit drei Wochen haben Sie Gewissheit: Sie können in
Hamburg bleiben. Wie fühlt sich das an?
Andreas Listowell: Die Nachricht hat mich sehr überrascht: Im letzten
Oktober hatte ich meinen Antrag der Hamburger Härtefallkommission
vorgelegt, seitdem nichts mehr gehört. Jetzt bin ich erleichtert und
glücklich. Mehr als fünf Jahre trug ich den Stempel „Flüchtling“, hatte
kein festes Zuhause. Nach der Flucht aus Ghana musste ich ständig den Ort
wechseln, habe täglich mit einer Abschiebung gerechnet. Erst jetzt kann ich
wieder die Zukunft sehen.
Warum hat die Härtefallkommission, die in Hamburg als letzte Instanz in
Einzelfällen über das Bleibegesuch von Geflüchteten entscheidet, in Ihrem
Fall positiv entschieden?
Eine offizielle Begründung gibt es nicht. In einem persönlichen Brief an
die Kommission habe ich aber mit meinen Bemühungen um eine gute Integration
argumentiert: Ich habe schnell Deutsch gelernt, immer gearbeitet und nie
aufgegeben. Als ich noch keine Arbeitserlaubnis hatte, habe ich bereits
Praktika absolviert, etwa in einer Werbeagentur und in der Bischofskanzlei
in St. Pauli. Seit zehn Monaten habe ich einen Vollzeitjob in einem
Altenheim. Außerdem arbeite ich elf Stunden im Monat im Thalia-Theater als
Schauspieler in einem Stück und an der Abendkasse.
Wie lange dürfen Sie nun in Hamburg bleiben?
Die Aufenthaltserlaubnis ist auf ein Jahr befristet. Danach wird geprüft,
ob ich die Kriterien weiter erfülle, ob ich also arbeite oder mich um einen
Arbeitsplatz bemühe.
Arbeit war für Sie also der entscheidende Faktor für die Integration – wie
schwierig war es, eine Stelle zu finden?
Durch die große Unterstützerszene habe ich Praktika und sogar Jobangebote
recht schnell gefunden, die fehlende Arbeitserlaubnis war aber lange ein
Problem. Doch ich hatte Glück: Als die Dauer der Vorrangprüfung …
… die besagt, dass bei der Bewerbung eines Asylsuchenden zunächst geprüft
wird, ob sich auch Deutsche oder EU-Ausländer für die Stelle finden …
Genau, als diese Vorrangprüfung von vier Jahren auf 15 Monate reduziert
wurde, lebte ich gerade genau 15 Monate in Hamburg. Die bürokratischen
Bedingungen haben also gepasst. Ohne Unterstützer hätte ich es trotzdem
schwer gehabt: Wer nur eine Duldung hat, kann sich nichts aufbauen, auch
bei der Wohnungssuche wird man mit diesem Status schnell abgewiesen. Sich
integrieren wollen ist das eine, ohne gesellschaftliche Unterstützung geht
nichts.
Einige Mitglieder der Lampedusa-Gruppe kämpfen noch heute für ein
kollektives Bleiberecht nach Paragraf 23. Eine Forderung, die Sie als
Sprecher der Gruppe vor drei Jahren auch teilten. Warum haben Sie sich am
Ende doch für die Einzelfallprüfung entschieden?
Auf dem Bleiberecht für alle beharren oder das Angebot des Senats annehmen:
Beide Optionen waren mit einer Unsicherheit verbunden, eine Garantie für
Sicherheit gab es nie. Vor zwei Jahren habe ich für mich den Weg gewählt,
der mir am aussichtsreichsten erschien.
Können Sie verstehen, warum andere Lampedusa-Flüchtlinge diesen Gang durch
die Behörden bis heute ablehnen?
Ich will nicht über die Entscheidungen anderer urteilen, das steht mir
nicht zu. Rückblickend sehe ich, welche Vorteile mir mein Weg gebracht hat.
Ich spreche gut Deutsch, ich arbeite, lebe in meiner eigenen
Ein-Zimmer-Wohnung in Hamburg-Altona. Ich wollte immer selbstbestimmt
leben.
Zwei weitere Lampedusa-Flüchtlinge haben eine Aufenthaltserlaubnis
erhalten. Ein 28-Jähriger arbeitet für einen Airbus-Zulieferer und ein
25-Jähriger ist bei der Stadtreinigung angestellt. Wie reagiert die Gruppe
auf diese Nachrichten?
Wie die Männer, die ein Prüfverfahren bis heute ablehnen, reagieren, weiß
ich nicht. Diejenigen, die ihren Fall auch von der Härtefallkommission
prüfen lassen, schöpfen neue Hoffnung und freuen sich für uns.
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Ich bleibe in Hamburg, hier fühle ich mich zu Hause. In Ghana habe ich
Marketing studiert, in dieser Branche möchte ich gern wieder arbeiten.
Meinen Universitätsabschluss anerkennen zu lassen, wird jedoch schwierig.
Also werde ich eine Weiterbildung machen oder wieder studieren. Ich tue
alles, was nötig ist, um mir ein neues Leben aufzubauen.
15 Jul 2016
## AUTOREN
Annika Lasarzik
## TAGS
Lampedusa in Hamburg
Schwerpunkt Flucht
Bleiberecht
Asyl
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
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Refugees
Schwerpunkt Flucht
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