# taz.de -- Gotteswerk und Kirchenasyl: Wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefä… | |
> Anzeige gegen eine niedersächsische Kirchengemeinde, die einem Mann aus | |
> Eritrea Kirchenasyl gewährt. Der Pastor bekommt Rückhalt von der | |
> Landeskirche. | |
Bild: Juristische Gradwanderung: Kirchenasyl | |
HAMBURG taz | Für den Kirchenvorstand war es die „ultima ratio“: Im | |
vergangenen Jahr gewährte die evangelische Gemeinde im niedersächsischen | |
Unterlüß einem 44-Jährigen aus Eritrea Kirchenasyl. „Wir konnten das | |
psychologische Gutachten nicht ignorieren, dass ihm attestierte, schwer | |
traumatisiert zu sein“, sagt Pastor Wilfried Manneke der taz. Dieser fand | |
sich, als die Sache eigentlich schon ausgestanden war, als Objekt von | |
Ermittlungen wieder: Es war Strafanzeige erstattet worden, und das von | |
einem Bewohner des Ortes, der zur Geimeinde Südheide (Landkreis Celle) | |
zählt. | |
Die Celler Staatsanwaltschaft ermittelte wegen „Beilhilfe zum unerlaubten | |
Aufenthalt“ gegen Manneke, der auch Vorsitzender des Gemeindevorstands der | |
Friedenskirche ist. Am Ende stellte die Anklagebehörde das Verfahren ein – | |
gegen eine Auflage von 900 Euro. Woraufhin aber der Kläger nicht etwa | |
locker ließ. Er legte vielmehr Beschwerde ein, so dass die | |
Generalstaatsanwaltschaft Celle sich erneut mit dem Fall befassen muss. | |
Immerhin: Hannovers Landeskirche hat sich jetzt hinter die Friedenskirche | |
gestellt. | |
## Zum Handeln verpflichtet | |
„Er ist 27 Jahre lang gegen seinen Willen in der Armee festhalten worden“, | |
berichtet Manneke über jenen Eritreer, dem die Kirchengemeinde viereinhalb | |
Monate lang Schutz gewährt hatte. Mit 17 Jahren zum Militär eingezogen, sei | |
er mehrmals verwundet worden, habe fünf Schussverletzungen davon getragen, | |
ein Granatsplitter sitze bis heute oberhalb des Knies. Nach fast drei | |
Jahrzehnten desertierte der mehrfache Vater und tauchte unter, wurde aber | |
verhaftet. Nach zwei Monaten sei er aus dem Gefängnis entkommen und über | |
Libyen und das italienische Lampedusa nach Deutschland geflohen. Manneke | |
zufolge musste der Flüchtlinge mit ansehen, wie enge Freunde dabei ums | |
Leben kamen. | |
Im Frühjahr vergangenen Jahreshätte der Mann gemäß dem Dublin-III-Abkommen | |
aus Deutschland abgeschoben werden sollen nach Italien – dem ersten | |
EU-Mitgliedsland, dessen Territorium er betreten hatte. Da, so Manneke, | |
habe sich die Kirche zum Handel verpflichtet gesehen: „Die Situation in | |
Italien ist für Flüchtlinge unmenschlich“, sagt der Pastor – „nach der | |
Erstaufnahme müssen sie unter Brücken schlafen.“ | |
Die Friedenskirche gewährte dem Eritreer also Obdach. Die Gemeinde habe | |
zwar die zuständigen Behörden informiert, das laufende Kirchenasyl jedoch | |
bewusst nicht öffentlich gemacht.So erging die Strafanzeige des Unterlüßer | |
Privatmanns denn auch erst, als nach Ablauf der viereinhalb Monate die | |
örtliche Zeitung von dem fall berichtete. | |
Nach dem Dublin-III-Abkommen muss ein EU-Land das Asylverfahren übernehmen, | |
wenn sich der Geflüchtete länger als sechs Monate dort aufhält – in diesem | |
Fal also hätte der Eritreer nicht mehr nach Italien gemusst, sonder in | |
Deutschland ein Asylverfahren anstrengen können. | |
„Unser Ziel haben wir mit dem Kirchenasyl erreicht“, sagt Manneke: Der | |
Antrag des Mannes werde in Deutschland bearbeitet, er bekomme | |
Sozialleistungen und in einem Nachbarort sei ihm eine Wohnung zugewiesen | |
worden. | |
Der Kläger pocht mit seiner Beschwerde gegen das eingestellte Verfahren | |
weiter auf Strafverfolgung – etwas, das Pastor Manneke vermeiden wollte. | |
„Es sollte nicht zum Prozess kommen, da es sonst zu einem Präzedenzfall | |
kommen könnte“ sagt er. | |
Kirchenasyl werde in Niedersachsen zwar von den Behörden geduldet, sei | |
formal aber strafbar, sagt der Sprecher der evangelischen Landeskirche | |
Hannover, Johannes Neukirch. Seit mehr als zehn Jahren habe es keinen Ärger | |
mehr gegeben. „Aber wenn eine Privatperson eine Strafanzeige stellt, muss | |
die Staatsanwaltschaft dem nachgehen.“ Den Kirchen sei durchaus bewusst, | |
das die rechtliche Beurteilung von Kirchenasyl eine Gratwanderung sei. „Das | |
Kirchenasyl ist aber ein offensichtlich notwendiger Schutzraum für | |
Menschenrechte“, sagt Neukirch. | |
Mannekes Anwalt, der ehemalige Staatsanwalt Helmut Trentmann, sieht dem | |
Verfahren gelassen entgegen – schon aus formalen Gründen: Da Manneke die | |
Geldauflage bereits bezahlt habe, sei das gesetzliche Verfolgungsverbot | |
eingetreten. Es verbiete einen Menschen mit einem weiteren Strafverfahren | |
ein zweites Mal zu verfolgen, sagt Trentmann. „Herr Manneke hat das Bußgeld | |
bezahlt – die Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft muss also ins | |
Leere laufen.“ | |
21 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Kai von Appen | |
## TAGS | |
Anti-Rassismus | |
Lampedusa in Hamburg | |
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